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Gelände, Verhältnisse und der Faktor Mensch

Lawinensicherheit: „Das Risiko steigt in der Gruppe“

• 19. Februar 2016
3 Min. Lesezeit
von Mara Simperler

Lawinensicherheit dreht sich nicht nur um Hangsteilheit und Gefahrenstufen. Wir haben mit den Sicherheitsexperten Peter Gebetsberger und Martin Edlinger von den Naturfreunden Österreich über den „Risikofaktor Mensch“ gesprochen.

Bergwelten: Die meisten Lawinen-Warnsysteme oder Entscheidunghilfen beschäftigen sich mit den Gegebenheiten im Gelände – wie ist die Schneedecke aufgebaut, wie steil ist der Hang? Da fehlt der menschliche Aspekt: Ist der Mensch selbst das größte Risiko?
 
Peter Gebetsberger: Nein, das kann man so nicht sagen. Aber die psychischen Einflussfaktoren werden  oft ausgeblendet. In jeder Entscheidung, die ein Tourengeher im Gelände trifft, sind seine Vorgeschichte und seine Sozialisation enthalten. Jeder hat ein anderes Riskoempfinden, andere Ansprüche. Die Entscheidung wird nicht nur bewusst getroffen, sondern auch durch unterbewusste Faktoren bestimmt.

Skitouren Gruppe
Foto: Jonas Nefzger
Skitouren Gruppe
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Bergwelten: Wann ist man als Mensch also besonders gefährdet?
 
Peter Gebetsberger: Wenn man gestresst oder unaufmerksam ist – egal ob das aus einem selbst kommt, nach einem anstrengenden Arbeitstag oder ob das Gelände und Verhältnisse mich zu sehr fordert. Stress schränkt die Wahrnehmungsfähigkeit ein und die Wahrnehmung hat eine Schlüsselfunktion bei Entscheidungen im Gelände. Ich kann nur risikobewusst entscheiden, wenn ich meine Umgebung „richtig“ wahrnehme.
 
Bergwelten: Und wenn ich genügend Wissen über Lawinensicherheit habe...
 
Peter Gebetsberger: Natürlich kann ich Gefahrenzeichen nur als solche wahrnehmen, wenn ich das Basiswissen habe. Wenn ich nicht weiß, wie viel Schnee, welche Temperatur oder welche Geländeformen gefährlich sind, kann das nicht in meinen Entscheidungsprozess miteinfließen. Das ist die absolute Basis.
 
Bergwelten: Welche Rolle spielt Routine?
 
Peter Gebetsberger: Routine entsteht durch wiederholtes bewusstes Handeln, entwickelt Erfahrung und ist somit wichtig für die Entscheidungsfindung. Zum Problem wird es, wenn die Routine meine Wahrnehmung einschränkt. So entstehen Schlagzeilen wie „Routinierter Bergsteiger am Hausberg verunglückt.“ Der kennt das Gelände so gut, dass er die Risikofaktoren nicht mehr wahrnimmt und seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Sache lenkt.
 
Bergwelten: Welche Rolle spielt die Ausrüstung?
 
Peter Gebetsberger: Das ist ein schwieriges Thema. Gute Ausrüstung ist ein Muss, aber gewisse Ausrüstungsgegenstände suggerieren Sicherheit und erhöhen so die Risikobereitschaft. Wenn ich mich durch meine Ausrüstung sicherer fühle, fahre ich vielleicht eher einen gefährlicheren Hang oder bin schneller unterwegs.
 
Martin Edlinger: Das heißt natürlich nicht, dass man ohne die richtige Ausrüstung losziehen soll. Ein LVS-Gerät und ein Lawinen-Airbag tragen natürlich dazu bei, dass man im Fall des Falles sicherer ist, aber die Frage ist, ob man ohne Notfallausrüstung anders handeln würde.
 
Peter Gebetsberger: Das kann jeder ausprobieren: Man stellt sich an einen Hang und stellt sich vor, ohne LVS-Gerät runterzufahren. Ich bin überzeugt, viele Entscheidungen würden anders ausfallen. Es geht nicht darum, Ausrüstung wegzulassen, sondern sich bewusst zu sein, wie sie meine Entscheidung beeinflusst.

Peter Gebetsberger und Martin Edlinger
Foto: Naturfreunde Österreich
Peter Gebetsberger und Martin Edlinger

Bergwelten: Dieser ganzheitliche Entscheidungsprozess ist ja auch das Wesentliche an eurem Konzept W3 – worum geht es da?
 
Peter Gebetsberger: W3 steht für: „Wer geht wann wohin?“ Das ist das System der klassischen Lawinenkunde, ergänzt um den Faktor Mensch. Andere Systeme versuchen, den Mensch auszuschließen, weil er nicht bewertbar ist.
 
Martin Edlinger: Wir wollen daher die Selbsteinschätzung fördern. Anhand einer Checkliste kann ich mich selbst verorten – bin ich Anfänger, Fortgeschrittener oder Profi – und dementsprechendes Gelände wählen.
 
Peter Gebetsberger: Die Basisfaktoren – Gelände und Verhältnisse – stehen immer an erster Stelle. Aber es muss ein Bewusstsein geben für den Faktor Mensch.
 
Bergwelten: Sollte man öfter auf sein Bauchgefühl hören?
 
Peter Gebetsberger: Für mich persönlich müssen immer sowohl Kopf als auch Bauch klar ja sagen. Wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, versuche ich nicht, mir das auszureden, weil zum Beispiel die Lawinengefahrenstufe eigentlich passen würde. Denn im Grunde entsteht jedes Bauchgefühl aus der Summe meines Wissens und meiner Erfahrung.
 
Martin Edlinger: Das heißt auch immer wieder, dass ich darauf verzichte, eine Tour zu beginnen oder weiterzugehen. Das ist für manche Leute sehr schwer.

Skitouren Gruppe
Foto: Jonas Nefzger
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Bergwelten: Wie ist das in einer Gruppe – steigt da das Risiko?
 
Peter Gebetsberger : Das Risiko steigt in einer Gruppe an. Da spielen viele Faktoren mit: Konkurrenz und Ehrgeiz etwa. Es gibt auch oft keine klaren Verantwortungen – und wenn keiner verantwortlich ist, verlässt sich jeder auf einen anderen.
 
Martin Edlinger: Das erzeugt ein falsches Sicherheitsgefühl. Und dann gibt es auch Kommunikationsprobleme, wenn jemand nichts sagt, obwohl er ein mulmiges Gefühlt hat...
 
Bergwelten: Was muss ich über eine Gruppe wissen, mit der ich eine Tour gehen will?
 
Peter Gebetsberger: Es gibt einen Unterschied zwischen Dingen die ich gerne wissen würde und solchen, die ich unbedingt wissen muss. Ich muss wissen, welche Vorerfahrung, Ausrüstung und Kondition die Gruppe hat. Und natürlich wäre es schön zu wissen, wie meine Gruppe in einer Risikosituation reagiert, aber das ist unrealistisch. Ich kann nicht vor der Tour mit jedem seine Risiko-Entscheidungen theoretisch durchgehen. Aber ich kann mich jedes Mal wieder selbst hinterfragen.

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