Nepal: Im Land der stillen Helden
Foto: mauritius images / blickwinkel
Wer Nepal hört, denkt vermutlich zuallererst einmal an Berge. An hohe Berge. Und dünne Luft. Darüber hinaus ist es aber auch ein Land voller Gegensätze. Martin Zinggl war acht Monate lang vor Ort und hat seine Erlebnisse in einem Buch festgeschrieben: „Nepal – Im Land der stillen Helden“ berichtet von Tradition und Moderne und spannt dabei den Bogen von rituellen Schlachtfesten bis hin zu exklusiven Elefantenpolo-Turnieren.
Das Buch „Nepal – Im Land der stillen Helden“ versammelt auf 132 Seiten bunt zusammengewürfelte Erfahrungsberichte, die keinem roten Faden folgen. Sie sind scheinbar willkürlich aneinandergereiht, ohne erkennbaren Zusammenhang – und stellen gerade darum einen besonders repräsentativen Einblick in das Land der Gegensätze dar. Denn da wie dort gibt es keine übergeordnete Logik, sondern nur ein wildes Nebeneinander von zum Teil widersprüchlichen Praktiken. Das macht sich auch in der Religion bemerkbar: Die Verschmelzung von Hinduismus und Buddhismus gehört zu Nepal wie die Nationalspeise „Dhal Bhat“, Reis mit Linsenbrei, schreibt Zinggl.
Nepals next Goddess
Kein Wunder also, dass der Autor auch genug von religiösen Praktiken und Traditionen zu erzählen weiß. So schildert er zum Beispiel seinen Besuch bei einer von insgesamt 32 lebenden Göttinnen in Nepal, von blutjungen Mädchen, deren Paläste in Wahrheit unscheinbare Häuser sind – und die in streng geheimen Auswahlverfahren zu Göttinnen bestimmt werden. Werden sie wieder ins irdische Leben entlassen, müssen die Mädchen mitunter das Gehen neu erlernen. Kein Wunder: Als Göttinnen dürfen sie den Boden nicht mit ihren Füßen berühren. Und das heißt: Sie werden ständig nur herumgetragen, müssen unnahbar über den Dingen stehen – nicht sprechen, nicht lächeln, nichts Menschliches tun.
Sein Streifzug durch Nepal führt Zinggl unter anderem auch zum größten Blutopfer-Schlachtfest der Welt: Gadhimai. 30.000 Tiere werden hier geopfert. Gott und Leid, Religion und Sterben – in Nepal liegen diese Bereiche erschreckend nah beieinander. Das wird dem Autor spätestens mit dem Besuch des Lepraspitals in Kathmandu bewusst: Es sind die „Gottverfluchten“, die dort behandelt werden. Zinggl selbst hält richtigerweise fest, dass Lepra keinen Unterschied zwischen Geschlechtern oder Lebensaltern macht: „Sie kennt nur eine Zielgruppe: die Ärmsten der Armen.“ Die Betroffenen selbst sehen das anders. Sie sind überzeugt davon, dass sie von Gott mit Lepra für einstige Sünden bestraft werden: Für übermäßiges Trinken zum Beispiel oder exzessives Kartenspielen.
Zwischen Kollywood und Elefantenpolo
Aber die stark religiös geprägte Seite ist nur ein Aspekt des vielschichtigen Nepals. Und so stolpert der Autor von Opferzeremonien direkt weiter in die Moderne. Amerika hat Hollywood, Indien Bollywood, Nepal hat Kollywood. Und prompt bringt es Zinggl zu einem 30 Sekunden-Auftritt als westlicher Nachrichtensprecher im Film „National Treasure“ an der Seite von Suresh Marhatta, dem bekanntesten Actionheld Kollywoods. Nur um knapp darauf einem Elefantenpolo-Turnier beizuwohnen.
Freilich verschlägt es den Autor auch in die Berge: Er begibt sich auf die beliebteste Wanderroute der Welt, den Annapurna-Circuit. Dort stößt er an seine Grenzen, fragt sich, warum er hier ist, warum überhaupt irgendjemand hier ist: „Irgendwie hat der Annapurna-Trek etwas in uns ausgelöst“, schreibt er rückblickend. Diese Feststellung darf wohl auch als Resümee für Nepal an sich gelten, dessen Besonderheiten sich nicht linear schildern lassen. Das wird in Martin Zinggls Buch mehr als deutlich.
Buch-Tipp
„Nepal – Im Land der stillen Helden“ von Martin Zinggl, erschienen 2016 im Picus Verlag.
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