Wildnis im Wandel – Der Nationalpark Donau-Auen
Foto: Nationalpark Donau-Auen/ Kovacs
von Martin Foszczynski
Im größten Flussauengebiet Österreichs lässt man der Donau noch ihren freien Lauf. Doch um diese einzigartige Wildnis zu erhalten, muss der Mensch aktiv werden.
Zehn Gehminuten abseits des Reisebusses regiert nur noch die Wildnis. Wir haben unsere Schuhe ausgezogen und waten barfuß durch einen Seitenarm der Donau zwischen Haslau und Regelsbrunn (NÖ). Schlamm quetscht sich durch die Zehen, dann wieder drücken sich spitze Kieselsteine schmerzhaft in die Fußsohlen. Die beißenden Spuren hüfthoher Brennnesseln, durch die wir zuvor zum Ufer gestiegen sind, erscheinen augenblicklich als geringeres Übel.
Doch keines dieser Wehwehchen verdirbt uns die Laune – im Gegenteil. Man nimmt sie gerne in Kauf für das Erlebnis, einen Ort fernab des Alltags zu betreten. Einen fast unwirklichen Ort. Das Zentrum Wiens ist gerade mal eine halbe Stunde Autofahrt entfernt, der Flughafen keine zehn Kilometer. Doch hier, in der schwer zugänglichen Kernzone der Donau-Auen, des größten Flussauengebiets Österreichs, wähnt man sich im immerwährenden Dschungel – der Blick schweift über eine schlummernde Oase aus bewaldeten Ufern, umspülten Schotterbänken und umgestürzten Bäume.
Bedrohtes Paradies
In Wahrheit ist es ein sensibles Naturparadies, das konsequent geschützt werden muss. Und das durch den Widerstand engagierter Bürger überhaupt erst möglich geworden ist. Im bitterkalten Winter 1984 harrten tausende Au-Schützer aus Protest gegen den geplanten Bau eines Donaukraftwerks teils wochenlang im Auwald bei Hainburg aus. Die Besetzung der Stopfenreuther Au verströmte nicht nur den Geist einer verspäteten 68er-Revolte in Österreich, sie gilt auch als Geburtsstunde der Grünen.
Vor allem aber verhinderte sie die Zerstörung einer der letzten intakten Auenlandschaften dieser Art in Europa. Ihr ganzes Ökosystem hängt maßgeblich von einem Faktor ab: dem freien Fluss der Donau, deren Hochwässer die Au ab dem späten Frühjahr regelmäßig überfluten und formen. Der Bau eines Staudammes an dieser Stelle hätte dem ein unwiderrufliches Ende gesetzt.
Nachdem der WWF Anfang der 90er Jahre Teile der durch den Baustopp bewahrten Auflächen „freikaufte“, begann die jahrelange Planung für einen rund 9.000 ha großen Nationalpark. Diesen Status erhalten nur Gebiete, die internationale Kriterien der besonderen Schutzwürdigkeit erfüllen. Die Donau-Auen stellen nicht nur dank ihrer besonderen Artenvielfalt eine Bereicherung dar: Sie wirken als Klimaregulator in der Region und ermöglichen vielen Menschen Erholung und Naturerlebnisse. 1996 wurde der Nationalpark Donau-Auen schließlich eröffnet und verfolgt seither ein grundlegendes Ziel: die Dynamik der Flusslandschaft auf den 36 Donau-Kilometern zwischen Wien und Bratislava nach Möglichkeiten zu erhalten und verbessern.
Was es konkret bedeutet, wenn man der Donau sich ihren eigenen Lauf durch die Landschaft bahnen lässt, veranschaulicht uns Dr. Christian Baumgartner. Der wissenschaftliche Leiter des Nationalparks sieht mit seiner Schirmkappe und aufgekrempelten Baumwollhose eher wie ein Abenteurer denn Akademiker aus. Knöcheltief im Wasser stehend deutet er auf einen Streifen Auwald in etwa 100 Metern Entfernung. „Dort wo jetzt diese Silberweiden und Silberpappeln stehen, war vor 30 Jahren noch der Seitenarm, durch den wir gerade waten.“ Die Erosionskante wandert stetig weiter – irgendwann reißt die Donau, die auf diesem Abschnitt ihres langen Wegs ins Schwarze Meer noch den Charakter eines Gebirgsflusses hat, den gewachsenen Wald wieder weg und schafft Fläche für neue Pioniervegetation. „In 100 Jahren hat nur ein Prozent dieser Landschaftsfläche nicht zwischen Land und Wasser gewechselt“, erklärt der Wildtier-Experte. Das sei auch gut so, denn sonst würde sich der artenreiche Auwald in einen gewöhnlichen Mischwald wandeln.
Alles im Fluss
Eines ist somit in natürlichen Flusslandschaften sicher: auf Dauer bleibt hier kein Stein auf dem anderen. Ab dem späten Frühjahr setzen die Hochwässer ein und bahnen sich neue Wege. Ein Graus für so manchen rational planenden Menschen, lebensnotwendig für die einzigartige Tierwelt der Donau-Auen. In den oft wochenlang überfluteten Auwäldern (Weiche Au), den angrenzenden Waldabschnitten (Harte Au), Seiten- und Altarmen, Tümpeln, Uferkanten, Schotterbänken und -Inseln hat sich eine einzigartige Artenvielfalt entwickelt. Das viele Totholz der umgestürzten Bäume schafft ebenfalls Lebensraum für viele Tiere und Pilzarten.
Auf manche Au-Bewohner erhascht man einen Blick, wie auf den majestätisch über den Silberpappeln kreisenden Seeadler, der noch vor einigen Jahren als ausgestorben galt und jetzt wieder hier brütet. Auch die bei uns äußerst seltene Sumpfschildkröte ist dank eines Artenschutzprogramms in die Auen zurückgekehrt.
Manche Tiere hört man im Dickicht und in den Baumkronen umherstreifen. Wieder andere hinterlassen kleine Spuren, die nur dem aufmerksamen Auge nicht entgehen. Jenem von Christian Baumgartner in keinem Fall: da hat ein Fuchs seine Notdurft hinterlassen, dort ein Bieber einen Ast kahlgenagt. Eine in die Schotterbank gedrückte Hirschfährte würde man im Wasserwald vielleicht nicht vermuten, dabei handelt es sich um das frühere Jagdgebiet der Habsburger. Die vier sehenswerten Schlösser im angrenzenden Marchfeld – im Schloss Orth ist auch das Nationalparks-Zentrum untergebracht – erinnern an den Einfluss der Monarchie.
100 Kilometer Wanderwege
Etwas tiefer im Auwald, der Harten Au, findet man sich zwischen umgestürzten Baumstämmen, schulterhohen Brennesselfeldern und faustdicken Lianen wieder. Die Donau-Auen eignen sich mit rund 100 km beschilderten Wegen gut zum Wandern, auf Gelsen-Spray und lange Hosen sollte man im Sommer dabei aber nicht vergessen. Wer, wie wir, in die ursprünglichsten Teile außerhalb des markierten Wegnetzes vordringen möchte, kann das mithilfe eines Nationalpark-Rangers tun.
Ein besonderes Erlebnis ist es, die Donau-Auen per Boot zu erkunden. Die Seitenarme sind größtenteils für Paddler freigegeben, allerdings reicht der Wasserstand im Hochsommer manchmal für einen Kajakausflug nicht aus. Auf einer Fahrt in der Tschaike, einem historischen Donauschiff aus Holz, lassen sich entlang der Donau schließlich auch gut die Bemühungen des Nationalparks einsehen, die Natürlichkeit der Donau-Auen zu bewahren.
Denn frei von menschlichen Eingriffen ist der Fluss auch heute nicht. Bereits Ende des 19. Jahrhundert wurden große Teile der einst wuchernden Donau in ein straffes Korsett gezwängt. Verbaute Ufer, Begradigungen, Hochwasser-Schutzdämme und Bauwerke im Dienst der Donausschiffsfahrt erschweren die Verbindung des Hauptstroms zu den Seitengewässern. Zudem stocken Donaukraftwerke das natürliche Geschiebe der Donau, was ihre Eintiefung und in Folge eine Grundwasserabsenkung bewirkt und sie zusätzlich vom Auen-Gebiet abkappt.
Rückbau der Ufer
Der Nationalpark versucht mit „Gewässervernetzungsprojekten“ gegenzusteuern. So soll durch die Wiederanbindung von Seitenarmen an den Hauptstrom die natürliche Dynamik der Flusslandschaft wiederhergestellt werden. Im Bereich Haslau-Regelsbrunn ist das bereits gelungen, an der vollständigen Öffnung des Spittelauer Arms gegenüber von Hainburg wird gerade in Kooperation mit mehreren Partnern wie dem WWF und der Wasserstraßengesellschaft viadonau gearbeitet (Update: Im September 2020 erfolgte der Durchstich, seitdem kann das Wasser zum ersten Mal seit 100 Jahren wieder durch den Nebenarm fließen). Außerdem werden an mehreren Abschnitten hart befestigte Ufer entfernt – auf längere Sicht sollen 50 Prozent aller Ufersicherungen rückgebaut werden.
Dem Fluss seinen eigenen, unkontrollierbaren Lauf zu lassen, schüre bei manchen natürlich auch Ängste, sagt Christian Baumgartner. Es verstehe sich von selbst, dass diese Vorhaben nur in Absprache mit den angrenzenden Gemeinden erfolgen können.
Dennoch: Blickt man ins Gesicht des erfahrenen Wissenschaftlers, wenn er vom Boot aus in Richtung Ufer blinzelt und auf rückgebaute, wieder vom Wasser eingenommene Abschnitte deutet, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er der Donau am liebsten ganz ihren Willen lassen würde. Auf dass sie Landschaft in Wildnis verwandle. Beseelt von der Idee, dass alles gut wird, wenn es in Fluss bleibt.
Den Nationalpark Donau-Auen entdecken
Wandern: Das Schutzgebiet ist auf allen markierten Routen frei und ohne Gebühren zugänglich (rund 100 km beschilderte Wege, Wanderkarten sind im Nationalpark-Zentrum erhältlich). Die Wanderwege dürfen nicht verlassen werden – man kann aber Nationalpark-Ranger für individuelle Exkursionen in die Kernzonen buchen (eine 3-stündige Tour für bis zu 9 Personen kostet 165 EUR). Der Nationalpark bietet zudem ein vielfältiges Besucherangebot (geführte Themen-Wanderungen, Workshops, Kanu- und Schlauchboottouren etc.).
Radfahren: Für Radfahrer freigegebene Routen sind an der grünen Markierung ersichtlich. Durch den Nationalpark verlaufen der Weitwanderweg 07 und der Donauradweg (Passau – Budapest).
Kajak und Schlauchboot: Diverse Touren werden vom Nationalpark angeboten. Es lohnt sich aber, die Seitenarme auf eigene Faust zu erpaddeln. Der Stopfenreuther und Spittelauer Arm sind zur Gänze frei befahrbar, die Kleine und Große Binn sowie das Schönauer Wasser in Teilabschnitten. Es gibt mehrere Einstiegsplätze, so etwa am Beginn des Stopfenreuther Arms an der Uferstraße zur Au-Terrasse.
Baden: Baden ist an mehreren Naturbadeplätzen wie den Orther Inseln und an der Au-Terrasse bei Stopfenreuth sowie an freigegebenen Uferabschnitten erlaubt.
Campen: Im Nationalpark Donau-Auen darf nur an einem Ort, dem Wildbadeplatz bei der Au-Terrasse, gecampt werden (Zeltwiese plus Stellplätze für Busse). Bis auf Trockentoiletten und Lagerfeuerstellen gibt es dort keinerlei Infrastruktur. Unbedingt Gelsenschutz mitnehmen!
Nationalpark-Zentrum: Wanderkarten sowie eine Übersicht über Paddel- und Radrouten sind im schlossORTH Nationalpark-Zentrum erhältlich. Auf der Schlossinsel kann man sich einen Überblick über die Lebensräume, Tiere und Pflanzen des Nationalparks verschaffen. Bis Herbst 2021 ist auch die Ausstellung „Die Rückkehr des Seeadlers“ zu sehen.
Ausstellung: Alles über die Donau und ihre 2.850 km lange Reise erfährt man bis 8. November in der großen Donau-Ausstellung auf der Schallaburg.
Die Exkursion erfolgte auf Einladung der Nationalparks Austria.
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