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Kanufahren auf der Drau

Regionen

5 Min.

22.10.2021

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Kanufahren auf der Drau: Der Fluss ist dein bester Freund. Ein Expeditionsbericht im Schneidersitz und mit dem Paddel in der Hand.

Sibylle Hamann für das Bergweltenmagazin Februar 2016

Als Kinder haben wir das immer gemacht. Blätter oder Zweige ins Wasser geworfen und dann bange hinterhergeblickt, was die Strömung mit ihnen macht. Ob das Blatt die Kurve kriegt? Ob meins schneller ist als deins? Ob es den Wasserfall überlebt, ohne im Strudel unterzugehen? Man fühlt mit, wenn es von den Wellen hin und her geworfen wird, haltlos, schutzlos, ausgeliefert. Jahrzehnte können vergehen, ohne dass man an diese armseligen Blätter denkt.

Bis zu jenem kühlen Sommertag, an dem man sich selbst wie eines jener Blätter fühlt – haltlos, schutzlos, ausgeliefert. Ich stehe bis zu den Knien im kalten Wasser der Drau und habe ein bisschen Angst. An den Füßen kleben Gummigaloschen, die Hand umklammert ein Paddel. Besorgt schaue ich mich nach meinem Sohn um.

Die Strömung ist schneller als erwartet. Kälter als erwartet. Fordernd zerrt das Wasser an den Waden, den Galoschen, dem Boot, dem Kind. Keine Ahnung, wie tief es ist. Keine Ahnung, wie man jemals wieder herauskommt. Und von dem soll ich mich jetzt davontreiben lassen, einfach so? Was, wenn hinter der nächsten Biegung eine Stromschnelle lauert? Oder ein meterhoher Wasserfall?

„Das Wasser tut nix!“, ruft Dani. „Es trägt euch. Glaub mir.“ Dani mit den Sommersprossen. Dani mit den kräftigen Armmuskeln. Dani muss das wissen. Denn Daniela Stabentheiner ist die Expeditionsleiterin unserer Paddeltour.


Paddeln mit feierlichem Ernst

Dani hat recht. Ein paar Minuten später sitze ich im Schneidersitz bequem auf dem Boden eines Schlauchkanadiers, das Ruder lässig in der Hand, und tue – nichts. Die Sonne wärmt die kalt-nassen Füße, am Himmel ziehen Schäfchenwolken dahin, vorn am Bug jauchzt der Sohn. In regelmäßigem Rhythmus und mit feierlichem Ernst sticht er sein Paddel senkrecht ins Wasser – genau so, wie Dani es ihm gezeigt hat.

Aber wenn er keine Lust mehr hat, geht’s auch ohne Antrieb. Das Wasser macht die Arbeit. Man darf nur nicht dagegen ankämpfen. „Geht doch“, grinst Dani. „Wennst dich einmal drauf einlässt, magst gar nicht mehr aufhören.“

Den Ausgangspunkt Oberdrauburg haben wir hinter uns gelassen, nun zieht Irschen vorbei. Den Oberlauf der Drau stören keine Kraftwerke und Schleusen oder Staustufen – vierzig Kilometer weit kann man sich einfach treiben lassen.

Links und rechts lauschige Schotterbänke, von Stauden überwuchert. Manchmal öffnen sie sich zu Seitenarmen in den Auwald hinein. Ein kleiner Impuls mit dem hinteren Ruder reicht, um sanft die Richtung zu beeinflussen. Die einzige Herausforderung besteht darin, zwischen den Brückenpfeilern durchzuzielen.

Sobald man mit dem Paddeln innehält, ist man mit dem Rauschen und Rascheln allein, und man hört die Vogelstimmen. Die renaturierten Drauufer sind heute Naturschutzgebiet. In den Steinen nisten Mönchsgrasmücken, Flussregenpfeifer, Flussuferläufer. Nachts jagen im Totholz angeblich Uhus ihre Beute. Aber jetzt, tagsüber, platscht nur ab und zu eine Kröte ins Wasser, fliegt träge ein Reiher auf.

Noch ein Schubs mit dem Steuerruder, und wir landen an einer Schotterbank. Dani zeigt uns ihren geheimen Lieblingsort: Eine von lila Tamarisken überwucherte Insel. So viel Ruhe. So viel Sicherheit.

Ein Zustand, der menschheitsgeschichtlich betrachtet ziemlich neu ist hier. Jahrhundertelang fürchtete man die Drau, ihre Kraft, ihre Launen. Jedes Frühjahr, wenn in den Osttiroler Bergen der Schnee zu schmelzen begann, schauten die Bewohner der Uferdörfer bang die Hänge hinauf und gleichzeitig hinunter auf den Pegelstand der vielen Flussarme und Flussschleifen: Wie hoch wird das Wasser dieses Jahr steigen? Wird es Überschwemmungen geben, wenn starker Regen dazukommt?

Die Menschen wussten: Sobald die Drau mehr Platz brauchte, würde sie ihn sich einfach nehmen. Dann würde das Wasser in den Kellern stehen, und nachher würde man wieder Schlamm schaufeln müssen. So war das, wenn man am Fluss lebte, von ihm und mit ihm.
Die Drauflößer waren die Helden in der ängstlichen Zeit. Verwegene Männer, mit dem Wasser verwachsen, mit rauen Manieren und kräftigen Oberarmen.

Seit dem 15. Jahrhundert schifften sie jeden Sommer Holz, Holzkohle, Erz, Schindeln oder Kriegsmaterial die Drau hinunter. Schon von weitem erkannte man sie an ihren spitzen Filzhüten, den Hosen, die nur bis zum Knie reichten, und den sieben Meter langen Rudern aus Fichtenholz. Schon von fern hörte man ihre Zurufe – und man konnte zuschauen, wie sie die zwölf Meter langen Flöße in waghalsigen Manövern an spitzen Felsen vorbeischifften.

Noch heute treffen sich jedes Jahr im August die Überlieferer dieser Tradition, um die alten Geschichten beim Flößertreffen zu erzählen. Mit dem Beruf des Flößers ist es seit 1871 allerdings vorbei. Die Drautalbahn konnte das Holz schneller und billiger stromabwärts transportieren. Auch die Flussanrainer wollten mit dem Fluss nicht mehr ringen, sondern ihn bezwingen. Man begradigte seine Ufer, sperrte ihn in eine Betonwanne, rodete die Auwälder, kappte Seitenarme, baute Mauern. Und machte damit alles noch viel schlimmer.


Mutproben am Fluss

Dani kennt das aus den Erzählungen ihrer Eltern. Die Hochwasser der Sechzigerjahre haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Draudörfer eingegraben, sie waren noch verheerender als alle zuvor – weil der Fluss keinen Platz mehr zum Ausweichen hatte und der Boden, der das Wasser hätte aufnehmen können, versiegelt war. Die Flut ergoss sich wie aus einem Wasserhahn und riss alles fort. „An den Fenstern des ersten Stocks sind die Rettungsboote vorbeigefahren“, erzählt Dani.

Der Fluss ist gefährlich, der Fluss ist der Feind, haltet euch von ihm fern – so haben es die Eltern damals ihren Kindern eingeschärft.
Aber die Kinder hielten sich nicht dran, selbstverständlich nicht. Je größer sie wurden, desto heftiger drängten sie ans lockende Wasser, und desto draufgängerischer wurden ihre Mutproben. Dani zeigt auf eine Stelle unter der Brücke: Dort, erzählt sie, habe man ein Seil gespannt, sich ein Holzbrett an den Füßen befestigt und sich damit gegen die Strömung gestemmt. Drau-Surfen, quasi. Die Eltern, grinst sie, hätten uns zu Hause eingesperrt, wenn sie das gewusst hätten.

Danis Generation hat sich den Fluss in den vergangenen 15 Jahren wieder zurückgeholt – als Freizeitort, als Sportgerät, als Teil ihres Lebens. Und sie hat dem Fluss sein Revier zurückgegeben. 1999 startete am Oberlauf der Drau das größte Fluss-Renaturierungsprojekt Österreichs.

Seit der Flusslauf erweitert, der Beton aufgebrochen und die Auwälder aufgeforstet wurden, spürt und hört man in den Dörfern das Wasser wieder. Man radelt an Sonntagen mit der Familie am Fluss entlang. Man setzt sich an lauschigen Sommerabenden ans Ufer und trinkt ein Bier.

Seit das Wasser wieder lebt, sind Tiere gekommen – und Touristen auch. Der Fluss ist kein Feind mehr. Seine Bewohner haben sich mit ihm ausgesöhnt wie mit einem zerstrittenen Verwandten. Man muss sich halt Zeit geben, um einander wieder kennenzulernen. Aber man weiß im Prinzip, dass man zusammengehört.

Inzwischen ist die Abenddämmerung hereingebrochen, es ist kühl geworden, Dani schickt sich an, am Ufer ein Feuer zu machen. Es soll Würstel geben und Steckerlfisch. Mit routiniertem Griff hat sie die Schlauchkanadier festgezurrt, die Ruder verstaut, ein paar schwere Steine und Brennholz zusammengetragen. Unbeholfen versucht man, ihr zur Hand zu gehen. Man bewundert ihre kräftigen, vom Paddeln gestählten Oberarme und die ver­ wegene Lässigkeit, mit der sie sich am Feuer ins Gras fläzt. Man hört den Geschichten zu, die sie erzählt.

Und plötzlich, als man im Dämmerlicht die knielangen Hosen sieht, weiß man, woran Dani einen erinnert: an die Drauflößer. Sie waren nie weg. Der Fluss hat sie nie gehen lassen. Er trägt sie immer noch.