Immer dem Nachwuchs nach!

Kleine Kinder wandern nie dem einen Ziel entgegen. Aber sie wissen genau, wo sie hinwollen. Wir sind unseren Bergführerinnen Anna, 1½, und Ida, 3, einen Nachmittag lang durch die Natur gefolgt.

Text: Benjamin Koffu, Fotos: Andreas Jakwerth, Illustration: Jochen Schievink

Anna ist noch nicht so weit, also müssen wir warten. Aber eben darum geht es bei unserer heutigen Tour: Anna gibt das Tempo vor, sie entscheidet, wo es langgeht und wann. Und jetzt schläft sie eben erst mal. 

Unsere Bergführerin ist eineinhalb Jahre alt und mit ihrem Vater, dem Sportkletterer Bernhard Fiedler, hier. Gemeinsam mit der dreijährigen Ida, der Tochter des Fotografen dieser Geschichte, wird Anna heute die Natur im Föhrenwald über dem niederösterreichischen Bad Vöslau erkunden. Die beiden werden einfach draufloslaufen, uns dahin bringen, wo sie etwas spannend finden, und links liegen lassen, was sie nicht interessiert. (Spoiler: Das ist nicht besonders viel.)  

Für Kleinkinder ist das die logischste Form, sich fortzubewegen. Sie gehen schließlich keinem Ziel entgegen, sondern sind in gewisser Weise immer gerade am Ziel – bis sie das nächste entdecken. Wenn man Kinder hat und mit ihnen draußen unterwegs sein will, muss man das erst einmal neu erlernen und sich darauf einlassen, dass an jeder Weggabelung neu entschieden wird, wohin es weitergeht. 

Sportlich gesehen haben wir uns darum nicht viel vorgenommen. In Zahlen wird der Wandertag am Ende so aussehen: 800 Meter Distanz, 30 Meter Höhendifferenz, zwei Stunden Gehzeit. Ach ja, der Erlebnisfaktor ist hoch, der Schwierigkeitsgrad durchaus anspruchsvoll. Das ist eine Wanderung mit Kindern auf eine schöne Art schließlich immer.  

 

Eine Dreiviertelstunde nachdem wir uns getroffen haben, sind wir jedenfalls immer noch bei der Vöslauerhütte und weiterhin bereit, sobald Anna es ist. Ihre Stimmung nach dem Mittagsschlaf und ein bisschen Obst zum Munterwerden ist dann glücklicherweise blendend. Ohne gute Stimmung geht auf einer Tour mit Kindern nämlich ganz verlässlich gar nichts. 

„Anna, kommst du mit?“, fragt ihr Vater Bernhard sie nach der kleinen Jause, was aber gar nicht nötig gewesen wäre. Anna hat sich schon für den Weg linker Hand entschieden und ist losgelaufen. 20 Meter weiter dann der erste Zwischenstopp: Anna ist auf die Baumzapfen, die hier überall liegen, aufmerksam geworden. Die hier einfach so zurückzulassen geht natürlich nicht. Ida sieht das genauso.

Ein Stück weiter haben die Mädchen darum schon eine Menge von dieser Wanderung mitgenommen, und zwar wortwörtlich. Also stapfen sie mit Zapfen, Blüten und zumindest je einem Ast beladen weiter. In dieser Weise machen wir Meter um Meter, geradeaus, im Zickzack, runter vom Weg und wieder zurück. Alles hier ist schließlich besonders, wenn man es nur genauer betrachtet. Und das machen Kleinkinder schon aus entwicklungspsychologischen Gründen.

Im zweiten Lebensjahr beginnen sie, sich dafür zu interessieren, wie Dinge funktionieren, und erkennen langsam, wie sich Gegenstände unterscheiden. Mit eineinhalb ist dieses Verständnis schon ausgeprägter, ihre Neugierde wächst entsprechend. Ab zwei, drei Jahren beginnt eine besonders spannende Zeit der kindlichen Entwicklung – die sogenannte magische Phase. In der entwickeln Kinder ungeheure Phantasie und denken in einer „magischen Logik“, nach der alles möglich ist. Erinnert ein Baumstamm an einen Drachenhals, ist er auch einer, ähnelt ein Stein einer Schildkröte, klarer Fall: Das ist eine Schildkröte, um die man sich kümmern muss. 

Ida hat neben dem Waldweg einen weiteren Ast gefunden. Er hat die Form eines T, ist um die 15 Zentimeter lang – und jetzt ihre Kamera, mit der sie auf der Suche nach schönen Motiven querfeldein spaziert.

Auf Touren mit kleinen Kindern kann auf diese Art so ziemlich alles ein Highlight sein. Aber alles kann auch schnell wieder uninteressant werden, weil ein paar Meter weiter der nächste Höhepunkt in Sicht ist. Kinderaugen sind in dieser Hinsicht sprunghafter, aber auch viel aufmerksamer, weil keine Vorstellung, die sie sich vor der Tour zurechtgelegt haben, sie ablenkt.  

Nach einer halben Stunde Wanderung liegt jedenfalls ganz klar ein Highlight vor uns, aus Erwachsenenperspektive jedenfalls. Ein Stück über der Vöslauer Hütte öffnet sich der Wald. Es wird felsig, und man hat einen tollen Ausblick Richtung Schneeberg und auf die Wiener Hausberge.  

 

Den Kindern ist das aber völlig egal. Was irgendwo da hinten, 30, 40 Kilometer Luftlinie entfernt, zu sehen ist – wen bitte schert das? Anna und Ida wollen lieber am Schotter zwischen den Steinen herumrutschen. Wobei das – wieder aus Erwachsenenperspektive – keine besonders gute Idee ist, denn wer hier wirklich einmal ins Rutschen gerät, kommt ziemlich sicher erst ein ganzes Stück weiter unten wieder zu einem Halt. Dann überlegt es sich Anna aber ohnehin anders, macht kehrt, stößt ein bestimmtes „Da!“ aus und stapft zurück in den Wald, Ida hinter ihr her. Die Mädchen schlüpfen zwischen Gebüschen durch, klopfen mit Stöcken gegen Baumstämme und freuen sich über die Geräusche, die das ergibt.

Während am Wegesrand gespielt und experimentiert wird, erzählt Bernhard Fiedler, wie seine Frau und er mit Anna Ausflüge in die Natur machen. Annas Wortschatz bestehe zwar vor allem aus „Aua“, „Mama“, „Papa“, „da“ und natürlich „Anna“, sagt er, aber sie könne auch so sehr gut vermitteln, was sie gerade will. „Wenn sie sich in einer Umgebung sicher fühlt“, sagt Bernhard, „beginnt sie, diese auf eigene Faust auszukundschaften. Dabei muss man sie natürlich begleiten.“

Hier im Wald fühlt sich Anna sichtlich wohl und hat sich nun einen steilen, erdigen Pfad rauf zum Jubiläumskreuz vorgenommen. „Lass den Stock liegen, wenn du da raufgehst“, ruft Bernhard ihr nach. Aber das wird nichts, also muss ihr Papa Anna mit beim Aufstieg mit den vollen Händen helfen. Beim Kreuz angekommen, gibt es für unsere kleinen Bergführerinnen eine Pause samt Stärkung. Danach führt unser Weg wieder Richtung Hütte. Die Mädchen verstecken sich hinter Bäumen und Büschen, riechen an blühenden Felsenbirnensträuchern, inspizieren Nadeln kleiner Föhren und Baumkeimlinge neben dem Weg. Sie lassen sich treiben. Und wir auch.

Weiterwandern mit Anna und Ida

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