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Foto: Carlos Blanchard
Wandern in Südtirol

Pfunderer Höhenweg: Durch die grünen Berge

• 17. Juni 2022
6 Min. Lesezeit

Wer den Pfunderer Höhenweg geht, braucht Kondition: Sechs Tage lang steigt man steile Wiesen und Wälder hoch. Scharten führen einen zu Hütten, Gipfeln und Seen. Die Berge sind bekannt für ihre einzigartige Flora und Fauna, Menschen trifft man allerdings eher selten.

Barbara Bachmann für das Bergwelten-Magazin Juni/Juli 2019

Langsam legt sich der Abend über den Wald und wirft seine Schatten auf das Tal. Hier oben auf der Simile-Mahd-Alm scheint noch die Sonne. Am Horizont ein Hirte, unter dem Tisch liegen Rex und Lucky – der eine Hund passt auf die Herde auf, der andere aufs Haus.

Es ist kurz vor 18 Uhr, als müde Wanderer und Radler selbst gemachten Pfefferminzsirup trinken und immer hungriger werden. Ihre großen Rucksäcke verraten, dass sie keine Tagestouristen sind.

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Erster Tag

In der Küche kocht Thomas das Abendessen. Zuvor hat seine Freundin, Jungwirtin Lisa, die Gäste gefragt, ob sie Speckknödel, Pasta all’amatriciana oder Gerstensuppe möchten. Lisa und Thomas, beide 22, bewirten nun den zweiten Sommer die Alm von Lisas Vater.

Täglich bereiten sie Hausgemachtes zu. Zum Beispiel die Käseplatte aus der Milch der almeigenen Kühe: Schnittkäse aus Vollmilch, Frischkäse, der wie Mozzarella schmeckt, Graukäse, Schnittlauchbutter. In der rustikalen Stube, in der noch so manches an Großmutters Zeiten erinnert, werden schon erste Bekanntschaften geschlossen. 

Die köstliche Jause auf der Simile-Mahd-Alm
Foto: Carlos Blanchard
Hausgemachte Köstlichkeiten von der Milch almeigener Kühe warten in der Simile-Mahd-Alm.

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Es fallen Fragen wie: „Geht ihr den ganzen Weg?“ Die Rede ist vom Pfunderer Höhenweg, der über die Pfunderer Berge die Südtiroler Kleinstädte Sterzing und Bruneck verbindet. Für die fünf bis sechs Tage lange Strecke auf zum Teil weglosem Gelände mit großen zu bewältigenden Höhenunterschieden ist eine sehr gute Kondition erforderlich, ebenso Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. 

Jede Etappe hat ihren Reiz – da ist es alpin, dort steht eher die Fauna oder Flora im Vordergrund. Der ganze Weg ist reich an Kontrasten: zwischen schroffen Felsen und grünen Almmatten, zwischen Wildheit und sanfter Schönheit.

Sechs Wanderer spüren den ersten Tag in ihren Beinen, 1.600 Meter Aufstieg über Wiesen und Wälder, vorbei an grasenden Kühen, an süßen Heidelbeeren, an zirpenden Grillen. Am Trenser Joch ist der herrliche Blick die Belohnung für die Anstrengung, bald darauf geht es steil bergab zur Alm.

Wer einen Höhenweg jenseits abgetretener touristischer Hauptströme sucht, der ist in den naturbelassenen Pfunderer Bergen richtig. Auf Empfehlung sind deshalb auch Melli und Theresa hier, zwei Freundinnen aus Reutlingen. Miriam und Andreas aus der Nähe von Frankfurt haben es vor zwei Jahren nur bis zur zweiten Etappe geschafft – diesmal wollen sie den Weg zu Ende gehen. 

Neben ihnen sitzen zwei sportliche Freunde aus dem Schwarzwald, die zusätzlich zu den Metern des Höhenwegs noch Gipfel sammeln. Erste Erkenntnis dieses Tages: Zwei T-Shirts reichen – alles wiegt schwer nach Stunden des Tragens. Die zweite: Wie gut schmeckt ein Teller Spaghetti mit Tomatensauce nach einem langen Fußmarsch!

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Zweiter Tag

Die Pfunderer Berge nennt man auch „grüne Berge“, da sie bis zu den Kämmen hin mit Gras bewachsen sind. Zuweilen fühlt man sich wie im Auenland, nur dass man statt auf Hobbits eher auf Murmeltiere trifft. Und auf Alpenblumen. Edelweiß, Enzian, Türkenbund. Alpenrose, Schafgarbe und Frauenmantel. 

Zart und beständig wachsen sie auf Gesteinen wie Gneis, Glimmerschiefer und Granit. Ein sensibles natürliches Gleichgewicht. Am Senges Joch machen wir zwei Bekanntschaften: die erste mit Raimund Seebacher, einem 63-jährigen, groß gewachsenen Wanderführer mit Brille und steingrauen Haaren. 

Laut den Hüttenwirten kennt kaum ein anderer den Weg so gut wie er. Unzählige Male ist er Abschnitte davon gegangen, ein paar Mal auch den ganzen Weg am Stück. Außerdem lernen wir heute einen der schönsten Plätze des gesamtes Weges kennen: den Wilden See, 46 Meter tief, so tief wie kein anderer Bergsee Südtirols.

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Blick in das alpine Gelände des Rauhtaljochs
Foto: Carlos Blanchard
Auf dem Rauhtaljoch bietet sich ein spektakulärer Weitblick. Wie ein Ölgemälde präsentieren sich die weit nach oben bewachsenen Berge.

„Um ihn gibt es viele Legenden“, erzählt Raimund. Andreas Hofer etwa soll im See einen Pfeil versenkt haben. Früher hätten die Menschen große Angst vor dem See gehabt, weil er vor einem Gewitter wie ein verlässlicher Bote grolle, ja brülle. Sicher ist: Der Wilde See ist beeindruckend groß.

Verlassen liegt er da, unnahbar. Oft bedecken noch im Hochsommer zerrissene Eisschollen seine Oberfläche. Den See im Blick, geht man weiter, vorbei an der höchsten Erhebung der Pfunderer Berge. „Am zweiten Tag die Kreuzspitze mitzunehmen ist ein Muss“, meint Raimund, also steigen auch wir auf den 3.134 Meter hohen Gipfel. 

Der Pfunderer Höhenweg sei kein einfacher Wanderweg, oft werde er auch unterschätzt. Als Mitglied der Bergrettung weiß Raimund von einigen Einsätzen zu berichten. Nach dem Abstieg eröffnet sich eine Aussicht auf die Zillertaler Gletscher Hochfeiler und Hoher Weißzint, während die Wanderung über Blockgletscher durch das Rautal führt. 

Schilder ermahnen die Wanderer, auf dem Weg zu bleiben, außerhalb drohen Eislöcher. Nun ist das Etappenziel Brixner Hütte nicht mehr weit. Wirtin Martha Oberhofer, 67, kurze Haare und kräftige Arme, begrüßt Raimund freundlich, die beiden kennen sich seit Jahren. Schließlich sind Martha und ihr Mann Willi schon den 45. Sommer hier oben.

Jahr für Jahr. Ihren Sohn haben sie als Baby bei der Oma im Tal gelassen, wenn sie in die Berge gegangen sind. Heute ist Wolfgang, der 40-jährige Junghüttenwirt, genauso wie die Mutter meist in der Küche zu finden. Die Höhenwanderer vertreiben sich am zweiten Abend die Stunden beim „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel in der getäfelten Stube. Und Martha erzählt von den Anfängen des Höhenwegs – seit vierzig Jahren gibt es ihn auf Initiative des Alpenvereins Südtirol.

Die Wanderer wurden mit den Jahren mehr, aber immer noch sei der Weg nicht überlaufen. Ein Grund ist das stabile Wetter, das man braucht, um ihn in voller Länge bewältigen zu können; die Nähe zum Hauptkamm sorgt jedoch für viel Niederschlag.

Der Pfunderer Höhenweg

Dritter Tag

Schiefer knirscht unter den Bergschuhen, daneben wachsen Blumen mit märchenhaften Namen wie Rhätischer Alpen-Mohn oder Stumpfblättrige Weide. „Das sind Schuttbefestiger“, erklärt Raimund. Dort, wo der Pfunderer Bach entspringt, seinem „Lieblingsplatz“, verabschiedet sich der Wanderführer.

Ganz allein bleibt man freilich nicht lange: Eine grasende Pferdeherde ist eine schöne Gelegenheit, zu rasten. Die weitere Fauna auf der heutigen Strecke: eine Gämse, ein Adler auf der Jagd, ein Bartgeier. Auf dem Pfunderer Höhenweg, so scheint es, sind mehr Tiere als Menschen unterwegs.

Melli und Theresa und die Sportler aus dem Schwarzwald haben sich heute morgen zur Edelrauthütte aufgemacht: neun bis zwölf Stunden Marsch, je nach Kondition; das alpinste und schwierigste Stück des Weges. Ein Teil wird von manchen „der Wilde Westen des Pfunderer Höhenwegs“ genannt.

Man kann die Strecke auch aufteilen und zum Walter-Brenninger-Biwak absteigen. Dort übernachten Miriam und Andreas. Das Biwak war früher ein Schafstall – für den Höhenweg wurde er zur Notunterkunft für bis zu acht Personen umgebaut. Fürsorglich ist es mit dem Notwendigsten eingerichtet. Wer hier vorbeirennt, der verpasst ein zuckersüßes Häuschen – und heute den Regen, der auf das Schindeldach prasselt. Noch lange wird im Trockenen dem Gewitter gelauscht.

Der Nebel hängt zwischen den Bergen und sorgt für eine mythische Stimmung.
Foto: Carlos Blanchard
Zuweilen fühlt man sich landschaftlich wie im mythischen Auenland.

Vierter Tag

Nebel bedeckt das Tal, darüber zeigt sich blauer Himmel. Das Kaffeepulver bleibt im Rucksack, stattdessen gibt es richtigen Kaffee, den der freiwillige Biwakwart hiergelassen hat. Seit vielen Jahren kümmert er sich liebevoll um die Instandhaltung, füllt Vorräte von Nudeln und Keksen auf. Das Hüttenbuch ist voll mit Danksagungen an ihn.

Wieder auf dem Höhenweg zurück, arbeitet man sich über mächtige Blockhalden kletternd zur Gaisscharte hinauf, von der schon Raimund erzählt hat. Tatsächlich ist sie sehr schmal, mit seinem Rucksack passt man gerade noch durch. 30 Meter geht es auf der anderen Seite hinunter – steil, aber gesichert. Auf einmal ist ein Geräusch zu hören; als würden Steine aufeinanderprallen. Tatsächlich sind es Steinböcke: drei Steingeißen, drei Steinkitze und ein Bock. Der Blick auf den Eisbruggsee ist einer der Höhepunkte des Tages.

Und etwas oberhalb liegt die ausgefallene Edelrauthütte auf 2.545 Metern. 2016 wurde sie auf dem Eisbruggjoch neu errichtet, ein hochmodernes Klimahaus mit 73 Schlafplätzen und großer Glasfront, von wo man eine spektakuläre Sicht auf gleich zwei Täler hat: das Pfunderer Tal und das Ahrntal. 

Kaum sind wir in der Hütte angekommen, verdunkeln sich die Wolken. Ein Gewitter zieht von einem Tal zum anderen – ein Naturspektakel, unterhaltsamer als so mancher Kinofilm. Kulinarische Spezialität der Edelrauthütte sind die Nudelgerichte. Die Erste-Hilfe-Pfanne etwa mit scharfer Salami und Peperoncini. „Ist sie zu scharf, bist du zu schwach“, steht in der Speisekarte, aber wer diese Etappe des Höhenwegs hinter sich hat, ist alles andere als schwach.

Der Weg zur Brixner Hütte

Fünfter Tag

Nach einem reichhaltigen Frühstück führt der Weg zuerst eine Stunde lang Richtung Tal. Statt dem Grau der Steine sieht man nun vermehrt wieder grün, wandert für Stunden Almen und Blumenwiesen entlang. „Besonders im Juli ist diese Etappe eine Blütenpracht. Der Geruch steigt einem in die Nase“, hatte Raimund vorgeschwärmt.

Nach einem Fußmarsch von gut sechs Stunden erreicht man über ein großes Fernfeld und die Hochsägescharte die Tiefrastenhütte, idyllisch am gleichnamigen See gelegen. Es ist die letzte Hütte auf dem Höhenweg, nach knapp 6.000 Höhenmetern und rund 70 Kilometern.

Sechster Tag

Der Abstieg fällt schwer. Nicht nur, weil er sieben Stunden dauert und anstrengend ist (und das ist er: Bei welchem Abstieg nimmt man denn sonst noch einen Gipfel mit, wie hier den 2.396 Meter hohen Sambock?). Der Abstieg fällt vor allem deshalb schwer, weil er den Abschied einleitet vom einsamen Reich der Pfunderer Berge.

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