Mit Skiern über den drittgrößten See Finnlands
Foto: Jens Wehofsky
(K)eine läppische Wintertour: Yvonne und Jens wollten einmal im Leben mit Pulkas durch Lappland wandern, um die Nordlichter zu sehen. Geträumt, getan! Zum Ziel wurde der Inarisee nördlich des Polarkreises erkoren. Hier ihr Reisebericht über Nächte mit minus 24 Grad und große Himmelsspektakel.
Text: Jens Wehofsky
Nachdem wir, Yvonne und Jens, durch einen dummen Zufall Julia und Andreas kennengelernt hatten, stellten wir bald fest, dass wir Vier einen gemeinsame Traum haben: Einmal mit einem Pulka unterwegs zu sein und Nordlichter sehen. Nicht reden, sondern machen ist unsere Devise. Zwei Monate später, im Februar, stehen wir deshalb am Flughafen in Ivalo im Norden Finnlands (Lappland). Wir sind immer noch ungewiss, was uns erwartet, aber es kann losgehen!
Tag 1: Auf wackeligen Beinen auf den See
Während Andreas und Julia ihre mitgebrachten legendären Paris-Pulkas beladen, holen wir unsere gemieteten Pulkas noch im Ortszentrum ab. Im nahegelegenen Supermarkt und an der Tankstelle machen wir die letzten Besorgungen, bevor wir auf schmalen Langlaufskiern und wackeligen Beinen das erste Mal den Inarisee, den drittgrößten See Finnlands, betreten.
Es ist ein komisches, aber auch befreiendes Gefühl, etwas hinter sich her zu ziehen und nicht auf dem Rücken zu tragen. Als Ziel wählten wir nicht zufällig den 100prozentig flachen See, habe ich doch auf Skiern noch nie eine besonders gute Figur abgegeben. Doch meine Mitstreiter stellen sich auch nicht gerade sicher an, so sind die ersten Schritte für alle gewöhnungsbedürftig. Unser heutiges Etappenziel ist weithin sichtbar.
Die Insel Ukko ragt wie eine Haiflosse aus dem See und ist am Nachmittag erreicht. Wir stapfen auf den 30 Meter hohen Aussichtspunkt und genießen bei einem warmen Tee den 360-Grad-Rundblick. In der Ferne erkennen wir schon unser geplantes Camp, das wir eine Stunde später erreicht haben. Es ist noch nicht einmal 16 Uhr und wir müssen schon die Stirnlampen zücken. Bevor wir die 22 Zentimeter langen Eisschrauben in die Eisdecke schrauben können, muss eine zehn Mal zehn Meter große Fläche von Schnee befreit werden. Wir kommen dabei ordentlich ins Schwitzen, doch eine Stunde später stehen beide Zelte – ordentlich fixiert mit Heringen, die in den schrägen Schraubenlöchern stecken. Wir verziehen uns in die Zelte, ziehen uns um und genießen am warmen Kocher den Duft des heutigen Abendessens. Eines ist uns klar, morgen müssen wir zeitiger aufstehen, um mehr vom Tag zu haben.
Tag 2: Staunen statt sprechen
„7 Uhr, aufstehen!“ Ein grässlicher Weckruf aus dem Nachbarzelt beendet die erste eisige Nacht bei -20 Grad. Das Setup aus Daunenschlafsack, Inlett, Taschenofen und Heizsohlen hat uns gut durch die Nacht gebracht. Der warme Kaffee bringt Leben in die Glieder und gestärkt vom Frühstück sind wir um 10 Uhr abmarschbereit. Auch dieser 2.Tag auf dem Inarisee bleibt bewölkt, aber ohne Niederschlag. Die Männer ziehen eine Loipe in den Schnee, die Frauen folgen. Langsam, aber sicher kehrt Routine in den Bewegungsablauf ein. An große Mittagspausen ist nicht zu denken, wir machen mehrere kleinere Pausen mit schnellen Snacks und einem warmen Tee. Trotz eisiger Temperaturen ist uns beim Skiwandern nie kalt. Das Ziehen der Pulkas ist eine sehr ausgewogene Aktivität, bei der man weder friert noch sonderlich schwitzt.
Mit jedem Kilometer weg von Inari werden die Wochenendhütten und Menschen weniger. Die weitläufige Landschaft lässt uns des Öfteren innehalten, wir bleiben stehen und genießen einfach. Da bedarf es keiner Worte. Jeder für sich ist mit seinen Gedanken allein. Am frühen Nachmittag und nach 15 Kilometern finden wir eine passende Stelle am Ufer. Dieses Mal haben wir mehr Zeit fürs Beseitigen der Schneedecke Aufstellen der Zelte. Am Abend entfachen wir ein kleines Lagerfeuer, um am aufklarenden Nachthimmel vielleicht Nordlichter zu erspähen. Dann ist es soweit. In der Ferne zieht ein leuchtend grüner, aber schwacher Schweif über den Horizont. Keiner zückt die Kamera, alle stehen nur staunend da. Was für ein Tagesabschluss.
Tag 3: Mühsamer Weg, grandioses Ziel
Die vergangene Nacht war nochmals kälter und schon grenzwertig. Es ist noch dunkel, erst gegen 9 Uhr wird es langsam hell. Der starke Wind der letzten Tage hat nachgelassen, was unserem heutigen Streckenverlauf sehr entgegen kommt. Wir müssen den Inarisee vom Nordufer nach Süden queren und bewegen uns hier auf sehr exponiertem Gelände. Trotz Garmin und Landkarte müssen wir immer wieder stoppen und den Routenverlauf neu diskutieren.
Alle Inseln sehen irgendwie gleich aus, im Zickzack bewegen wir uns durchs Inseldickicht. Unser sowieso schon hoch angesetztes Tagespensum muss um drei Kilometer erhöht werden. Das nervt ein wenig, aber wie immer ist der Weg das Ziel. Die heute anvisierte Wildhütte liegt am Mittag immer noch 15 Kilometer entfernt. Erschwerend kommt hinzu, dass wir nun immer wieder permanent anhalten und die Szenerie genießen, die seit zwei Stunden erstmals in der Sonne erstrahlt und wir somit noch mehr Zeit verlieren.
Wir müssen umdisponieren, die Hütte Kahkusaari liegt in fünf Kilometern Entfernung und kann noch im Hellen erreicht werden. Vor Ort erwartet uns eine neugebaute, gut isolierte Hütte nahe dem Seeufer. Pünktlich zur Dämmerung gegen 16 Uhr sitzen wir am breiten Panoramafenster und beobachten den Sonnenuntergang. Die Nacht ist klar und sehr kalt und zum ersten Mal erblicken wir deutliche und lang anhaltende Nordlichter. Was für eine Magie, die da am Himmel abgeht.
Tag 4: Alte Hütte, beste Stimmung
Der Blick auf das Außenthermometer bestätigt unser Gefühl, dass es nachts immer kälter wird. 24 Grad unter Null. Eine hitzige Diskussion beginnt bereits am Frühstückstisch, was die nächsten Tage denn die bessere Unterkunft sei. Eins ist klar, unwohl fühlen und frieren soll keiner, also steuern wir die nächste Hütte Kärppätupa an.
Bei viel Sonne gibt es Pausen und Fotostopps ohne Ende, purer Hochgenuss. Wir befinden uns nun auf der Mitte des Sees, es weht kaum noch Wind, in der Stille ist immer wieder lautes Knacken des Eises zu hören und ab und zu auch zu spüren. Am frühen Nachmittag erreichen wir die Hütte, dieses Mal älterer Bauart mit kleinen Fenstern und sehr verräuchert. Wir heizen erst einmal die Hütte auf, sortieren uns und verbringen den Rest des Tages mit Holz hacken, Erkunden der Umgebung und gemütlichem Beisammensein in der mittlerweile wohlig warmen Hütte.
Bei Kerzenschein sitzen wir am Abend noch eine Weile am Ofen und reden über weitere Reisevorhaben. Wir vier harmonieren wirklich gut, es gibt kaum Streitereien, wir ticken irgendwie gleich und lernen uns in diesem Urlaub noch näher kennen.
Tag 5: Der See (fast) für uns alleine
Ich habe in der Hütte zwar gut geschlafen, doch bereits jetzt beim Aufstehen ist mir klar – das nächste Mal übernachte ich wieder im Zelt. Dort schlafe ich am liebsten. Es wird ausgedehnt gefrühstückt, die Hütte gereinigt, das Zeug gepackt und mit den ersten Sonnenstrahlen stehen wir wieder auf unseren Brettern. 18 Kilometer trennen uns von der Hütte Jääsaari. Nach zwei Tagen Nord-Süd-Querung schlagen wir nun wieder den Rückweg ein, die Insellandschaft wird wieder dichter und unübersichtlicher.
Erstaunlicherweise sind wir bis jetzt auf keine anderen Skiwanderer getroffen, einzig Motor- und Hundeschlittenspuren zieren den Schnee. Das wundert uns, denn mit dem relativ dichten Hüttennetz kann man hier durchaus auch eine Skitour ohne Zelt machen. Um 15 Uhr erreichen wir die kleine, urige Hütte, die für vier Personen gerade ausreichend Platz bietet. Bevor die Sonne untergeht, bauen wir auf dem See noch schnell das Zelt auf. Am späten Abend nach einem gemütlichen Lagerfeuer verziehen wir uns ins Zelt und kuscheln uns tief in die Schlafsäcke ein.
Tag 6: Eine Eishöhle, ein Rentier und eine eisige Nacht
Andreas ist mal wieder der erste, der aufsteht, ich dagegen drehe mich noch einmal um und dehne die Aufwachphase ein bisschen aus. Heute steht uns ein Highlight auf der Tour bevor. Die Eishöhle Korkia Maura liegt auf halbem Weg. Wir brechen zeitiger als sonst auf, denn 21 Kilometer sind angesagt.
Nach zwei Stunden erreichen wir die gleichnamige Insel Korkia Maura, wo auch ein kleines Camp angelegt ist. Viele Fußspuren, aber kein Hinweis auf die Eishöhle. Wir folgen einigen Spuren und geben mit der Suche bald auf. Sollte der Umweg umsonst gewesen sein? Ein letzter Blick hinter einen Felsen und siehe da, versteckt dahinter der Eingang über eine Leiter. Vier Meter weiter unten am Boden befindet sich eine vier mal sieben Meter große Eisfläche, die sogar den Sommer überdauert. Sie diente früher als natürlicher Kühlschrank und Lagerplatz für Fisch. Bald stehen wir wieder auf unseren Skiern und haben mit der Höhlensuche mehr Zeit als geplant vertrödelt.
Es ist Mittag und vor uns liegen noch 16 Kilometer. Wir machen zwar Zeit gut, doch beim Anblick eines einsamen Rentiers müssen wir halten. Es ist neben einem Fuchs das einzige Tier, das wir hier oben bis jetzt gesehen haben. Gegen 14 Uhr entscheiden wir, eine andere Hütte namens Petäjäsaari anzulaufen. Diese liegt 4 Kilometer näher und so sparen wir effektiv eine Stunde und kommen im Hellen an.
Die große Hütte ist bereits von einem anderen Skiwanderer belegt, deshalb beziehen wir einen Neubau. Es dauert ganze zwei Stunden, die schlecht isolierte Hütte von minus 13 auf 20 Grad aufzuheizen. Alle sitzen fröstelnd um den Ofen. Am Gasherd bereiten wir erst einmal warme Mahlzeiten zu, die uns von innen wärmen sollen. Endlich ist es gemütlich geworden, wir haben unsere Isomatten auf dem Boden ausgebreitet und entscheiden, die Nacht durchzuheizen. Abwechselnd stehen wir in der Nacht auf um nachzulegen.
Tag 7: Der Kreis schließt sich
Der Plan sah es eigentlich vor, heute in der Nähe von Inari zu nächtigen, um tags darauf heim zu fliegen. Das, was wir gestern abgekürzt haben, müssten wir heute zusätzlich zurücklegen. Wir planen deshalb um. Bald kreuzen wir wieder den See, um ans Nordufer zu gelangen, wo die Pielpavuono Hütte liegt. Rechts von uns erkennen wir die Haifischflosse in der Ferne, der Kreis schließt sich. Während ich wehmütig den letzten vollen Tag auf den Skiern genieße, merke ich doch ein wenig, dass es den Frauen reicht. Die Kälte muss man eben mögen. Trotzdem sind wir stolz auf sie! Sie haben es durchgezogen ohne zu jammern.
Vor der Hütte rastet eine kleine Rentierherde. Drinnen packen wir alles aus und um, sodass wir uns morgen Früh nur noch anziehen müssen und gleich loslaufen können. Der Gedanke, um 7 Uhr ohne Frühstück zu starten, ist schrecklich, aber dafür haben wir so noch viel Zeit, um in Inari im Hotel zu frühstücken. Wir brauchen unsere letzten Reserven auf und gehen heute zeitiger als sonst üblich ins Bett, quatschen aber noch in der Horizontalen und lassen den Urlaub Revue passieren. Bald sind wir alle eingeschlafen, nur Yvonne wird die Nacht noch einmal aus dem Schlaf gerissen, weil sie von der Schlafbank gefallen ist.
Tag 8: Mit dem Sonnenaufgang nach Hause
Sanft werden wir von Andreas geweckt und keine Stunde später stehen wir auf den Skiern, die Stirnlampen sind eingeschalten, es ist noch dunkel. Mit jedem Meter, den wir Inari näher kommen, geht die Sonne auf. Der Himmel ist blutrot, was für ein Abschluss dieser abenteuerlichen Tour. Um 9 Uhr erreichen wir das Hotel, frühstücken wie geplant ausgedehnt. Gegen 11 Uhr bringt uns der Transferbus wieder nach Ivalo, wo unser Flug nach Hause das Urlaubsende verkündet.
Infos und Adressen: Inarisee im Norden Finnlands
Inarisee
Der drittgrößte See Finnlands (Finnisch Inarijärvi, auch „Threethousand Island Lake“ genannt) liegt auf der Höhe von Murmansk, das rund 150 Kilometer entfernt ist, nahe der russischen Grenze. Er ist 40 mal 80 Kilometer groß und ist bis zu 92 Meter tief. Im gleichnamigen Ort Inari erhält man alles, was man für ein Outdoor-Abenteuer braucht: Gaskartuschen, Benzin, Lebensmittel, Kanus, Pulkas, Unterkünfte und Souvenirs. Im See ist Stippfischen ohne Permit erlaubt. Um den See gilt wie überall in Skandinavien das Jedermannsrecht.
Reisezeit
Februar oder November sind ideal, weil man ein wenig Sonne (6 Stunden) hat, die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der See schon bzw. immer noch gefroren ist und in dieser Zeit Polarlichter am häufigsten vorkommen. Es kann nachts bis zu -40 Grad kalt werden. Die Kälte ist aber trocken und somit angenehm.
Anreise
Idealerweise und schnell mit dem Flugzeug von Frankfurt, München oder Berlin über Helsinki nach Ivalo (Finnair). Lufthansa fliegt im Winter sogar jeden Samstag direkt nach Ivalo. Von Ivalo (Zentrum) fährt ein günstiger Linienbus für ca. 8 Euro nach Inari, aber teils zu ungünstigen Zeiten. Ein Privattransfer vom Airport kostet pro Weg 27 Euro und kann hier angefragt werden: ilmari.slant@pp.inet.fi
Ausrüstung
Auf Vasatokka kann man sich Pulken für 75 Euro pro Woche mieten. Bringt man sein Equipment selbst mit, müssen Skier und/oder Pulka bei der Airline angemeldet werden – der Transport kostet extra. Bei Finnair 30 Euro für zwei Pulkas und 30 Euro für vier Paar Ski, alles pro Weg. Ein Muss sind warme Schlafsäcke mit Komfortbereich -15 Grad abwärts und eine dicke Isomatte. Zusätzlich sind wärmende Teile wie Taschenofen und Heizsohlen von Vorteil. Bei der Kleidung sollte man sich an das Zwiebelprinzip halten. Ein Benzinkocher ist wesentlich kälteunempfindlicher als ein Gaskocher. Wenn man auf dem Eis zeltet, macht ein freistehendes Zelt Sinn, oder eine Eisschraube einpacken und schräge Löcher bohren. Die Heringe in den Löchern kann man zusätzlich mit Schnee oder Stöckchen fixieren.
Übernachten
Für die Vor- oder Nachübernachtung bietet Inari genügend Unterkunftsoptionen, preislich wie qualitativ hat man die Auswahl. Während der Tour kann man im Zelt schlafen oder die kostenfreien Hütten (open wilderness huts / lapp pole tents). Einen Überblick sowie die Benutzungsordnung findet man hier: www.nationalparks.fi
Blog von Jens und Yvonne: www.taeve-supertramp.de
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