Georgien im Winter – Powdern mit Fünftausendern
Georgien steht bei Reise-Fans hoch im Kurs – auch im Winter! Da wird die naturgewaltige Kaukasusrepublik zum urigen Powder-Paradies für Freerider und Skitourengeher. Daniel Kudernatsch hat mit Splitboard, Bergführer und Freunden die Bergregion Swanetien erkundet.
Bam! Unser allradgetriebener Mitsubishi Delica ist gerade mit einem lauten Knall aufgesessen. Obwohl der Minibus sehr viel Bodenfreiheit hat und unser Fahrer Georgi für gewöhnlich genau weiß, was er tut. Aber die Straße von Mestia nach Uschguli ist heute besonders, naja, ruppig. Als Westeuropäer, der auf den heimischen Bergpässen polterfreien Asphalt gewohnt ist, könnte man auch sagen: aufregend. Irrwitzig. Lebensbedrohend! Ganz vorne sitzt neben Fahrer Georgi unser Mountain-Guide Mischa. Der beruhigt uns: Alles normal, wir werden schon nicht in die Schlucht neben uns stürzen. Na hoffentlich! Klar – für ihn ist die eineinhalb Stunden dauernde Fahrt durch diesen Teil Swanetiens Routine.
Skitourenstart im UNESCO-Welterbe
Warum wir uns die abenteuerliche Reise von Mestia, unserem Stützpunkzt, nach Uschguli antun? Weil der Ort am Fuße des Schchara liegt, dem mit 5.200 Meter höchsten Berg Georgiens, und es dort besonders spektakuläre Tourenmöglichkeiten für Splitboarder und Skitourengeher gibt. Und weil Uschguli, UNESCO-Welterbe, mit seinen 500 Jahre alten Wehrtürmen und engen Gassen, in denen Kühe, Pferde, Schweine und Hunde herumspazieren, so pittoresk und wunderschön sein soll, dass man es gesehen haben muss.
Um etwas Spannung rauszunehmen: Wir kommen tatsächlich lebend in Uschguli an. Und man muss es wirklich gesehen haben! Es ist neun Uhr morgens, als wir unsere Felle montieren und westlich des Ortes unsere Tour beginnen. Wir sind nicht die einzigen. Swanetien ist kein Geheimtipp mehr, man begegnet Spaniern, Skandinaviern, Deutschen und Italiener – halb Europa ist da und alle wollen Powder fahren und hohe Gipfel erklimmen. Heute herrschen dafür perfekte Bedingungen: Zwanzig Zentimeter Neuschnee im Tal, auf über 2.000 Meter Seehöhe, oben sicher das doppelte davon, dazu Sonnenschein und null Wind. Guide Mischa nutzt anfangs eine schon gelegte Spur, welche weit Richtung Schchara-Gletscher führt. Wir kommen flott voran – die Höhe spüren wir kaum, schließlich haben wir uns schon die Tage davor akklimatisiert.
Irgendwann verlassen wir dann die Route der Gruppen vor uns und Mischa stapft im immer tiefer werdenden Schnee wie eine Maschine voraus. Wir höchst motiviert hinterher, denn keine alte Spur heißt: wir haben heute einen Gipfel für uns alleine. Nach gut 10 Kilometern und 700 Höhenmetern kommt uns ein Hund entgegen. Nein, kein Rettungshund, sondern einer dieser robusten, freundlichen und in den Dörfern allgegenwärtigen Streuner, die einfach auch mal raus aus dem Ort wollen – er bekommt was von meinem Müsliriegel ab, dafür wird er uns dann wieder im Tal begrüßen.
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Ein Gipfel für uns alleine
Der Aufstieg ist übrigens ein Erlebnis. Aber auch anstrengend, da er sich lange hinzieht. Schritt für Schritt entblößen sich auf den weiteren 600 Höhenmetern die umliegenden Berg-Giganten. Nach einem letzten steilen Hang stehen wir endlich auf dem langgezogenen, namenlosen Gipfel.
Und sind baff. Wir sehen weit im Norden den Elbrus, den mit 5.600 Metern höchsten Berg Europas – viel höher als der Mount Blanc – , davor den ikonischen Uschba, vor uns den Tednuldi, eine 4.900 Meter hohe Pyramide aus Eis. Im Süden liegt, getrennt durch eine Tiefebene, der kleine Kaukasus. Nordwestlich von uns und zum Greifen nahe, der Schchara – eingebettet in einem zwölf Kilometer langen Bergzug, der Besingi-Mauer. Gletscher an der Süd- und Nordseite machen deutlich, wie hoch und gewaltig das Massiv im Herzen des Kaukasus aufsteigt.
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Schwerkraft als Tempomacher
Die Abfahrt: So wie man es am liebsten hat. Der Gipfelhang steil, der Schnee tief, und weil es der einzige Hang mit südseitiger Ausrichtung ist, auch etwas schwerer. Mischa wartet bei der ersten Kuppe, dann folgt ein schattiger Canyon, den man durchsurfen kann. Es gibt Kanten, die für Sprünge wie geschaffen sind, und der Schnee ist jetzt so leicht, dass ich ihn mühelos mit meinem Board verdränge. Dann kreuzen wir unsere Aufstiegsspur, es folgt ein offenes Feld bei dem ich die Schwerkraft wirken lasse und endlos weite Schwünge ziehe. Unser Guide Mischa verzichtet auf überflüssige Zwischenstopps und so cruisen wir die 1.400 Höhenmeter in wenigen Minuten hinunter. Im Tal können wir unser Grinsen gar nicht mehr abstellen. Die Vier Stunden Aufstieg? Waren doch schön! Dass wir wieder anfellen und fast eine Stunde aus dem Tal rausstapfen müssen – kein Problem!
Als wir wieder in Uschguli ankommen, genehmigen wir uns ein Bier und einen Snack. Snack heißt in Georgien immer Chatschapuri, ein mit Käse gefülltes Fladenbrot, dazu Khinkali, gefüllte Teigtaschen und andere Leckereien. Wir sind müde und glücklich. Anstieg, Panorama und Abfahrt des heutigen Tages, all das fährt nochmals so richtig schön ein. Nach dem Abendessen planen unsere zwei Gruppen mit ihren Guides die Touren. Morgen wollen wir nochmals einen der Gipfel rund um Uschguli besteigen. Wir entscheiden uns, um Kräfte zu sparen, für eine näher gelegene Tour. Dann essen wir nochmal ausgiebig, trinken weniger ausgiebig (Wein, Bier und Tschatscha, den georgischen Traubenschnaps, lassen wir vorsorglich aus) und fallen erfüllt in die Betten unseres Quartiers.
Am zweiten Tag starten wir erneut um neun. Wieder sind die Bedingungen perfekt. Der Aufstieg ist angenehm, nie zu steil, und schon bald habe ich meinen Flow gefunden. Nach drei Stunden sind wir am Gipfel. Den und die Abfahrt müssen wir uns heute mit anderen Gruppen teilen. Da aber auch der zweite Tag Powder vom Feinsten und fantastische Ausblicke bietet, verkraften wir das gerade noch.
Dass sich die Abfahrt nach Mestia wegen eines Rettungseinsatzes, bei dem alle Bergführer mithelfen, verzögert, bei unserem Mitsubishi das Untersetzungsgetriebe nicht reinspringt und wir für das steilste Stück am Berg mal kurz aus dem Auto müssen – egal. In Georgien ticken die Uhren anders, man ist relaxter. Und das ist gut so.
Reise-Infos: Freeriden und Tourengehen in Swanetien, Georgien
Allgemeines: Georgien ist ein sicheres Reiseland – in den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien schwelen aber Grenzkonflikte mit Russland. Der Großteil der Bevölkerung ist deutlich in Richtung Europa orientiert. Die Georgier und Georgierinnen sind oft nicht übermäßig freundlich aber ehrlich – umgekehrt wäre es schlechter. Die Währung, Lari, hebt man am besten vor Ort am Bankomaten ab, das spart Wechselgebühren.
Anreise: Nach Swanetien gelangt man etwa via Direktflug von Wien oder Berlin nach Kutaissi (z.B. mit Wizzair), dann weiter per Minibus nach Mestia, was gute sechs Stunden dauert und wegen der Straßen schon recht abenteuerlich ausfallen kann. Ein Visum ist nicht notwendig.
Reisezeit: Die Saison beginnt schon Anfang Dezember und dauert bis Ende April. Die beste Zeit ist Mitte Februar bis Ende März.
Unterkunft und Essen: Als perfekter Ausgangspunkt fürs Freeriden und Tourengehen in Swanetien hat sich Mestia etabliert. Der 2000-Einwohner-Ort hat eine gute Infrastruktur mit Supermärkten, Sportshops, Restaurants, Cafés und Hotels. Von Mestia braucht man 45 Minuten ins Skigebiet Tednuldi, das Resort Hatsvali ist seit 2020 direkt vom Ort mit einem Sessellift verbunden. Die Startpunkte für Skitouren sind bis zu einer Stunde entfernt. Nach Ushguli braucht es gute eineinhalb Stunden, wer die dortigen Tourenmöglichkeiten für zwei Tage nutzen will, sollte vor Ort übernachten.
Am Abend kann man in Mestia georgischen Wein und Tschatscha trinken, davor sollte man sich aber eine georgische Tafel mit Badridschani, Schaschlik, Tschachochbili, Chatschapuri und Khinkali genehmigen. Spitzen-Livemusik gibt’s übrigens jeden Abend im Lile direkt an der Hauptstraße.
Kultur: Swanetien hat eine jahrhundertelange Geschichte. Die bis zu 25 Meter hohen Wehrtürme sind allgegenwärtig und bestimmen mit den Steinhäusern den Charakter der Bergdörfer. An Schlechtwettertagen bietet sich eine geführte Stadttour in Mestia an. Man kann ins Kino gehen und sich den preisgekrönten Film Dede ansehen (täglich mehrere Vorstellungen), der rund um Mestia und Ushguli mit Laiendarstellern gedreht wurde und einen tollen Einblick in die jüngste Geschichte und die Gesellschaft Georgiens bietet. Empfehlenswert ist auch ein Besuch des Svaneti Museum of History and Ethnography.
Freeriden in Tednuldi und Hatsvali: Tednuldi ist ein kleines, aber feines Skigebiet zu Füßen des 4.900 Meter hohen Tednuldi. Bei gutem Wetter gibt es direkt vom Lift aus unzählige Varianten im Gelände. Vorsicht ist in der oberen Sektion geboten, die bis auf 3.200 Meter raufgeht. Sie ist oft windverblasen und dann sehr lawinös. Bei solchen Bedingungen besser auf den Sessellift links darunter ausweichen. Es ist einiges los, zwar nicht wie am Arlberg, aber auf mehr als einen Tag unverspurten Powder sollte man nicht hoffen, dafür ist das Gebiet zu klein. Das gleiche gilt übrigens für das direkt aus Mestia per Sessellift erreichbare Hatsvali. Die Lifttickets kosten 13 Euro und man kann in beiden Skigebieten damit fahren.
Geführte Touren: Ohne Guiding, egal ob im Skigebiet oder beim Tourengehen, sollte man in Georgien besser nicht unterwegs sein. Die Guides haben alle eine sehr gute Ausbildung, sprechen – mal besser, mal schlechter – Englisch, für die Kommunikation am Berg reicht es immer. Die Bergführer sollte man schon im Voraus buchen, denn die Nachfrage ist größer als das Angebot. Vor Ort kann es an einem guten Tag dann schon zu Engpässen kommen – und die Guides lassen sich ihre Dienste dann auch dementsprechend zahlen.
Kommunikation: Es gibt kein Roaming-Abkommen mit der EU, es findet sich aber fast überall WLAN.
Der Autor hat die perfekt organisierte Reise über www.kaukasus-freeride.com gebucht. Er wurde nicht eingeladen und will diesen Anbieter weiterempfehlen.