Ein Skitourenrennen auf Kreta
Foto: Katrin Rath
von Katrin Rath
Bergwelten-Redakteurin Katrin Rath hat sich auf eine Griechenland-Reise begeben. Allerdings nicht, um sich dort am Strand die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, sondern um am südlichsten Skitourenrennen Europas teilzunehmen.
„Du fliegst nach Kreta? Schön! Kann man denn dort überhaupt schon baden?“
„Nein, ich mach bei einem Skitourenrennen mit.“
So oder so ähnlich klangen in den letzten Tagen die Gespräche, wenn ich nach meinen Wochenendplänen gefragt wurde. Ganz kann ich es mir kurz vor dem Abflug selbst noch nicht vorstellen, dass ich bald auf einer griechischen Insel, die normalerweise Sonnenanbeter und Kulturinteressierte anlockt, die Tourenski anschnallen werde.
Die Vorstellung wird erst realer, als ich am winzigen Flughafen von Iraklio ankomme und nicht die Einzige bin, die bei der Gepäckausgabe einen Skisack empfängt. Schnee ist aber auch nach Verlassen der Halle nicht in Sicht. Dafür aber Christian, einer meiner beiden deutschen Teamkollegen für das morgige Rennen. Bei gemütlichen 15 Grad warten wir während des Sonnenuntergangs auf Simula Paraschaki und Nikiforos Steiakakis. Die beiden sind Mitglieder der NGO „The Black Sheep“, die die „Pierra Creta“, das südlichste Skitourenrennen Europas, ins Leben gerufen hat. Die Organisation besteht aus einer Gruppe Skitourengehern, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kreta zu einer hochwertigen und nachhaltigen Winterdestination zu machen. „Vor einigen Jahren waren wir nur ein paar Wenige, die hier im Winter in den Bergen mit bunten Klamotten und diesen Brettern unter den Füßen unterwegs waren. Die Leute müssen uns für verrückt gehalten haben“, erzählt Simula lachend auf der rund einstündigen Fahrt vom Flughafen zum Rennbriefing.
Eine verrückte Idee
Nach der Teilnahme an einem Skitourenrennen kam eines Tages in der Gruppe erstmals die Idee auf, selbst ein Rennen zu organisieren – dabei soll auch Bier im Spiel gewesen sein. In Anlehnung an die „Pierra Menta“, einem DER Fixpunkte im Kalender professioneller Skibergsteiger, war der Name schnell gefunden. Dass die griechische Version davon allerdings etwas entspannter angelegt werden sollte, war von Anfang an klar. „Spaß ist eine fundamentale Sache hier auf Kreta“, erläutert Nikiforos während er den Wagen Kurve für Kurve durch kleine Gassen bergauf manövriert. Was er damit meint, wird uns klar, als wir beim Rennbriefing mit Gelächter, Käse und Rakomelo empfangen werden. So viel schon vorab: Rakomelo ist ein aus dem Tresterschnaps Raki, Honig und Gewürzen hergestellter Likör, der uns in den kommenden Stunden und Tagen noch häufiger begegnen sollte.
Die Pierra Creta ist mein erstes Skitourenrennen, daher kann ich nicht sagen, wie die Vorbesprechungen normalerweise ablaufen. Mir gegenüber in dem großen Restaurant sitzt der rennerfahrene Skibergsteiger und Bergläufer Philipp Reiter aus Deutschland. Seinem Gesichtsausdruck, der zwischen Erstaunen und Lachen wechselt, entnehme ich aber, dass sich die Stimmung im Vorfeld der Pierra Creta wohl erheblich von jener vor Patrouille des Glaciers, Sella Ronda und Co. unterscheidet. Nachdem wir in aller Kürze darüber informiert worden sind, was morgen alles in den Rucksack gepackt werden soll und welchen Fähnchen wir auf dem Weg folgen müssen, ist es Zeit für das nächste Stamperl. „Jámas – zum Wohl!“ Das erste griechische Wort ist auch schon gelernt. Den ausführlicheren Sprachkurs vertagen wir aber lieber. Das Bett wartet. Schließlich sind wir für ein Rennen hier.
Griechische Gelassenheit und Bergblick
Um 10 Uhr soll der Startschuss für die fünfte Pierra Creta fallen. Von Aufregung oder gar Eile ist um 8:30 Uhr beim Frühstück im idyllischen Ökotourismus-Dorf Enagron, in dem viele Teilnehmer untergebracht sind, nichts zu merken.
Am Vorabend ist auch noch Folkert, das dritte Teammitglied, zu uns gestoßen, nachdem er ein paar Stunden in Athen festgesessen war. Wir sind also komplett und fügen uns einfach dem gemütlichen Treiben. Das alle zwei Jahre stattfindende Rennen wird im Team aus zwei oder drei Personen bestritten und man hat die Wahl zwischen zwei Routen: Einmal müssen rund 1.800 und einmal rund 900 Höhenmeter zurückgelegt werden. Angesichts unserer überschaubaren Rennerfahrung haben wir uns für die kürzere Variante entschieden.
Schon die rund dreißigminütige Anreise ist ein kleines Abenteuer: Nach dem Frühstück werden wir in Ioannis‘ Auto gesteckt. Mit seinen dunklen Augen, schwarzen Haaren und braungebrannt gibt er einen Bilderbuch-Griechen ab. Er lenkt den Wagen über die schmale Straße, vorbei an Herden von Schafen und Ziegen, umschifft gekonnt die kraterartigen Schlaglöcher und erzählt dabei von unserem Ziel, dem Psiloritis-Massiv. Das rückt nun das erste Mal in unser Blickfeld. Eingebettet in die schon grün werdenden umliegenden Hügel, blendet uns der schneebedeckte Riese regelrecht. Der höchste Gipfel, der Psiloritis, bringt es auf stattliche 2.456 Meter. „Übersetzt heißt das so viel wie ,Hoher Berg‘“, sagt Ioannis hinterm Steuer. „Nicht besonders kreativ“, denke ich am Rücksitz.
Umso einfallsreicher gestaltet sich dafür das Shuttleservice, das die rund 150 Teilnehmer von den am Straßenrand geparkten Autos zum Start des Rennens bringt. Mein Team darf es sich auf der Ladefläche eines Pick-ups so gut es geht gemütlich machen.
Am Steuer sitzt niemand geringerer als die lokale Berühmtheit „Papa Andreas“. Er ist nicht nur Pfarrer und betreibt „To Spiti tou Voskou“ – eine von ihm errichtete Hirtenunterkunft mit Käserei – sondern ist in den letzten Jahren auch auf den Geschmack des Skitourengehens gekommen. Wie so viele andere Dorfbewohner der Region hat er sich bereit erklärt, als freiwilliger Helfer vor Ort die Organisatoren zu unterstützen. Simula sagt, dass er den Sport hauptsächlich deshalb erlernt, um die Kapelle am Gipfel des Psiloritis mit Tourenskiern besuchen zu können.
Griechische Gelassenheit und Meerblick
Im Startbereich angekommen wird schnell klar, wieso beim Frühstück alle so entspannt waren. Um 10 Uhr sind wir noch weit davon entfernt, den Startschuss zu vernehmen – den Routiniers in Sachen griechischer Gemütlichkeit war das wohl von Anfang an klar. Während also noch der Startbogen aufgebaut wird, mischen wir uns unter das gutgelaunte Volk am Fuße des Psiloritis und genießen die Sonne. Ausrüstung in Leichtbauweise oder gar Rennanzüge sieht man hier nur vereinzelt. Die meisten sind in der Freetouring-Montur angereist, manche im Retro-Look und wieder andere sind sogar mit Splitboards bewaffnet. Geschwindigkeit ist bei der Pierra Creta offensichtlich zweitrangig. Würde es bei allen Skitourenrennen so ablaufen, würde ich glatt eine Umschulung zur professionellen Skibergsteigerin erwägen
Ich werde vom Moderator aus meinen Gedanken gerissen, der die Teilnehmer zum LVS-Check und dann weiter an die Startlinie dirigiert. Wer nun glaubt, es ginge jeden Moment los, hat die griechische Mentalität noch nicht verinnerlicht. Jetzt wird nämlich erst mal getanzt. Oder besser: jungen Männern beim Tanzen zugeschaut. Eine Volkstanzgruppe stellt ihr Können unter erschwerten Bedingungen (Schnee statt Tanzboden) eindrucksvoll unter Beweis.
Nach der 20-minütigen Vorführung geht es aber wirklich los. Die erste Reihe – das sind diejenigen mit den dünnen Anzügen und Skiern – sprintet los. Dahinter hat man weniger Eile. Gut, dass wir keine Bestzeit anstreben. Ansonsten bliebe gar keine Zeit, die Aussicht zu genießen. Die weißen Kuppen und Gipfel des Massivs heben sich fast schon kitschig vom wolkenlos blauen Himmel ab. Und dann taucht auch noch das Meer hinter uns auf. In unzähligen Spitzkehren, begleitet von regelmäßigen „Ahs“ und „Ohs“ nähern wir uns dem ersten Checkpoint, von wo die Abfahrt in einen großen Kessel startet.
In feinstem Firn ziehen wir unsere Schwünge abwärts. Und als wären die Bedingungen nicht schon Belohnung genug, gibt es am nächsten Checkpoint ein Stamperl Rakomelo zur Stärkung vor dem zweiten und letzten Anstieg. Wieder bewältigen wir eine Spitzkehre nach der anderen und als wir oben ankommen, hat die Sonne ihren Zenit ebenfalls erreicht. Noch ein Schluck Rakomelo, dann steigen wir ein paar Meter über felsiges Gelände ab und starten in die steile Abfahrt ins Ziel. Griechenland kann auch rassig!
Wir gehen in die Verlängerung
Unten angekommen freuen wir uns über die Platzierung im Mittelfeld und stärken uns mit auf Kreta angebauten und geernteten Bananen. Überhaupt hat man das Gefühl, dass die ganze Insel an dem Rennen beteiligt ist. Als Finisher-„Medaillen“ gibt es selbstgebastelte Flaschenöffner – passend zum eigens gebrauten Pierra-Creta-Bier –, im Starterbeutel befanden sich regionale Kosmetikprodukte und in den umliegenden Dörfern locken diverse Attraktionen.
Noch einmal wird im Schnee das Tanzbein geschwungen. Nicht ohne einen Souvlaki-Zwischenstopp geht es wieder Richtung Hotel, um sich für das Abendprogramm frisch zu machen. Richtig gelesen! Nach dem Rennen ist die Pierra Creta noch lange nicht vorbei. Und wer denkt, das Skitourengehen wäre schon anstrengend gewesen, hat noch nie sechs Stunden lang auf der Abschluss-Feier Sirtaki getanzt! Gut, dass wir uns für die kurze Renn-Variante entschieden und nun noch ausreichend Kraftreserven übrig haben. Jámas – auf dass wir unsere morgige Tour erst zu Mittag starten!
Film-Tipp
Viele von euch kennen vielleicht bereits „Frozen Ambrosia“ vom griechisch-amerikanischen Filmemacher Constantine Papanicolaou. Darin wird Griechenland als Skitouren-Destination erkundet. 2021 hat er mit „Crete Arising“ nachgelegt und die Skitouren-Community auf Kreta portraitiert. Hier gibt es den Film zu kaufen.
Externer Inhalt
Bitte akzeptiere die Marketing-Cookies, um diesen Inhalt zu sehen.
Die Pierra Creta auf TikTok
Kennt ihr den Bergwelten-TikTok-Account schon? Dort findet ihr einige Videos vom Rennen und vom Skitourengehen auf Kreta.
Skitourengehen auf Kreta
Natürlich kann man auch ganz ohne Rennen auf Kreta Skitouren gehen. Neben dem Psiloritis-Massiv halten die Lefka Ori (die „weißen Berge“) schier unendliche Tourenmöglichkeiten bereit. Der Frühling ist die beste Reisezeit um herrliche Firnbedingungen zu genießen. Weil das Skitourengehen auf Kreta (noch) nicht so etabliert ist wie in den Alpen, gilt es ein paar Punkte zu bedenken:
Es gibt keinen Lawinenlagebericht: Wer sich unsicher ist, bucht einen Bergführer oder eine geführte Skitouren-Reise.
Es gibt keine Bergrettung: Bis Einsatzkräfte an einer Unfallstelle eintreffen, dauert es deutlich länger als in den Alpen.
Es gibt keine Mietautos mit Winterreifen.
Ein großes Dankeschön an das Organisationsteam der Pierra Creta und die Griechische Zentrale für Fremdenverkehr für die Einladung nach Kreta.
- Berg & Freizeit
Von Norwegen bis Griechenland: 4 exotische Skitourentippps
- Berg & Freizeit
Mehr als Meer: Wandern und Klettern auf Kreta
- Alpinwissen
Expedition auf den Cho Oyu
- Berg & Freizeit
Bilanz eines Jahres
- Berg & Freizeit
Der Paternkofel ruft