Hoch zu Ross
Ein Ritt auf den Golzentipp im Osttiroler Lesachtal: über Speed-Dating im Stall, ungewohnte Westernsättel, frische Himbeeren am Weg und trickreiche Pferde.
Bergwelten feiert 5. Geburtstag und wir nehmen das Jubiläum zum Anlass, um euch die schönsten Geschichten der vergangenen 5 Jahre zu präsentieren. Diese Story ist im Bergwelten Magazin (April/Mai 2017) erschienen.
Bericht: Heidi Lackner
Fotos: Elias Holzknecht
Wer je bei einem Wanderritt war, weiß: Die Vorbesprechungen sind wie Speed-Dating. Man hat ein paar Minuten Zeit, sich vorzustellen. Dann entscheidet der Pferdebesitzer, welches Pferd er welchem Reiter zuteilt. Da kann man auch arges Pech haben.
Bei einem Wüstenritt durch Marokko ereilte mich dieses einst in Form einer braunen Stute, die auf jedes Pferd losging, das in Biss- und Tretweite kam. Ich verbrachte fünf recht einsame Tage im Sattel, immer 50 Meter vor oder hinter der Gruppe. Mein Fehler. Ich hatte in der Vorbesprechung zu dick aufgetragen und anklingen lassen, dass ich seit 35 Jahren im Sattel sitze und auch Problempferde mich nicht schrecken würden.
Jetzt sind wir – zwei leutselige Schwestern aus Oberösterreich, eine Schülerin aus Stuttgart, meine Tochter und ich – am Lesachtaler Reiterhof in St. Lorenzen und wollen auf den 2.317 Meter hohen Golzentipp in Osttirol reiten. Und dieses Mal halte ich den Ball ganz flach. Ich könne reiten, das ja. Aber sei doch nicht mehr so jung und folglich etwas ängstlich. Die Taktik wird belohnt, am nächsten Morgen, in Form von Chayenne, einer rötlich gefleckten Appaloosastute. Folgsam, gutmütig und flink sei sie, erklärt Chrissi vom Wanderreithof, während sie mir den Führstrick in die Hand drückt. Ich binde die Stute vor dem Stall an. Sie bläst mir freundlich ihren warmen Atem ins Gesicht. Als ich sie zu bürsten beginne, döst sie weg.
Der Sattel ist ein sperriges Monstrum im Westernstil. Mit Lederriemen und Gurten an jeder Seite, die ich nicht zuordnen kann, und diversen Fellen und Unterdecken. Ein Dressursattel schaut jedenfalls komplett anders aus. Ich brauche Hilfe.
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Zum Glück gibt es am Lesachtaler Hof einen hilfsbereiten Cowboy namens Klaus. „Des han mir gleich g’macht“, sagt er in breitem Schwäbisch und entwirrt den Lederriemen-Decken-Salat. Ein schwäbischer Cowboy hier im Süden von Österreich! Ich behalte mein Erstaunen für mich und bedanke mich so herzlich, dass der Cowboy auch gleich die Satteltaschen montiert. Ich verstaue den Proviant darin. Inzwischen ist die Stute aufgewacht. Ein kurzer Ruck mit dem Kopf, und mein Jausen-Apfel ist im Pferdemaul verschwunden.
Wir reiten los auf einem breiten Wanderweg, der uns die kommenden 15 Kilometer taleinwärts führen wird, immer entlang der Gail. Vom Fluss steigt kühle Luft auf. Das Wasser ist so klar, dass man die Bachforellen darin schwimmen sehen kann. Links und rechts vom Weg wuchern Himbeerbüsche. Meine Tochter pflückt Früchte, so viele sie vom Sattel aus kriegen kann. Die Pferde fallen in einen gemächlichen Trab. Pferde und Reiter haben sich aneinander gewöhnt. Wir reiten in Zweier- und Dreiergrüppchen. Im Sattel lässt es sich wunderbar tratschen.
Isländer und Araber
Mit Pferden ist es wie mit Menschen: Ob ein Ausdauersport wie Bergwandern angenehm oder eine Quälerei ist, hängt ausschließlich von der Kondition ab. Ein Pferd, dessen einziger Sport darin besteht, viermal die Woche einen Reiter eine halbe Stunde lang über die Reitbahn zu tragen, wird einen Anstieg auf 3.000 Meter Höhe nicht schaffen. Das ist, als ob man einen Menschen, der immer nur auf der Couch sitzt, auf einen Gipfel hetzen würde. Schlimmer Muskelkater und völlige Erschöpfung wären die Folge. Trainierte Pferde kommen nicht einmal ins Schwitzen.
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Mit der Trittsicherheit ist es ähnlich. Natürlich gibt es Rassen, wie etwa Haflinger oder Isländer, die schon von Natur aus leichtfüßig über das schwierigste Terrain laufen. Aber auch das lässt sich trainieren. Und es gibt Pferde, die vorwiegend auf Genügsamkeit und Ausdauer gezüchtet werden, wie etwa Araber. Man kann sie leichter fürs Bergreiten trainieren als etwa eine Rasse, die für die Rennbahn oder den Springplatz gezüchtet wurde.
Obwohl sogar ein Vollblut mit seinem zarten Körperbau mithalten kann, wenn die Vorbereitung stimmt. Im Jahr 1900 machte die Vollblutstute Cherry Schlagzeilen. Sie trug ihren Besitzer, einen deutschen Rittmeister, von Saarbrücken über den Gotthardpass nach Rom. Die beiden brauchten für die 1.360 Kilometer lange Strecke nur 12 Tage. Cherry, die damals schon 15 war, erreichte das Ziel bei bester Gesundheit.
Chrissi, unsere Führerin, war ein Teenager aus Ostdeutschland, als sie zum ersten Mal herkam. „Es hat mich nicht mehr losgelassen“, erzählt sie. „Die Pferde, die Landschaft. Als ich mit der Schule fertig war, bin ich hergezogen.“ Lebensgefährte Klaus kam erst vor ein paar Jahren. Früher war er Unternehmer und Workaholic. Ein echter Schwabe. Das Lesachtal habe ihn entschleunigt, sagt er. Er züchtet neuerdings Fische: wunderbare Saiblinge und Bachforellen.
Apropos: Reiten macht hungrig. Mittagsrast. Die Jause nehmen wir im Stehen ein, die Pferde am Führstrick. Ich beiße in meine Dauerwurst. Die Stute wirkt schon wieder, als würde sie dösen. Ich gehe vorsichtshalber einen Schritt zurück, den Trick kenne ich bereits: Sie hat es vermutlich auf mein Baguette abgesehen. Im nahen Fluss tränken wir die Pferde und füllen unsere Flaschen auf. Weiter geht es.
Fast zwei Stunden dauert der Anstieg auf die 2.070 Meter hoch gelegene Connyalm. Die Pferde trotten unermüdlich die Forststraße hinauf. Meine Stute kommt nicht einmal ins Schwitzen, so konditionsstark ist sie. Die kleine, zierliche Chayenne zieht wie eine Dampflok den Berg hinauf.
Auf der Connyalm angekommen, ist die provisorische Koppel für die Pferde rasch aufgebaut. Die Connyalm ist eine klassische Touristenalm. Das merkt man an der Speisekarte. Es gibt Pommes zu fast allem, außer zu den Eierschwammerln. Das Eierschwammerlgulasch hätte auch eine Erwähnung im „Gault Millau“ verdient.
Nach dem Essen reiten wir die Pferde zu einem nahe gelegenen Bergsee zum Tränken. Zum Satteln hat keiner Lust. Klaus lenkt seine Stute im Galopp ins seichte Wasser. Die Tochter folgt ihm, juchzend vor Vergnügen. „Pass auf, dass du nicht runterfällst“, rufe ich ihr noch nach. Sie reagiert darauf mit dem stoischen Gleichmut aller 11-Jährigen, also: gar nicht.
Vom Sattel ins Matratzenlager
Die Sonne verschwindet, es wird empfindlich kühl: Wir übernachten im Matratzenlager. Zehn Stunden im Sattel, auch im Westernsattel, schrecken mich weniger als zehn Stunden Matratzenlager. Aber auf der Connyalm gibt es duftende Bettwäsche und sogar eine saubere Dusche. Ich bin so erleichtert, dass ich mich sofort hinstrecke. Nur kurz, probeweise. Chrissi hat für den Abend einen Schnellsiedekurs Knotenkunde versprochen. Der findet dann ohne mich statt. Auch das Kartenspielen und den guten Schnaps habe ich leider verpasst.
Sechs Uhr früh, Tagwache. Die Wirtin ist schon auf den Beinen; es gibt Brot, Schinken, Eier, Tomaten und Kaffee. Die Pferde waren brav, sind nicht aus ihrer Koppel ausgebrochen, haben sich nicht im Dreck gewälzt. Das Striegeln ist in fünf Minuten erledigt, hier oben schaut zum Glück keiner so genau. Während die anderen den Zaun abbauen, schone ich mein Kreuz und teile mir mit der braven Chayenne den Frühstücksapfel.
Um sieben sitzen alle im Sattel. Wir wollen den Anstieg zum 2.317 Meter hohen Gipfel, dem Golzentipp, hinter uns haben, ehe es heiß wird.
Der Abstieg vom Gipfelkreuz zurück zur Forststraße ist das einzig wirklich haarige Stück. Wir müssen absitzen. Ein Pferd steil bergab zu führen will gelernt sein. Während der Mensch am sichersten im Zickzack hinunterklettert, ist für das Ross der direkte Weg der beste. Wenn es aus dem Gleichgewicht kommt, kann es sich auf die Hinterhand setzen. Quer zum Hang hingegen kippt es leicht um. Und da kann es für einen Zweibeiner, der im Weg steht, schnell gefährlich werden. Ein durchschnittliches Pferd wiegt immerhin an die 600 Kilo.
Chrissi versteht ihr Handwerk. Geduldig lotst sie die Gruppe über alle heiklen Passagen. Die Sonne steht hoch am Himmel, diesmal schwitzen wir beide, die Stute und ich, als wir wieder den Fluss mit seinen schattigen Bäumen und den Himbeersträuchern erreichen. Die Pferde trinken, auch wir füllen unsere Flaschen.
23 Kilometer sind es noch bis zum heimatlichen Stall in St. Lorenzen. Etwa ein Drittel davon lege ich zu Fuß zurück. Mein Ischias und der Westernsattel werden keine Freunde mehr. Meine Tochter findet es ganz gut so: So kann ihr jemand von unten die saftigen Himbeeren aufs Pferd reichen.
Ich selbst tröste mich mit dem Gedanken, dass es ja schließlich „Wanderritt“ heißt. Hier schwitzt auch der Mensch, nicht nur das Ross.
Reiten im Lesachtal - Wissenswertes
Ankommen
Nach St. Lorenzen im Lesachtal kommt man von Wien über die A2 via Villach und Hermagor, von München via Kitzbühel und Lienz über die Felbertauern Straße B108.
Öffentlich mit Bahn (über Tassenbach) und Bus anzureisen kann recht zeitaufwendig werden, selbst aus dem knapp 100 Kilometer entfernten Villach kommend braucht es normalerweise mehr als drei Stunden.
Schlafen und Essen
AM REITERHOF
Da die Ritte ins Gebirge zeitig in der Früh starten, empfiehlt sich die Anreise am Vortag. Direkt am von Christina Schönwiese geführten Lesachtaler Reiterhof in St. Lorenzen gibtes eine Ferienwohnung für 6 Personen und eine Garçonnière.
BODENSTÄNDIGES
Übernachten kann man auch in einem der Gasthöfe in der Umgebung. In Gehweite vom Reitstall ist etwa der Gasthof zur Post. Die Küche – mit eigener Fleischhauerei – ist bodenständig, das Ambiente im 1970erJahre Stil – originalgetreu.
Gasthaus zur Post, 9654 St. Lorenzen 42, Tel.: +43/4716/227
Reiten
DIE AUSRÜSTUNG
Es empfiehlt sich, statt der Reitstiefel die Bergschuhe einzupacken. Beim Führen im Geröll kommt man ohne Profilsohle leicht ins Rutschen. Wichtig auch: ordentliche Regenponchos, warme Pullover, guter Sonnenschutz und eine Trinkflasche.
DIE PFERDE
Die Bergsteigerpferde des Lesachtaler Reiterhofs (Bild oben) sind drei Appaloosastuten, eine Norikerstute, ein Quarabwallach und ein ungarischer Warmblutwallach.
DAS KÖNNEN
Vom reiterlichen Können her sind die Bergritte im Lesachtal nicht sehr anspruchsvoll. Die Pferde sind manierlich und leicht zu handhaben. Geritten wird zumeist in flottem Schritt oder in einem gemütlichen Trab. Auf sehr steilen Passagen muss man das Pferd führen. Das lange Sitzen im Sattel kann auch strapaziös sein.
ZWEI TAGE IN DEN BERGEN
Während einige Reiterhöfe Wanderreiten im Programm haben, ist Reiten im alpinen Gelände noch ein Nischenprogramm. Der vom Lesachtaler Reiterhof arrangierte Zweitagesritt auf die Connyalm kostet 230 Euro pro Person. Ein Tagesritt kostet 95 Euro, ein Halbtagesritt 60 Euro.
Lesachtaler Reiterhof
St. Lorenzen 8, 9654 St. Lorenzen
Tel.: +43/650/863 56 25
Weitere Anbieter für Ritte in die Berge:
Achlhof in Tirol
Austraße 31, 6352 Ellmau
Tel.: +43/5358/2809
AlpinTrails in Bayern
Schlögl 1, 86984 Prem
Tel.: +49/8368/7252