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Klettern in den Frankenjura

Regionen

5 Min.

08.08.2021

Foto: Claudia Ziegler

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Von Froschkönig und Zwergenschloss: mit einer der besten Kletterinnen der Welt in einem der besten Klettergebiete außerhalb der Alpen.

Tatjana Kerschbaumer für das Bergweltenmagazin März 2018.

Wer an die Wall Street will, muss nicht nach Manhattan, sondern in den Frankenjura. Wer ein Zwergenschloss im Wald sucht, muss nicht nach Disneyland, sondern in den Frankenjura. Sogar wer sich „quälen will wie eine Sau“, muss – genau: in den Frankenjura. Das bayerische Klettergebiet zwischen Nürnberg und Bayreuth gilt mit über 14.000 eingetragenen Routen als eines der am besten erschlossenen der Welt.

Hier kletterten schon in den 1980er-Jahren Legenden wie Wolfgang Güllich und Kurt Albert, hier hat das Rotpunkt-Klettern seine Wurzeln. Die Felsen im Frankenjura sind bis heute eines der wichtigsten nichtalpinen Klettergebiete der Welt. Egal ob ein Anfänger gerne dem „Froschkönig“ nachsteigt oder sich ein Profi beweisen muss, dass er „Born to be alive“ ist.

Trotzdem ist nicht jeder Kletterer ein Freund der Kalksteinfelsen. Man erzählt sich, der Frankenjura bestehe nur aus Löchern. Und das geht verdammt auf die Finger. „Stimmt schon“, sagt Angy Eiter. Die 31-Jährige aus Imst in Tirol war viermal Weltmeisterin im Lead, dem Vorstiegswettbewerb, und hat so ziemlich alles weggeklettert und gewonnen, was geht. Der Frankenjura zieht sie trotzdem immer wieder an. „Ein Kletterer ist zwar ein Weltenbummler, aber die Fliegerei muss nicht immer sein“, sagt sie.

Erst aber Frühstück mit Cappuccino im fachwerkverzierten Pottenstein, bevor wir zum „Zwergenschloss“ aufbrechen. Brennnesseln bewachen den Eingang zum Kletterrevier; die Wurzeln und Steine sind rutschig, Regen der vergangenen Tage. Zwischen grünen Buchen zeigt sich das Schloss, ausgehöhlt, schattig und feucht. Das ist ein Problem. „Ob sich dieser nasse Fels heute überhaupt klettern lässt?“ Angy Eiter macht sich ein wenig Sorgen.

Pralle Sonne ist zum Klettern genauso wenig geeignet wie tropfende Nässe, an der Hände und Füße abgleiten. Und gerade im Frankenjura, mit den vielen Löchern im Fels, bleiben diese je nach Wand lange glitschig. Das Gestein ist die letzte Bastion eines 150 Millionen Jahre alten Flachmeer Riffs. Und manchmal erinnert es seine Besucher eben daran, dass hier alles einmal unter Wasser war.


MIT TEMPO GEHT ALLES

Nichts, was ein Taschentuch nicht lösen könnte. Angys Rucksack transportiert mehrere Packungen Tempo, und das nicht, weil sie Schnupfen hat. Stattdessen präpariert sie die feuchten Griffmöglichkeiten damit, um zumindest ein bisschen Nässe aufzusaugen. Unten am Fels geht das leicht, weiter oben nur mit Seil.

Eine der härtesten Routen im Frankenjura ist „Powerplay“, Schwierigkeitsgrad 11 minus. Die Taschentücher haben ihren Dienst getan, aber selbst Zewa mit Supersaugkraft könnte die letzte Restnässe nicht aus dem Felsen ziehen. Immerhin, der Boden vor der Wand ist trocken, dort spielt ein Kleinkind auf einer karierten Picknickdecke. Etliche Gebiete im Frankenjura gelten als familienfreundlich – Papa oder Mama klettern, der Nachwuchs muss nicht mit Steinschlag rechnen. Neben der Spieldecke mischt sich raschelndes Laub mit hellen Tupfen – den Taschentüchern, die von oben herabsegeln, wenn Angy wieder einen Zug weiter ist.

Manchmal hängt sie an einem Arm, dann wieder an beiden, plötzlich nur noch an Zeige- und Mittelfinger. Die Bolts im Frankenjura sind recht weit auseinander, die meisten Routen wurden von Männern erschlossen, die diese Abstände „human“ finden. Angy Eiter misst 1,54 Meter – da braucht es viel Technik und Können, um das neongrüne Seil einzuhängen.

„Ägypter“, ruft es von unten, gemeint ist eine Position mit rückseitig angewinkeltem Bein und nach unten gedrehtem Knie. Ägypten schlägt Franken, das letzte Tempo schwebt auf die Erde. Dann ist Aufräumen aufgesagt. Ein ordentlicher Kletterer lässt seinen Felsen nicht unordentlich zurück. Erst recht kein Schloss.


GERNERFELS STATT KIRCHE

Tag zwei, es geht ins acht Kilometer entfernte Gößweinstein. Klettern mit Blick auf eine Wallfahrtsbasilika? Geht hier. Im Ort stößt Guido Köstermeyer dazu, einer der bekanntesten Frankenjura-Kletterer, dem etwa 1989 die erste Wiederholungsbegehung von Wolfgang Güllichs legendärer „Wallstreet“ gelang. Umarmung mit Angy, ein paar Nonnen im Habit trippeln vorbei, sie kennen das schon: die Seile, die knalligen Sportklamotten, die Menschen, die statt in die Kirche zum Gernerfels pilgern. Der liegt nicht weit von Kloster und Basilika entfernt auf einem Privatgrundstück.

Guido schlappt in tarngrünen Crocs voran, so geht er immer, „das sind meine Bergschuhe“. Der Gernerfels ist eingewuchert, Haselnussstauden bewachen seine Wände. Doch er gilt als fränkischer Klassiker, wegen der Aussicht auf Gößweinstein und wegen der „Supernase“, Schwierigkeitsgrad 8. Die heißt so, wie sie aussieht: Oben hat der Fels eine Nase. Man könnte auch sagen: einen richtigen Zinken.

Zum Aufwärmen tut es der „Albatros“, und während Angy mit den weiten, namensstiftenden Zügen nach oben klettert, erinnert sich Guido unten daran, wie es früher war, als er noch Haken in den Fels per Hand eingebohrt hat. „Die alten Haken sind größer und zementiert, die neuen kleiner und geklebt“, erklärt er. Dass das Hakensetzen mit den Jahren weniger aufwendig geworden ist, erklärt auch die Tatsache, dass immer mehr Routen erschlossen werden, leichte wie schwierige.

„Manche werden richtig gehypt, aber in fünf, zehn Jahren klettert da keiner mehr“, meint Guido. Es sind die Klassiker, die wirklichen, soliden Bestand haben – so wie die „Supernase“. Nacheinander klettern Angy und Guido die 17 Meter lange Tour. Die Krux mit den immer neuen Routen im Frankenjura kennt auch Markus Bock, den sie unter Kletterern gerne „Bocki“ nennen. Er trifft sich mit Angy an der Trockauer Wand, zwischen Tüchersfeld und Pottenstein, fast gegenüber den Bärenschluchtwänden – nur auf der anderen Seite der Straße. Und im Wald.

Es dämmert schon leicht, Bocki – Klamotten schwarz, Tätowiertinte unter der Haut – verschwindet fast vor dem feuchten Fels. Der Bamberger hat an dieser Wand fünf Routen erstbegangen, keine davon leichter als 10 minus. Und von denen will er nicht, „dass sie mir wer versaut“.

Wenn Kletterer aus fremden Gebieten kommen und neue Bolts in oder um seine Route herum anbringen, nimmt Bocki die Flex und sägt sie ab. Ihm ist es wichtig, dass sich Kletterer an die ungeschriebenen Gesetze der einzelnen Gebiete halten. An der Trockauer Wand scheint aber alles in Ordnung zu sein; Angy, die schon einmal da war, fällt nichts auf. Bock auch nicht. Jetzt: „Father and Son“.

Es ist die schwierigste Route der gesamten, 17 Meter hohen Wand, 11 minus, „aber wenn man einmal drin war, will man sie auch schaffen“, sagt Angy Eiter. Die Bolts sind weit auseinander, „geht schon, Angy“, ruft Bock. „Vater und Sohn“ verlangen vor allem Ausdauer. An einigen Stellen muss Angy mit der Bürste putzen, dort, wo andere Kletterer Chalk von den Händen an den Fels gerieben haben.

Es staubt, es rieselt, und dann, weit oben, als die Dämmerung schon fast schwarz wird, lassen sich die Züge nur noch erahnen. Ganz geht es doch nicht hoch, es ist einfach zu glitschig. Als Angy am Seil wieder herunterkommt, lacht sie trotzdem. „Erst Urwald, dann plötzlich Felsen, der auch noch schmutzig ist. Oldschool. Aber geil.“