Patagonien für Normalsterbliche: Trekking rund um El Chaltén
Foto: Frank Eberhard
von Frank Eberhard
Der tiefe Süden Argentiniens gilt als Dorado für Extrembergsteiger. Doch auch Wanderern ohne viel Kletter- oder Eisausrüstung stehen rund um El Chaltén fantastische Möglichkeiten offen.
Cerro Torre, Fitz Roy, Cerro Solo und wie sie alle heißen – sie stechen in den tiefblauen Himmel und formen ein perfektes Bild. Der Anblick fesselte uns dreieinhalb Stunden lang, dann packen wir unser Zeug zusammen und steigen wieder ab nach El Chaltén. Noch immer berauscht uns das Glücksgefühl. Was ist es für ein Geschenk, so lange auf einem Gipfel in Patagonien zu sitzen und eine der schönsten Aussichten der Welt genießen zu können. Bestes Spätsommerwetter und ein windstiller Platz am Loma del Pliegue Tumbado (1.490 m) machten es möglich – in einer für ihr grauenhaftes Wetter berüchtigten Gegend.
Mit uns unterwegs sind Tony und Lauren Powell aus Colorado. Das erste Mal begegnen wir uns vier Tage zuvor, an einem typisch patagonischen Abend am Fuß des Cerro Torre. Es stürmt so heftig, dass nur noch eine Zwei-Jacken-Kombination einigermaßen warm hält. Mühsam stemmt sich das US-amerikanische Pärchen gegen den Wind und steigt auf einen der riesigen Moränenhügel, die die Laguna Torre begrenzen. Dahinter sollte eigentlich der Berg der Berge in den Himmel ragen. Doch über dem zerrissenen Gletscher verliert sich alles im eisigen Grau. Das Ratespiel „Wo-ist-der-Cerro-Torre?“ löst sich an diesem Abend nicht mehr auf. Entlang des Gletschersees, in dem skurril geformte Eisblöcke schwimmen, geht es zurück zum Zeltplatz inmitten eines Südbuchen-Wäldchens. Tony und Lauren erwanderten sich in drei Tagen Logenplätze an den Wahrzeichen Patagoniens.
Logenplatz am „Berg der Berge“
Stress kommt dabei nicht auf: Die Tagesetappen sind kurz und die Nationalpark-Ranger erlauben das Zelten an bestimmten Plätzen. Außer einem Klohäuschen bieten diese keine Infrastruktur, Wasser liefert jedoch stets ein naher Bach. Zudem schützen Bäume wenigstens ein bisschen vor den alltäglichen Stürmen. Auch wenn Wanderer auf den Wegen rund um El Chaltén nur noch selten allein unterwegs sind - das Abenteuer bleibt. Der 1985 gegründete Ort ist mittlerweile zwar auf 1.600 Einwohner angewachsen, hat aber immer noch den Charakter eines Nests inmitten der Pampa. Er dient als Ausgangspunkt für Outdoor-Vorhaben aller Art. Unter den Gestrandeten sind zwei Franzosen Anfang Zwanzig. Seit fast zwei Monaten campen sie im Staub El Chalténs, besser gesagt in Diegos Garten.
Diego Omar Cisneros verkörpert das Lebensgefühl El Chalténs: Der großgewachsene Lockenkopf ist ein stolzer Argentinier, lässig und freundlich. Uns erlaubt er, Gepäck unter der Treppe seines schief und krumm selbstgebauten Holzhauses zu lagern, während wir drei Tage wandern. Nur als wir ihm Geld dafür anbieten wollen, setzt er für einen Moment eine todernste Miene auf, wedelt mit seinem Zeigefinger durch die Luft und sagt: „No, no, no - gratis!“ Diego spricht zwar kein Wort Englisch, doch Reisende aus aller Welt kommen in Scharen auf sein Mini-Camp. Viele von ihnen sehen ihn selten oder gar nicht, denn Diego ist fast immer unterwegs. Mal streicht er die Schule im Ort, mal macht er mit dem Fahrrad Besorgungen und verplappert sich irgendwo. Und die Camper selbst wandern an den meisten Tagen, auch bei nicht-optimalem Wetter. Denn neben den großen Touren bietet die Gegend um El Chaltén einige kurze Wege zu Aussichtspunkten oder an einen Wasserfall. Wer Diego bis zur Abreise nicht sieht, bezahlt die Platzgebühr notfalls bei den Langzeitgästen, beispielsweise bei den jungen Franzosen. So funktioniert das System Diego Omar Cisneros.
Doch auch die beiden sind nicht immer da. Bei jedem Schönwetterfenster klettern sie an den Granitzacken ihrer Träume. Bei ihren vielen Versuchen, den Fitz Roy zu besteigen, fehlte ihnen jedoch immer das entscheidende Quäntchen Glück. In Diegos Wohnzimmer, gleichzeitig Aufenthalts- und Essraum des Campingplatzes, erzählen sie bei einer wärmenden Tasse Tee von ihren Strapazen: Der vielversprechendste Aufstieg endete wegen eisigen Windes an einem markanten Zacken auf der Nordseite des 3.406-Meter-Riesen. Die Mühen dieser Kletterer zeigen, dass die Berge Patagoniens noch immer extrem schwierige Ziele sind, auch wenn die Stars der Szene das durch ihre Wahnsinnsleistungen oft anders aussehen lassen.
Natürlich hat mittlerweile der ein oder andere Sportladen den Standort El Chaltén für sich entdeckt. Auch kleine Hotels sprießen zunehmend aus dem Boden. Doch wer sich im Dorf für eine Trekking-Tour eindeckt, muss sich noch immer mit drei winzigen Supermärkten zufriedengeben. So kommt es auch, dass abends am Camp statt Kohlenhydrat-optimierter Trekking-Mahlzeiten gewöhnliche Nudeln in den Töpfen köcheln. Zum Mittagessen gibt es Brot, Käse und die hervorragende argentinische Wurst von der Theke.
Den größten Teil der Tour haben Tony und Lauren noch vor sich, als sie am Morgen nach dem Sturm an der Laguna Torre aus dem Zelt krabbeln. Vor dem Buchenwäldchen verschlägt es ihnen fast den Atem: Der eisgepflasterte Cerro Torre bohrt sich in die nun windstille Luft über der argentinisch-chilenischen Grenze. Es ist sogar lange genug windstill, dass sich die Berge im Wasser der Lagune spiegeln – in Patagonien eine Seltenheit. Noch ahnen sie nicht, dass sie wenige Tage später die Aussicht auf Cerro Torre und Fitz Roy gleichzeitig genießen werden.
Touren-Infos: Trekking rund um El Chaltén, Patagonien
1. Trekking rund um El Chaltén
Wandern
- Anspruch: mittel
- Dauer: 12 Std.
- Länge: 35 Km
- Aufstieg: 1.200 Hm/ Abstieg: 1.200 Hm/ Max. Höhe: 1.182 m
Die Wege zu den Wahrzeichen Patagoniens formen ein liegendes A: Zuerst geht es von El Chalten zur Laguna Torre. Am nächsten Tag führt der Track ein kurzes Stück zurück und über einen Bergsattel an den Lagunen Hija und Madre vorbei in Richtung Fitz-Roy. Am dritten Tag bietet es sich an, mit leichtem Gepäck zur Laguna de los Tres aufzusteigen, danach das Zelt abzubauen und über die Laguna Capri nach El Chalten zurück zu marschieren.
Beste Zeit: November bis April
2. Loma del Pliegue Tumbado, 1.490 m
Wandern
- Anspruch: mittel
- Dauer: 7 Std.
- Länge: 20 Km
- Aufstieg: 1.100 Hm/ Abstieg: 1.100 Hm/ Max. Höhe: 1.490 m
Die Wanderung auf den Loma del Pliegue Tumbado gehört zu den schönsten Tagestouren in El Chalten. Gleichzeitig ist der Anstieg Wind und Wetter ausgesetzt, sodass die Schwierigkeiten stark von den Bedingungen abhängen. Der Weg ist leicht zu finden: Südlich des Dorfs geht es zum Besucherzentrum des Nationalparks Los Glaciers. An einer T-Kreuzung kurz darauf beginnt der Weg, der von dort an ohne Abzweige auf den fantastischen Aussichtsgipfel führt.
Beste Zeit: November bis April
Zu den Miradores
Wandern
- Anspruch: leicht
- Dauer: 2:15 Std.
- Länge: 6,5 Km
- Aufstieg: 190 Hm/ Abstieg: 190 Hm/ Max. Höhe: 537 m
Gemütliche Spazierwanderung auf zwei Aussichtspunkte nahe des Orts, die sich gut für den Ankunfts- oder Abreisetag eignet. Südlich von El Chalten geht es zum Nationalpark-Center und von dort aus in Richtung des gut ausgeschilderten Mirador Los Cóndores. Damit sich das Wandern lohnt, bietet es sich an, auch zum Mirador Las Águilas zu laufen. Bei gutem Wetter und mit etwas Glück gibt es nicht nur eisige Felsnadeln, sondern auch Kondore zu sehen.
Beste Zeit: November bis April
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