Wandern im wilden Hinterland Kroatiens
Foto: mauritius images/ Christian Handl
von Frank Eberhard
In einer wilden Gegend wandern, am besten über mehrere Tage. Dafür aber nicht wieder so weit wie nach Neuseeland reisen müssen. Das war die Zielsetzung unseres Autors Frank Eberhard und seiner Partnerin. Im Paklenica-Nationalpark in Kroatien fanden sie nicht nur ihr gewünschtes Abenteuer zwischen Braunbären und Karl-May-Kulisse, sondern auch Spuren einer leidvollen Vergangenheit.
Ein etwas mulmiges Gefühl werden wir nicht los. Die Landschaft ist wunderschön, kalkige Rippen ziehen aus wilden Wäldern hervor und kulminieren in steilen Bergspitzen. Doch das nächste in der Karte eingezeichnete Minenfeld ist gerade mal 600 Meter Luftlinie entfernt. Und dann liegt es auch noch am Kamm direkt über der Schutzhütte Ivine Vodice. Die Kriege in Jugoslawien sind mittlerweile lange her, das wissen wir. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass die Ranger des Nationalparks Paklenica die Sicherheitsvorkehrungen so getroffen haben, dass sie auch bei ungünstiger Witterung greifen – etwa dann wenn Regen- und Schneefälle die Todesfallen bergab spülen könnten.
Der bereits 1949 gegründete Nationalpark – er befindet sich rund 50 km nordöstlich der Stadt Zadar – schützt den südlichen und höchsten Teil des Velebit-Gebirges, das sich die dalmatinische Küste hinunterzieht. Auch wenn die meisten bei Kroatien eher an Segeln als an Schnee denken – die weiße Pracht gibt es auch hier, und zwar nicht nur im Hochwinter. Außerhalb der wärmsten Monate müssen sich Wanderer stets auf Gefrorenes einstellen.
Eine Trekkingtour im Hinterland stellt ein krasses Kontrastprogramm zum Strand dar. Für uns ist es eine willkommene Abwechslung, lässt sich doch dank kurzer Distanzen beides gut kombinieren. Die lange Küste lockt mit glasklarem türkisen Wasser, ihre zahlreichen vorgelagerten Inseln sind ein Paradies für Schnorchler, Taucher und Segler. Nicht umsonst gilt Kroatien als „Sonnenterrasse Europas“, die schon seit Jahren den Vergleich mit Urlaubsländern wie Italien oder Griechenland nicht zu scheuen braucht.
Zwischen Strandparadies und Braunbären
Ein ganz anderes Bild bietet sich im Hinterland. Zwar punktet es mit Nationalparks und Naturperlen wie den Wasserfällen von Krka, den Plitvicer Seen oder dem Velebit-Gebirge. Doch der Krieg lässt sich dort nur schwer wegdenken, ist immer noch gegenwärtig. Etwa in Form von Ruinen, die in den Schutzzonen stehen, oder Schildern, die vor Minen warnen. In den Dörfern und Städten hatte nicht jeder genug Geld, um die Einschusslöcher in seiner Hauswand mit Putz zu kaschieren.
Dafür aber finden Reisende abseits der Küste noch ein anderes, wilderes Kroatien. Auf dem Weg zu den Plitvicer Seen mit ihren pittoresken Kaskaden warnen Schilder vor Bären, die die Straße kreuzen. Auch Wölfe und Luchse bewohnen die dünnbesiedelten Gegenden. Obwohl sie sich vor Menschen scheuen und in der Regel unsichtbar bleiben, zeugen diverse Hinterlassenschaften und Spuren von ihrer Anwesenheit.
In der Schutzhütte Ivine Vodice nahe des Velebit-Hauptkamms beruhigt es uns jedenfalls, dass wir unter einem Dach schlafen können. Müde Wanderer müssen sich über eine Leiter und durch einen engen Durchschlupf zu den Schlafplätzen hanteln – ein Bär passt dort nicht hindurch. Die Hütte liegt auf rund 1.100 Metern Höhe. Vom Touristenörtchen Starigrad, das direkt am Meer liegt, ist sie in einer strammen Tageswanderung zu erreichen. Doch der Weg hat sich ausgezahlt, führt er doch durch die Attraktion des Parks schlechthin: die Paklenica-Schlucht. Fans der Karl-May-Verfilmungen werden sie, wie auch die Plitvicer Seen, als Wildwest-Kulisse wiedererkennen. Die mehrere hundert Meter hohen Kalkwände in der Schlucht ziehen heute vor allem Kletterer magisch an. 400 Routen verschiedener Schwierigkeitsgrade stehen ihnen an den zahlreichen klaren und trockenen Tagen zur Auswahl. Wer selbst Hand an den bleichen Fels legt, merkt schnell, was ihn besonders macht: Messerscharfe Wasserrillen und Tropflöcher sorgen für ein ganz eigenes Klettergefühl. Einziger Wermutstropfen für weniger versierte Kletterer: Die meisten Routen, vor allem die über viele Seillängen, sind nicht leicht und rangieren eher in den oberen Schwierigkeitsgraden.
Durch Karl Mays Westernschlucht
Wanderer wollen die Schlucht jedoch ohnehin nur bestaunen und durchqueren. Sie erreichen dahinter, im Herzen des Nationalparks, die Hütte Dom Paklenica. Sie dient als Basis für Touren zu Höhlen, weiteren Hütten sowie in den Hauptkamm mit seinem höchsten Gipfel, dem 1.757 Meter hohen Vaganski Vrh.
Jenseits davon lag früher das Gebiet der Republik Serbische Krajina – im Kroatischen Unabhängigkeitskrieg von 1991 bis 1995 ein Brennpunkt der Kämpfe. Heute herrscht glücklicherweise Frieden auf dem Balkan. Bergwanderer können die von Kalkkunstwerken gespickte Natur gefahrlos genießen. Beispielsweise auf einer Zwei-Schluchten-Runde, die nach einer Nacht in der Hütte Ivine Vodice die zweite, kleinere Schlucht des Parks im Süden ansteuert. Wer in den ehemaligen Grenzgebieten auf den Wanderwegen bleibt, braucht auch die Landminen nicht zu fürchten. Trotzdem lohnt es sich, den Blick auf dem Weg zur Mala Paklenica von Zeit zu Zeit von der tief zerfurchten Landschaft abzuwenden und auf den Boden zu richten. Das erhöht die Chancen, Tiere wie etwa einen Feuersalamander zu erblicken.
Am Ende einer Trekkingtour im Velebit bleibt schließlich kein mulmiges Gefühl mehr. Was bleibt, ist vielmehr Zufriedenheit, ein Stück wildes Europa erkundet zu haben.
Infos und Adressen: Paklenica-Nationalpark, Kroatien
Lage: Der Paklenica-Nationalpark befindet sich etwa 50 Kilometer nördlich der Stadt Zadar in der Mitte Kroatiens und in der Region Dalmatien. Als touristisches Zentrum der Region gilt der Ort Starigrad.
Anreise: Dalmatien ist mit dem Auto über Salzburg, Villach und Ljubiljana zu erreichen. Der schnellste Weg führt über die Autobahn an Zagreb vorbei. Schöner ist jedoch die Küstenstraße südlich von Rijeka.
Beste Reisezeit: Im Frühling liegt zwar noch Schnee in den Höhen des Velebit, aber in den Niederungen blüht es bereits und die Temperaturen sind zum Wandern oder Klettern geeignet. Im Sommer herrscht bis September Badewetter.
Unterkunft: Die Touristenorte entlang der Küste haben vom Campingplatz über Apartments bis hin zum Luxushotel alles zu bieten. Auch kleineren Orten mangelt es nicht an Übernachtungsmöglichkeiten: Viele Privatleute beherbergen Gäste oder betreiben auch kleine Campingplätze.
Gebühren für Nationalparks: Der Zutritt zu den Nationalparks ist in der Regel kostenpflichtig. Im Paklenica-Nationalpark fallen umgerechnet etwa 6 Euro pro Tag an. Wer die Plitvicer Seen sehen will, muss mit ungefähr 16 Euro rechnen.
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