„Am Berg zu leben ist eine Philosophie“
Foto: Cook the Mountain
Norbert Niederkofler kocht die Berge. Nicht den Fels, aber das, was darauf wächst. Mit seinem Projekt „Cook the Mountain“ versucht der Haubenkoch, ein Bewusstsein für die Besonderheiten der Bergregionen zu schaffen.
Interview: Mara Simperler
Bergwelten: Freuen Sie sich schon auf den Sommer? In den Bergregionen ist der Winter ja doch länger als im Tal und erst im Frühling gibt es wieder frisches Gemüse.
Norbert Niederkofler: Die Produkte sind nicht das Problem. Wir fermentieren, legen Gemüse ein, lagern etwas im Kartoffelkeller. Manche Gemüsesorten werden einfach im Boden gelassen und mit Stroh abgedeckt. Man holt sie im Winter direkt aus der Erde, wenn man sie braucht. Unsere Speisekarte verändert sich mit den Jahreszeiten.
Es ist schön, einen natürlichen Rhythmus in die Küche zu bringen. Die Vorfreude auf die speziellen Produkte der Saisonen ist größer, wenn man auf diese Weise kocht.
Was bedeutet der Berg für Sie?
Ich bin in einem kleinen geschlossenen Tal aufgewachsen, umgeben von Bergen. Sie nehmen eine sehr große Rolle ein in dem Leben der Menschen, die dort wohnen. Sie beschützen, sind aber auch eine Bedrohung. Es gibt die Neugierde, was sich auf der anderen Seite des Berges verbirgt und gleichzeitig herrscht Ehrfurcht vor den Naturgewalten.
Am Berg zu leben ist eine Philosophie. Man muss sich der Natur anpassen und sich ihr auch unterordnen. Es ist ein karges und manchmal schwieriges Leben, aber auch wunderschön. Heute sind die Berge einer der letzten naturbelassenen Flecken auf der Erde.
Diese Kargheit wirkt sich auch auf die Küche aus. Muss man kreativer werden, wenn weniger zur Verfügung steht?
Der Winter fordert mehr Kreativität, im Sommer gibt es Produkte in Hülle und Fülle. Ich sehe das aber nicht als Einschränkung, sondern als Umdenken. In der Wahl der Methode sind wir zum Beispiel völlig frei.
Viele Produkte sind ursprünglich aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. Auf der Alm hatte man nicht die Möglichkeit, wohin zu fahren um Lebensmittel einzukaufen. Also stellte man Käse her – denn Milch gab es im Überfluss. Auch das Räuchern von Speck dient dazu, ihn lange haltbar zu machen. Es galt zu produzieren, um das ganze Jahr über davon leben zu können. Die Menschen waren unwahrscheinlich kreativ. Darum geht es und das wird heute viel zu wenig geschätzt.
Für Cook the Mountain haben Sie auch Kollegen aus Peru, Spanien und Chile eingeladen, um mit ihnen gemeinsam die Essenz der Bergküche zu erforschen. Was verbindet die Bergköche dieser Welt?
Wenn man die Regeln des Berges einhält, sind gewisse Parameter vorgegeben. Da muss man erfinderisch werden. Ich war vor einigen Jahren in Peru und habe auf dem Markt kleine vertrocknete graue Knollen gesehen. Es waren Kartoffeln, die nach einem 2000 Jahre alten Konzept gefriergetrocknet wurden, indem man sie unter Tags zwischen Steinen lagert und sie dann in der Nacht durch den Temperatursturz konserviert.
Wir hatten auch eine Frau, die Kräuter sammelt, die über 1000 Höhenmeter wachsen. Da verschwimmen die Grenzen zwischen Heilen und Ernährung. Diese Funktion, die über das Essen an sich hinausgeht, haben wir vergessen.
Wer gibt solche Weisheiten heutzutage weiter?
Es gibt ein neu erwachendes Bewusstsein für solche Dinge. Es besteht eine große Notwendigkeit, diese Kenntnisse zu bewahren, sie niederzuschreiben. Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Die Berge vereinsamen oder werden nur mehr als Tourismusregionen genutzt. Da gehen viele Traditionen verloren.
Wir wollen mit Cook the Mountain in Zukunft auch Basecamps abhalten, kleine Events, wo die Menschen in die raue Realität der Berge zurückgeholt werden. Dabei findet man auch wieder Anhaltspunkte und Wurzeln. Das wird für die nächsten Generationen sehr wichtig sein.
Was können Berghütten besser als Sternerestaurants - und umgekehrt?
Beides hat seine Berechtigung. Ich gehe unglaublich gerne in Berghütten essen. Was mich stört, ist, dass dort viel zu viel Essen aus dem Tiefkühler kommt. Umgekehrt sind 90 Prozent der Gerichte in Sternerestaurants mit Zutaten gemacht, die nicht aus der Region kommen. Das will ich nicht.
Sie sind mit Ihrem Projekt auf der EXPO in Milan vertreten, die ab 1. Mai stattfindet. Was werden Sie dort präsentieren?
Am 11. und 12. Mai werden wir einen Stand haben mit einem Pastahersteller, der auf 1.200 Höhemeter Pasta macht. Außerdem stellen wir für die gesamte Dauer der EXPO vor, wie man mit regionalen Produkten innovative Gerichte zubereitet. Daran arbeite ich seit fünf Jahren. Italien hat so umfangreiche Bergregionen. Aber wenn etwas reichlich vorhanden ist, wird es oft vergessen.
Und wenn Sie nicht gerade kochen: Wo sind Sie am liebsten am Berg unterwegs?
Wir haben das Glück, hier komplett unterschiedliche Bergwelten erleben zu dürfen. Die Dolomiten auf der einen Seite, den Hauptkamm der Zillertaler Alpen, das Ahrntal, wo ich herkomme. Mir gefällt alles.
Du kriegst auch die Veränderung mit, die passiert. Früher sind wir am Schwarzenstein die letzte Stunde bis zur Hütte immer über den Gletscher gegangen. Heute musst du von der Schwarzensteinhütte noch eine Stunde weiter gehen um überhaupt den Gletscher zu sehen.
Ich fahre gerne mit dem Mountainbike und dem Rennrad hier, aber ich schätze auch das Wandern. Beim Wandern habe ich Zeit, in mich zu gehen und zu genießen, was ich habe.
Einer der schönsten Plätze von Südtirol ist der Pragser Wildsee, der von schroff aufsteigenden Bergen umgeben ist. Ich muss sagen, wir leben da schon auf einem sehr schönen Fleck Erde.
Mehr Informationen zu Cook the Mountain gibt es auf der Website von Norbert Niederkofler. Probieren kann man die Speisen im Hotel Rosa Alpina in Südtirol.
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