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Foto: Roland Vorlaufer
Alpingeschichte

5 prägende Menschen der Alpen

• 5. September 2021
7 Min. Lesezeit

Ein besessener Naturforscher, der unbedingt auf den Montblanc wollte, eine unerschrockene Engländerin, die die ersten Touristen auf die Gipfel führte, ein junger Österreicher, der zum Begründer des Freikletterns wurde, eine körperbewusste Kletterin, die sich zu inszenieren wusste, und ein Bergsteiger, dem alle Achttausender nicht genug waren – fünf Porträts außergewöhnlicher Menschen, die unser Bild der Alpen prägen.

Andreas Lesti für das Bergweltenmagazin Februar/März 2019

 

Horace-Bénédict de Saussure und dahinter die Berge
Foto: Roland Vorlaufer
Eine Kuh für den Gipfel des Montblanc: Horace-Bénédict de Saussure und der Beginn des Alpinismus.
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Horace-Bénédict de Saussure

Leben: 1740 bis 1799
Zitat: „Ich verstand, wie sie [die Berge] zusammengehörten und miteinander verbunden waren, durchschaute die Struktur, und ein einziger Blick klärte alle Ungewissheiten.“ (auf dem Gipfel des Montblanc)
Lieblingsplatz: der Gipfel des Montblanc
Was man von ihm lernen kann: dass man die Berge nur von oben verstehen kann
Warum er unser Bild der Alpen prägt: weil ohne ihn viele hohe Berge erst viel später bestiegen worden wären

Es geht aufwärts

Eine Kuh für den Gipfel des Montblanc: Horace-Bénédict de Saussure und der Beginn des Alpinismus.

Die Geschichte des Alpinismus beginnt mit der Besteigung des Montblanc (Bild) am 8. August 1786. Die Besteigungsgeschichte des Montblanc wiederum beginnt mit dem Genfer Naturforscher Horace-Bénédict de Saussure. Saussure war eine Instanz und europäische Autorität auf dem Gebiet der alpinen Forschung. 

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Goethe besuchte Saussure in Genf, mit Hegel tauschte er sich aus, Kant und Schopenhauer beschäftigten sich in ihren Schriften mit ihm, und der französische Geologe de Dolomieu wollte ein ganzes Gebirge nach Saussure benennen. Und hätte Saussure nicht abgelehnt, dann hießen die Dolomiten heute vielleicht Saussuriten. Regelrecht besessen aber war Saussure vom Montblanc. 

Ab 1760 versuchten sich Sommer für Sommer tollkühne Gestalten am höchsten Berg der Alpen – und scheiterten. Saussure setzte einen Geldbetrag im Wert einer Kuh für die Erstbesteigung aus, was Engländer und Einheimische gleichermaßen anstachelte. Dann, 1786, schafften es der Kristallsucher Jacques Balmat und der Arzt Michel-Gabriel Paccard bis auf den Gipfel. 

Und nun begann das, was man das „Goldene Zeitalter des Alpinismus“ nennt: die Eroberung aller großen Alpengipfel bis 1865. Saussure selbst stand im Sommer 1787 auf dem Montblanc; gemeinsam mit Balmat und 18 Bergführern – die erste groß angelegte Alpenexpedition. 

Die Führer trugen Essen, Wein und Saussures Instrumente: Kompass, Barometer, Thermometer, Teleskop und einige andere Gerätschaften, mit deren Hilfe Saussure die Staubströme in der Luft, die Geschwindigkeit der Wolken und sogar die Farbe des Himmels messen konnte. Doch auf 4.810 Metern wich der wissenschaftliche Geist der Faszination (und wohl auch der Erschöpfung). „Mir war wie im Traum zumute“, schrieb Saussure später, „als ich unter mir diese majestätischen Gipfel sah.“

Jemima Morrell vor Almwiesen und Bergen
Foto: Roland Vorlaufer
Über reale und imaginäre Gefahren: Jemima Morrell und die ersten Alpentouristen.

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Jemima Morrell

Leben: 1832 bis 1909
Zitat: „Wir landeten in Weggis, und wäre jeder Mann, Junge und Maultiertreiber, der sich dort auf uns stürzte, eine Wespe gewesen und jedes Wort ein Stich, Weggis hätte unsere sterblichen Überreste aufnehmen müssen.“
Lieblingsplatz: Rigi
Was man von ihr lernen kann: dass sich in 150 Jahren Alpentourismus gar nicht so viel verändert hat
Warum sie unser Bild der Alpen prägt: weil die Alpen ohne Touristen heute nur schwer denkbar wären

Das verkaufte Echo

Über reale und imaginäre Gefahren: Jemima Morrell und die ersten Alpentouristen.

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Es war im Frühsommer 1863, als die ersten Besucher per Pauschalarrangement durch die Alpen reisten, und noch konnte niemand ahnen, dass diese eigentümliche Truppe die künftige Art des Urlaubens mitprägen würde – sei es für den Sightseeingtouristen aus Asien oder den Wanderer aus Bayern, den Shoppingflaneur aus Arabien oder den Skifahrer aus Skandinavien.

Damals hatten die Teilnehmer die „First Conducted Tour of Switzerland“ bei dem Reiseveranstalter Thomas Cook gebucht. Und dass wir heute so genau wissen, wie sie gereist sind und was sie damals alles erlebt haben, verdanken wir einer jungen und tollkühnen Engländerin: Miss Jemima Morrell, eine 31-jährige Geschäftspartnerin ihres Landsmannes Thomas Cook, die, im Gegensatz zu ihm, die ganze Reise mitgemacht und alles genau und kritisch, selbstironisch und humorvoll, emanzipiert und bissig notiert hat. 

„Die Gefahren der Alpentouristik lassen sich in zwei Kategorien unterteilen“, schreibt die Bankierstochter aus Yorkshire, „die realen und die imaginierten, und im Rückblick sollte sich erweisen, dass die unseren allesamt zu Letzteren zählten.“ Und wenn sie über Chamonix schreibt: „Sogar das Echo verkauften sie uns“, dann merkt man, dass sich in den vergangenen 150 Jahren gar nicht so viel verändert hat.

Das liegt vielleicht auch daran, dass der Typus des alpinen Pauschaltouristen bis heute präsent ist und das Bild der Berge prägt wie die Kreuze ihre Gipfel. Jemima Morrell hat später geheiratet, bekam einen Sohn und wurde 77 Jahre alt. Warum sie das Manuskript ihres Textes für sich behielt, ist etwa so rätselhaft wie das Verschwinden George Mallorys am Everest. Es wurde erst Jahrzehnte nach ihrem Tod gefunden und veröffentlicht.  

Paul Preuß vor den Südtiroler Drei Zinnen
Foto: Roland Vorlaufer
Paul Preuß vor den Südtiroler Drei Zinnen

Paul Preuss

Leben: 1886 bis 1913
Zitat: „Den Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein.“
Lieblingsplatz: die Felswand ohne Haken
Was man von ihm lernen kann: Preuß’ Forderungen haben Bestand, sie zwingen zum Nachdenken und reduzieren auf das Wesentliche.
Warum er unser Bild der Alpen prägt: weil er das Freiklettern erfand und heute der Paul-Preuß-Preis für herausragende Leistungen im Alpinismus vergeben wird

Der Freidenker

Der große Mauerhakenstreit: Paul Preuß und das Klettern ohne Hilfsmittel.

Es ist erstaunlich, was Paul Preuß, der nur 27 Jahre alt wurde, in und nach seinem Leben alles bewirkt hat. Der eigensinnige Österreicher aus Altaussee gilt als Begründer des Freikletterns und brachte Haltung und Stil ins Bergsteigen – und Leitsätze, deren Absolutheit noch heute beeindrucken: „Wer ein technisches Hilfsmittel braucht“, lautet eines seiner Dikta, „um eine Tour machen zu können, die er ohne dieses nicht wagen würde, soll auf die Tour verzichten!“ 

Da wäre heute nicht viel los in den Felswänden der Alpen. Doch Preuß löste seine eigenen Forderungen ein. Er, der intellektuelle Freidenker und Revoluzzer, war einer der besten Kletterer seiner Zeit. Zwischen 1908 und 1913 gelangen ihm sagenhafte 1.200 Ersteigungen, davon 300 im Alleingang und 150 Erstbegehungen, etwa an den Südtiroler Drei Zinnen (Bild).

In München, wo er Biologie studierte und in Pflanzenphysiologie promovierte, zettelte er den „Mauerhakenstreit“ an. Preuß lehnte jede Form der Sicherung ab, verweigerte sich dem Abseilen und ließ Haken und Seil nur im äußersten Notfall gelten. „Das Maß der Schwierigkeiten“, lautet ein weiterer Leitsatz, „die ein Kletterer im Abstieg mit Sicherheit zu überwinden imstande ist und sich auch mit ruhigem Gewissen zutraut, muss die oberste Grenze dessen darstellen, was er im Aufstieg begeht.“ 

Es ist nicht verwunderlich, dass viele andere Kletterer seiner Zeit damit nicht einverstanden waren. Zwei Jahre später, am 3. Oktober 1913, wurde Preuß seine puristische Philosophie vermutlich selbst zum Verhängnis. Er stieg in die Nordwand des Mandlkogels am Gosaukamm und stürzte – mit nur 27 Jahren – unter ungeklärten Umständen zu Tode.

Reinhold Messner vor dem Nanga Parbat
Foto: Roland Vorlaufer
Reinhold Messner vor dem Nanga Parbat

Reinhold Messner

Leben: geb. 17.9.1944
Zitat: „Ich bin, was ich tue.“
Lieblingsplatz: Dolomiten
Was man von ihm lernen kann: überleben
Warum er unser Bild der Alpen prägt: weil ihn jedes Kind kennt und man sich die Berge ohne ihn gar nicht mehr vorstellen kann

Vierzehn Achttausender sind nicht genug

Nicht autorisierte Biografien und echte Helden: Reinhold Messner und seine alpinistischen Großtaten.

Es gibt diese amüsante Geschichte über Reinhold Messner: 1999 veröffentlichte die amerikanische Band Ben Folds Five eine Platte mit dem Titel „The Unauthorized Biography of Reinhold Messner“. Im Beiheft stand: „Als wir ,Die nicht autorisierte Biografie des Reinhold Messner‘ als Titel für dieses Album wählten, waren wir uns über die Existenz eines lebenden, atmenden und berühmten Reinhold Messner nicht im Klaren.“

Die Musiker hatten „Reinhold Messner“ in ihre gefälschten Studentenausweise geschrieben, weil sie ihn für eine sagenumwobene Heldengestalt hielten und nicht im Traum daran dachten, dieser Überbergsteiger könnte real sein. Ist er aber: ein mittlerweile 74-jähriger Südtiroler, dessen Schaffen und Wirken unermüdlich weitergehen und dessen Leben tatsächlich eine Heldensaga ist. 

Seine alpinistischen Großtaten – die Besteigung der vierzehn Achttausender, des Nanga Parbat im Alleingang, des Everest (Bild) ohne künstlichen Sauerstoff – und die Durchquerung der Arktis sowie der Wüste Gobi wirken heute schon fast historisch und sind überlagert von dem, was danach noch kam: sein politisches Engagement für die Grünen im Europaparlament, etliche Bücher (zuletzt auch fiktionale Erzählungen), die sechs Messner Mountain Museen in Südtirol und Belluno (allesamt zur Geschichte und Kultur der Berge; ein Projekt, das er auch schon als seinen „fünfzehnten Achttausender“ bezeichnete) und nicht zuletzt die Kolumnen für dieses Magazin. In den letzten Jahren widmete er sich vor allem dem Film, als Regisseur von Werken wie „Still Alive“ oder „Ama Dablam“.

Catherine Destivelle vor den Nameless Tower in Pakistan
Foto: Roland Vorlaufer
Catherine Destivelle und die Inszenierung des Profikletterns - hier vor den Nameless Tower in Pakistan

Catherine Destivelle

Leben: geb. 24.7.1960
Zitat: „Ohne Seil gibt es keine Angst, denn ein Absturz ist undenkbar.“
Lieblingsplatz: Bonatti-Pfeiler, Aiguille du Dru
Was man von ihr lernen kann: dass man zwischen Kletterer und Kletterin keinen Unterschied zu machen braucht
Warum sie unser Bild der Alpen prägt: weil sie uns zeigte, wie man sich dort am besten inszeniert

Rock Queen

Wie man aufs Cover von „Paris Match“ kommt: Catherine Destivelle und die Inszenierung des Profikletterns.

Bergsteigen und Klettern sind immer auch eine Form der Selbstdarstellung. Wie schafft man es, Aufmerksamkeit zu generieren und die Welt von seinem Tun zu begeistern? Oder, um es mit der französischen Ausnahme-Alpinistin Catherine Destivelle zu sagen: Wie kommt man als Bergsteigerin auf die Titelseite von „Paris Match“?

„La Destivelle“, wie sie in Frankreich – ähnlich wie „La Bardot“ oder „La Deneuve“ – genannt wird, inszenierte sich in besonderer Weise: in einem ziemlich durchsichtigen rosafarbenen Body unter dem Klettergurt, im ärmellosen gelben Top und Hotpants am Seil, mit schmollendem Blick in die Wand. Das könnte man auch kritisch-feministisch sehen. Doch da stand die „Rock Queen“ im wahrsten Sinne des Wortes drüber. In den frühen 1980ern gewann sie im Sportklettern alles, was es zu gewinnen gab. 

Sie war die erste Frau, die im achten Grad kletterte (schon ist das Klischee wieder da); sie erklomm den Nameless Tower in Pakistan (im Bild links), durchstieg die Nordwände von Eiger und Matterhorn im Winter. Ihre Vielseitigkeit machte die heute 58-Jährige zu einer der besten Alpinistinnen der Welt. 

Sie kletterte stets mit Männern, maß sich mit ihnen und hat immer wieder betont, dass sie nicht als „Die erste Frau, die…“ in die Alpingeschichte eingehen möchte, sondern sich in dieser männerdominierten Welt beweisen will. Und „La Destivelle“ hat es darüber hinaus mit ihrer Mischung aus Eigensinn, Professionalität und Sexyness geschafft, das Klettern weit über die Szene hinaus bekannt zu machen.

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