Ermacora: „Die Ehrenamtlichen geben ihr Herzblut“
Dr. Andreas Ermacora, Präsident des Österreichischen Alpenvereins, sprach mit Bergwelten-Chefredakteur Klaus Haselböck über den Reiz ehrenamtlicher Arbeit, seine wichtigsten Anliegen, die gelungene Zusammenarbeit mit Bergwelten und auf welche Berge er privat am liebsten steigt.
Bergwelten: Wie war Ihr Weg zum ÖAV-Präsidenten?
Dr. Andreas Ermacora: Mein Vater war von 1968 bis 1970 erster Vorsitzender des Alpenvereins. Als er dann in den Nationalrat gekommen ist, hat er abgedankt, denn es wäre mit unserer Satzung unvereinbar gewesen. Der Alpenverein ist ja parteipolitisch neutral und unabhängig. Mit 32 Jahren hat mich dann ein befreundeter Anwalt gefragt, ob ich mir vorstellen kann, beim Alpenverein ehrenamtlicher Sachwalter für Rechtsangelegenheiten zu sein. Mein Vorgänger in dieser Funktion meinte, das seien drei Sitzungen im Jahr, ich müsse die Statuten überprüfen, an der Hauptversammlung teilnehmen – fertig. Da meinte ich: Das mache ich! Ich war ja noch jung und hatte noch nicht so viel Arbeit. Aus den drei Sitzungen sind mittlerweile 500 Stunden im Jahr an ehrenamtlicher Tätigkeit geworden.
Was ist genau die Funktion eines Präsidenten im Alpenverein?
Es geht um die Vertretung des Vereins nach außen. Ich bin Mitglied des Präsidiums, und das Präsidium ist quasi das Leitungsorgan des Vereins. Gemeinsam mit der hauptamtlichen Geschäftsleitung werden hier die wichtigen Entscheidungen für den Verein getroffen. In Abstimmung mit dem Bundesausschuss, dem auch die Präsidiumsmitglieder angehören, werden in zehn Sitzungen pro Jahr alle Bereiche – von den Hütten über die Jugend bis zum Budget – besprochen. Wir sind ja mittlerweile ein riesiger Verein.
Apropos „riesiger Verein“: Der ÖAV hat bald 500.000 Mitglieder, und in vielen Bereichen arbeiten nach wie vor ehrenamtliche Mitglieder. Wären angestellte Mitarbeiter da nicht die bessere Lösung?
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Der Verein besteht seit 153 Jahren und wird von Ehrenamtlichen geführt. Die Erfolgsstory des Vereins zeigt, dass es auf dieser Basis möglich ist. Das erfordert natürlich in jeder Sektion ein hohes Maß an Einsatz – vom Präsidenten bis zum Schatzmeister. Die Idee der unentgeltlichen Arbeit ist die tragende Säule des ÖAV – so wie bei jedem Verein in Österreich. Ohne Ehrenamtlichkeit geht es nicht. Der Verein hat hier in Innsbruck 48 Angestellte, und das ist für so einen Verein nicht viel. Die großen Sektionen haben noch einige Angestellte, alle anderen Tätigkeiten sind ehrenamtlich. Und das ist gut so: Die Ehrenamtlichen geben ihr Herzblut für diese Arbeit. Das ist dann ihre Hütte, es sind ihre Wege und ihre Mitglieder.
Wie motiviert der ÖAV Menschen fürs Ehrenamt?
Das wird immer schwieriger, das muss man ehrlich sagen. Außer einem geringen Speseneinsatz pro Tag wird ja nichts bezahlt. Es gelingt uns aber trotzdem, weil Themen wie die Erhaltung der Natur, das Wandern und die Hütten sehr gut ankommen und sich gerade die Jugend dafür mit viel Enthusiasmus engagiert.
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Als Bergsteiger ist man ja gewohnt, Spuren zu hinterlassen. Bei welchen Themen wollen Sie Akzente setzen?
Sehr wichtig ist für mich Bergsport und Gesundheit. Denn das bekommt in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit.
Viele Menschen wissen ja gar nicht, wie schön unsere Berge, die Hütten und Wege sind oder wie gesund es ist und gut es tut, sich in den Bergen zu bewegen. Speziell die Jugend liegt mir da am Herzen. Ihr muss man die Natur näher bringen, damit sie weniger daheim sitzt und mehr rausgeht. Mit der Paracelsus Universität in Salzburg und der Sportuniversität in Innsbruck haben wir daher derzeit Projekte laufen, um den gesellschaftlichen Nutzen von Bergsport für die Gesundheit wissenschaftlich hinterlegen zu lassen.
Welche Themen sind Ihnen außerdem ein Anliegen?
Natürlich die Sicherheit am Berg. Wir haben mit Michael Larcher und seinem Team eine tolle Bergsportabteilung. Wir bieten viele Kurse an und wollen die Leute schulen, damit sie die Gefahr besser einschätzen können. Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. „Halbschuhtouristen“ sind viel seltener geworden, und die Unfallzahlen sind an und für sich rückläufig. Aber mit der Ausrüstung allein ist es nicht getan; man muss auch das Hirnkastl einschalten, und das tut man besser, wenn man sich auskennt, also ein Bewusstsein für das Risiko hat. Dafür bieten wir verschiedenste Kurse an. Außerdem stehen wir für den alpinen Naturschutz ein. Wir sind kein grüner Fundamentalistenverein. Wir reden mit allen, und es geht uns darum, einen Konsens zu finden. Wir wollen so stark sein, dass wir gefragt werden und mitgestalten können. Bei den Kalkkögeln, nahe Innsbruck, war der Alpenverein die treibende Kraft, dass dieses Ruhegebiet nicht aufgelöst wurde. Wenn wir nicht so massiv argumentiert hätten, wäre die Politik drübergefahren.
Die alpinen Vereine leisten einen enormen Beitrag, um die Infrastruktur am Berg für den Tourismus zu erhalten. Ist das auch weiterhin zu schaffen?
Die Unterstützung vonseiten der Politik ist seit der Petition im Jahr 2013 deutlich besser geworden. Es hinken zwar manche Bundesländer hinterher – ich würde mir wünschen, dass es einen festgeschriebenen Beitrag zur Erhaltung des Wegenetzes gibt – ich bin aber guter Dinge, dass wir die Hütten und auch die Wege erhalten können. Denn ohne die Arbeit der alpinen Vereine findet der Sommertourismus nur noch im Tal statt. Die Holländer, die Deutschen kommen ja nicht zu uns, um am Inn entlangzumarschieren. Sie wollen auf die Berge gehen! Wenn wir nicht in der Lage sind, die alpine Infrastruktur zu erhalten, dann gibt’s den Wandertourismus nicht mehr.
Wie passen der Tourismus und der Alpenverein zusammen?
Der Alpenverein ist ein Teil der Tourismuswirtschaft, und wir werden auch als Partner anerkannt. Denn wir sind der größte Beherbergungsbetrieb des Landes, da wir auch die meisten Betten haben. Ich weiß schon, dass unserer Betten zumeist nicht Hotelniveau haben. Aber wir sind ganzjährig für die Leute da. Denn die Leute unternehmen immer mehr Skitouren und wollen am Berg auch bewirtet werden. Unsere Herausforderung beim Alpenverein ist aber, dass nicht nur Hütten und Wege für uns wichtig sind, sondern es noch viele weitere Themen für uns gibt. All diese auszugleichen ist die Kunst.
Die Alpenvereine erfreuen sich eines enormen Zulaufs. Der ÖAV wird bald sein 500.000stes Mitglied begrüßen, der DAV hat mittlerweile deutlich über eine Million Mitglieder. Haben Sie eine Erklärung für diese Beliebtheit?
In den 1980er-Jahren hatte der ÖAV gleich viele Mitglieder wie die Naturfreunde, also 150.000. Die Naturfreunde, die auch sehr viele tolle Angebote machen, haben heute auch 150.000, wir haben aber fast 500.000 Mitglieder. Ich denke, unser Erfolg hat vor allem mit unserem Standing als Vertreter der Alpen und als Vertreter der Natur zu tun. Für die Mitglieder gibt es um 56 Euro im Jahr – das sind zwölf Bier – viele Vorteile wie die weltweit gültige Versicherung, das Hüttenangebot, die Zeitschriften und eine große Zahl an Ausbildungsmöglichkeiten. Wir denken auch an die Familien – die Kinder zahlen nichts und sind trotzdem versichert. Wir verstehen uns als ein Dienstleistungsbetrieb, und das Angebot zieht offensichtlich.
Der Österreichische und der Südtiroler Alpenverein haben mit Bergwelten eine erfolgreiche Kooperation geschlossen und waren von Anfang an bei der Entwicklung des Magazins involviert. Wie sehen Sie unser Miteinander?
Ich sehe hier sehr große Chancen und war deshalb von Anfang an für die Zusammenarbeit. Die hat sich ja mittlerweile auch toll entwickelt. Wenn ein Unternehmen wie Ihres so ein Medium macht, dann bringt das dem Alpenverein und auch den Mitgliedern viele Vorteile. Denn die Themen, die Bergwelten transportiert, liegen auch uns am Herzen. Es werden unsere Hütten präsentiert, es werden die Wege präsentiert und es wird das Know-How des Alpenvereins präsentiert. Es wird also ein großer Beitrag geleistet, dass die Menschen in die Berge gehen. Das hilft dem Alpenverein, und es stärkt das Thema Bergsport und Gesundheit. Solche Partnerschaften sind auch für den Alpenverein wichtig. Es hat Sinn, sich zu vernetzen.
Neben Ihrer Tätigkeit als Präsident des Alpenvereins sind Sie ein vielbeschäftigter Anwalt. Bleibt Ihnen da überhaupt noch selber Zeit für die Berge?
Einmal pro Woche – meist am Abend – gehe ich mit meinen Freunden biken, laufen oder mache im Winter eine Nachtskitour. Am Wochenende versuche ich einen Tag am Berg zu verbringen. Ich war gerade am Großglockner, aber mit einem Bergführer, denn ich bin selber ein Bergwanderer und kein Alpinist.
Wo sind Ihre Lieblingsregionen?
Rund um Innsbruck ist es so schön, da muss ich gar nicht weit wegfahren. Am Patscherkofel, dem Hausberg von Innsbruck, bin ich gern mit dem Mountainbike unterwegs, außerdem im Bereich des Bergsteigerdorfes Sellrain oder des Wipptals und seinen Seitentälern. Eine meiner Lieblingstouren ist der Eggerberg im Obernbergtal, denn der ist auch im Winter bei jeder Gefahrenlage möglich und hat im Sommer so schöne Naturwiesen und eine herrliche Aussicht. Auf ihn gehe ich viermal im Jahr, also zu jeder Jahreszeit.
Herzlichen Dank für das Gespräch!