„Gefährliche Routine“: Peter Ortner im Interview
Peter Ortner, der Seilpartner von David Lama, im Interview über Freundschaft unter Seilpartnern, das Glück der roten Linien, der Gefahr der Routine und über das aktuelle Projekt Masherbrum Nordostwand.
Interview: Simon Schreyer
Wer mit David Lama in einer Expeditions-Seilschaft mithalten will, muss zwingendermaßen selber zu den besten Alpinisten und Kletterern weltweit gehören. So einer ist der Osttiroler Peter Ortner, der seit der freien Durchsteigung der Cerro-Torre-Südostwand in Patagonien auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist.
Durch seine ruhige, besonnene Art und seinen wohlverdienten Ruf als höchst zuverlässiger Handwerker in Fels und Eis hat der 31-Jährige, den sie in seiner Heimat „Luner“ nennen, in den vergangenen drei Jahren immer wieder gezeigt, dass er zu den Besten im Alpinismus zählt.
Bergwelten: Wie bist du zum Bergsteigen gekommen?
Peter Ortner: In den Bergen war ich schon als kleiner Bub sehr viel unterwegs. Mit 13, 14 war ich im Debanttal Hirtengehilfe. Dort steht ja auch die Schobergruppe, in der ich die meisten größeren Gipfel alleine bestiegen habe – und auch meistens danach geschimpft wurde. Das war mir aber eigentlich egal, weil es mir irrsinnig Freude gemacht hat. Schon damals haben mich die Wände gereizt, mit 18 hab ich dann mit dem Klettern angefangen.
In welchen Bereichen des Bergsteigens suchst du zur Zeit deine Herausforderungen und Grenzen?
In den letzten Jahren waren das Expeditionen zu sehr hohen Bergen und in hohe Wände. Zu Hause suche ich Projekte, die eine gewisse Ernsthaftigkeit erfordern und Können voraussetzen. Keine eingebohrten Routen, sondern lange Touren, wo man wirklich konzentriert bei der Sache sein muss, in denen man meistens nur mit Schlaghaken und mobilen Sicherungsmitteln vorankommt.
Wenn du viele Erstbegehungen und wirklich ernsthafte Touren unternimmst, wirst du sehr routiniert und sehr schnell. Das ist enorm wichtig in den großen Wänden, die gerade auf meiner Projektliste stehen, und in denen Zeit natürlich ein sehr wichtiger Faktor ist.
Kann die Routine auch zur Gefahrenquelle werden?
Auf jeden Fall. Routine ist sehr nützlich weil die Unsicherheit abnimmt, kann aber dann sehr gefährlich werden, wenn man nicht beachtet, was in einer konkreten Situation falsch laufen kann. Das vergessen viele.
Wenn man glaubt, bestimmte Touren auswendig zu können, und sich deshalb denkt, „da brauch ich jetzt eh nicht mehr so aufpassen“, dann ist man am falschen Weg. Genau dann passieren Fehler – weil man nicht hundertprozentig bei der Sache ist, vielleicht im Kopf schon weiter voraus ist oder die Gedanken schweifen lässt. Also unbedingt im gegenwärtigen Moment bleiben!
Wie wichtig ist Freundschaft unter Seilpartnern?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass Seilpartner vom Können her zusammenpassen. Sonst kann es passieren, dass einer von beiden bald einmal überfordert ist.
Zweitens ist man bei Bergexpeditionen sehr lang unterwegs, man verbringt viel Zeit auf engstem Raum miteinander. Meistens ist das auch noch irgendwo am Arsch der Welt. Wenn man sich dort nicht versteht und nicht am gleichen Strang zieht, kommt es früher oder später zu Reibereien, worunter das ganze Projekt leidet. Deshalb ist es für mich sehr wichtig, dass die Personen, mit denen ich am Berg unterwegs bin, auch relativ gute Freunde sind.
Es müssen nicht die besten Freunde sein, aber wir müssen uns verstehen. Es kann nicht immer alles einstimmig ablaufen, aber trotzdem sollte man über alles reden können und die Meinung des anderen respektieren. Nur so kann man auch gemeinsam ans Limit gehen.
Wie lässt sich ein Lagerkoller auf Expeditionen vermeiden?
Bei zweieinhalb Monaten auf Expedition ist das Wetter nicht immer super. Wenn das Team deshalb nichts unternehmen kann, ist es erforderlich, trotzdem in Bewegung und bei Laune zu bleiben. Im Masherbrum Base Camp (Masherbrum, auch als K1 bekannt, 7821m, im Karakorum-Himalaya, Pakistan. Seine undurchstiegene 3500m hohe Nordost-Wand ist das aktuelle Projekt der Tiroler Dreierseilschaft Lama/Ortner/Auer; Anm.) haben der David, der Hansjörg (Auer; Ötztaler Kletterer und Alpinist; Anm.) und ich zum Beispiel eine High Line gespannt. Das ist eine gute Ablenkung von der Tatsache, nicht klettern zu können, und der Tag vergeht schnell.
Auch auf Akklimatisierungs-Touren lassen sich schöne Gipfel erklettern. Die mögen zwar unbedeutend sein, sind aber hilfreich um die Motivation beizubehalten und Langeweile oder Streit erst gar nicht aufkommen zu lassen. Und es ist bestimmt ein Vorteil, mit dem Partner über Gott und die Welt reden zu können, und nicht nur übers Bergsteigen.
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Was war dein erster Eindruck von David Lama, als du ihn vor vier Jahren in Patagonien kennengelernt hast?
Ich hab den David als sehr netten jungen Mann kennengelernt, der gerade vom Wettkampf ins Alpine gewechselt ist. Er war damals ein bisschen blauäugig unterwegs und hat auch noch nicht gewusst, was er davon halten soll, wenn er den Cerro Torre jetzt nicht frei schafft.
Er war es gewohnt, Projekte abzuhaken und diese Einstellung wollte er gleich ins Alpine mitnehmen. David hat sich nicht gedacht, dass sich ein Projekt so dermaßen wehren kann, es sind ja außer seinem eigenen Können noch verschiedene andere Faktoren wie das Wetter und die Verhältnisse in der Wand dazugekommen. An seinem Können hat ja niemand gezweifelt. Auch er selber nicht, sonst wäre er ja nicht auf so ein Projekt zugegangen.
Ich muss aber sagen, dass er enorm schnell aus seinen Fehlern gelernt hat, seine Erkenntnisse schnell umgesetzt hat und jetzt sehr stark unterwegs ist. Deshalb ist er jetzt da, wo er steht – und dabei ist er noch immer total nett, freundlich und gar nicht überheblich. Ich kenne ihn nur so.
Ist euer gemeinsames Projekt Masherbrum-Nordost derzeit einmal auf Eis gelegt?
Wir waren die vergangenen drei Saisonen in Pakistan, dieses Jahr machen wir eine Pause. Aber David, Hansjörg und ich werden uns sicher schon bald wieder zusammensetzen um zu schauen wie wir am Besten weitermachen.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Wand anzugehen. Unter diesen ist Davids Linie mittendurch sicherlich die imposanteste. Ob sie auch die schönste ist, ist Ansichtssache. Für mich ist die Linie links vom mächtigen Pfeiler logischer, weil sie die möglichere ist. Dort verlaufen viele Verschneidungssysteme.
Die Wand ist so riesig (3500m, also gut doppelt so hoch und fast fünfmal so groß wie die Eiger Nordwand; Anm.), dass es irrsinnig schwierig ist, sich ohne ein scharfes Bild davon wirklich in ihr auszukennen. Die perfekte Linie werden wir erst kennen, wenn wir oben am Gipfel sind. Was wir vorher sagen können, ist, wo wir einsteigen werden und in welchem Bereich wir klettern wollen – die Feinheiten ergeben sich dann in der Wand.
Stellt die über die Wand geneigte, steile Schnee-und Eisfläche am Gipfel eine Gefahr dar?
Vom Gipfelpilz kommt gar nicht so viel runter, aber in der Wand befinden sich einige mächtige Séracs (labile, teils haushohe Eistürme; Anm.), die immer wieder abbrechen und große Lawinen auslösen. Deshalb ist der untere Wandteil sicherlich der Abschnitt mit den größten objektiven Gefahren. Je höher wir kommen werden, desto schwieriger auch die Kletterei in einer Höhe über 7000m.
Der Pfeiler alleine zieht sich von 6500m auf 7500m, und diesen schnell zu klettern, ist eine Herausforderung. Wir haben für die Wand fünf Tage einkalkuliert und wir werden auch drei Tage brauchen, um wieder abzusteigen.
Werdet ihr über die Wand abseilen oder über die relativ einfachere Südseite ins Tal von Hushe absteigen?
Das wird von den Verhältnissen abhängig sein. Hushe ist ein möglicher Weg, aber er ist auch ein sehr gefährlicher und vor allem weiter Weg. 5000m Abstieg und durch ein ganzes Gletschertal hinaus, also eigentlich eine Woche Marsch, die wir aber in drei Tagen bewältigen müssten, weil uns sonst irgendwann der Proviant ausgeht (Beim Aufstieg muss das Gewicht möglichst gering gehalten werden; Anm.).
Wieder über die Nordostwand abzuseilen wäre besser, weil wir dabei im Blickfeld vom Base Camp bleiben. So wissen unsere Leute immer, was gerade passiert. Das Abseilen über so eine Riesenwand ist aber auch keine Kleinigkeit. Zudem setzen wir uns dabei nochmals den Gefahren in der Sérac-Zone aus. Zu allem kommt noch das große Schönwetterfenster, das wir dazu brauchen. Es ist ein sehr komplexes, aber hoch interessantes Projekt.
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Welche Erfahrungen nimmst du aus den Bergen mit ins Tal?
Die einschneidenden Erlebnisse und Erfahrungen am Berg gibt man natürlich gerne weiter. Die sind auch schwer zu vergessen. Manchmal sitze ich in den Lienzer Dolomiten, trinke meinen Kaffee, und dann schau ich hinauf und sehe nur mehr die roten Striche, die sich durch die Wände ziehen.
Und ich weiß: da bin ich schon mal geklettert, diese oder jene Stelle in der Route ist so und so beschaffen. Ich stelle mir das ganze riesige Massiv der Berge in meinem Kopf vor, rekonstruiert bis ins letzte Detail. Das sind Erfahrungen, die ich nicht missen möchte. Das ist ganz etwas anderes als Bouldern oder Sportklettern. Diese Erinnerungen sitzen nicht so fest wie die Bergerlebnisse einer großen Tour.
Was macht für dich einen guten Bergsteiger aus?
Es gibt so viele gute Bergsteiger, die zur Zeit interessante Projekte haben. Starke Kletterer gibt es mittlerweile ebenfalls sehr viele, und im alpinen Bereich scheiden sich die Geister. Sind die körperlich starken Kletterer auch mental stark genug, sich in einer riesigen Wand aufzuhalten?
Alle Stärke und Erfahrung nützen nichts, wenn die Verhältnisse und das Wetter das Umsetzen des Projektes verhindern. Es ist auch wichtig, nicht alles zu riskieren, und nicht in eine Wand einzusteigen, wenn die Wettersituation nicht ganz klar ist, denn sonst findest du dich schneller als dir lieb ist in einer Gefahrensituation wieder. Es stürzen immer wieder sehr gute und starke Bergsteiger ab.
Wer sich dann wirklich mit seinen Projekten durchsetzt, das werden wir sehen. Das Wichtigste ist zu überleben. Für mich ist der beste Bergsteiger immer noch der, der alt wird.