Weitwandern: Der Karnische Höhenweg
Foto: Philipp Schönauer
Der Karnische Höhenweg ist eine der spektakulärsten Wanderungen im Alpenraum. Und obwohl er Höhenweg heißt, kann es dabei auch ziemlich auf und ab gehen.
Markus Huber für das Bergwelten-Magazin August/September 2019
Vier Kilometer. Vier Kilometer sollen es noch sein bis zur Unteren Valentinalm, aber das muss noch gar nichts heißen, denn in dieser Gegend haben sie es nicht so mit den Entfernungen und den Gehzeiten. Was auf den gelben Wegweisern steht, sind bestenfalls Richtwerte – vor allem die Gehzeiten, das haben wir in den vergangenen Tagen schon mehrmals bemerkt.
Die angegebenen Zeiten richten sich weniger an langsame oder durchschnittliche Wanderer, wie man das gewohnt ist, sondern sind eher absolute Bestzeiten, die auf dem Teilstück jemals erreicht wurden. Wenn hier also steht, dass es nur noch 40 Minuten bis zur Unteren Valentinalm sind, dann kann man das sicher in 40 Minuten schaffen – aber nur dann, wenn man bei den österreichischen Berglaufmeisterschaften unter den Top Ten war.
Wir sind in Kärnten, am Karnischen Höhenweg, wir stehen hoch über dem Bergsteigerdorf Mauthen, genauer gesagt beim Valentintörl, und es ist atemberaubend schön. Von hier heroben sieht man weit hinein in die Karnischen Alpen, sieht aber vor allem hinunter zum Wolayersee, der nur einen Steinwurf entfernt vom Valentintörl liegt. Dort hatten wir uns mit dem Kärntner Alpinisten Helmut Ortner getroffen. Ortner bewirtschaftet die Wolayerseehütte, die vielleicht schönste Hütte der Karnischen Alpen.
Sie liegt malerisch auf 2.000 Meter Seehöhe, rechts und links ist sie von der Hohen Warte, der Seewarte und dem imposanten Seekopf umrahmt. Ortner, der fünf der sieben höchsten Gipfel der Welt bereits bestiegen hat und für seine waghalsigen Skitouren bekannt ist, hat die Alpenvereinshütte in den vergangenen Jahren zu einem brummenden Haus gemacht
Massage auf 2.000 Metern
Fast wie ein Hotel ist die Wolayerseehütte mittlerweile mit ihren modernen Zimmern und der großen verglasten Panoramaterrasse. Es gibt ausgezeichnete Küche und richtigen Kaffee, und wenn man will, dann kann man sich hier heroben donnerstags und freitags auch massieren lassen, auf 2.000 Meter Höhe, also weit über der Baumgrenze.
Wenn man auf der Terrasse sitzt und Richtung See schaut, kommen von allen Seiten Wanderer und Touristen. Irgendwann beginnt man sich über die Italiener in Flip-Flops und mit Kindertragegestellen zu wundern, aber dann erklärt einem Helmut Ortner, dass die nicht den ganzen Karnischen Höhenweg gegangen sind – sondern aus dem italienischen Refugio gleich hinter dem Kamm in südlicher Richtung kommen.
Dort führt die Straße nämlich bis auf wenige Höhenmeter an den See heran und macht ihn deswegen zu einem der beliebtesten alpinen Ausflugsziele in der Region. Dafür verpassen alle, die mit dem Auto herauffahren, den großartigen Abstieg zur Unteren Valentinalm.
Er ist vier Kilometer lang, vielleicht auch etwas länger, wir sind ja hier in Kärnten. Es ist zwar schon Ende August, zu Beginn geht es aber immer noch über kleine Schneefelder und dann steil über ein Geröllfeld nach unten. Wanderern begegnet man kaum, aber das muss normalerweise anders sein, denn immer wieder treffen wir auf Murmeltiere, die sich breit und bräsig auf den Steinen sonnen.
Sie machen sich gar nicht erst die Mühe, sich zu verstecken oder auch davonzulaufen – es dürften hier heroben also doch öfter Touristen vorbeikommen. Wir passieren Wiesen, Forststraßen, kürzen über schattige Waldwege ab, und nach nur zwei Stunden sind wir tatsächlich auf der Unteren Valentinalm.
Das ist er also, der Karnische Höhenweg. Unter diesem Namen gibt es das Wegenetz entlang der österreichisch-italienischen Grenze noch nicht so lange, es gehört aber mittlerweile zu den beliebtesten Weitwanderwegen in den Ostalpen.
Von Sillian in Osttirol zieht sich der Weg über 150 Kilometer nach Osten bis nach Thörl-Maglern in Kärnten. Acht bis zehn Tage braucht man für den gesamten Weg; unterwegs gibt es zahlreiche Hütten, in denen man übernachten kann. Und es geht fast immer sehr spektakulär den Hauptkamm der Karnischen Alpen entlang.
Einmal ist der Weg hochalpin, dann verläuft er über sanftes Weideland, und immer hat man grandiose Ausblicke: in die schroffen Gebirgsformationen oder hinunter ins flache Land. Vor allem die westlichen Teilstücke des Höhenwegs sind manchmal etwas ausgesetzt, und man braucht Trittsicherheit.
Je weiter es nach Osten geht, desto gemütlicher werden die Etappen. Wie der Name schon sagt, ist es ein „Höhenweg“, aber wer sich darunter ein sanftes Dahinspazieren ohne gravierende Auf und Abs verspricht, der irrt – man legt auch ganz schön Höhenmeter zurück am Höhenweg.
Wo der Krieg war
Die spannendste Strecke ist der mittlere Teil, rund um den Plöckenpass; die meistbegangene Route zieht sich von der Unteren Valentinalm über das Plöckenhaus in Richtung Gailtaler Polinik, des markanten Hausbergs von Mauthen, und die Köderhöhe bis zur Zollnerseehütte.
Knapp 20 Kilometer ist diese Etappe lang, zwei Pässe sind zu überqueren – das kann anstrengend werden, wenn man nicht Kärntner Bergläufer ist. Doch auch auf dieser Etappe traut man sich als geschichtsbewusster Wanderer nicht zu jammern – die Berge hier haben schon sehr viel größeres Leid gesehen.
Vor etwas mehr als 100 Jahren, im Ersten Weltkrieg, verlief hier die Front zwischen Italien und der k. k. Monarchie. Und gerade die Region um den Plöckenpass war besonders hart umkämpft, weil dieser einen vergleichsweise leichten Übergang über die Alpen bot.
Gleich neben der Plöckenstraße geht es steil nach oben, und nach einem ersten knackigen Anstieg steht man schon auf dem ersten Soldatenfriedhof, „Heldenfriedhof“ heißt das heute. Die „Helden“ waren häufig 20-, 21-jährige junge Männer aus allen Teilen der Monarchie.
Sie sind in diesen Bergen gestorben, durch die wir gerade wandern, und wenn man sich die Todesursachen anschaut, dann stellt man fest, dass viele weit entfernt von dem starben, was manche Heldentod nennen. Steinschlag, Lawinen, ohne Feindeinwirkung vermisst: In den Karnischen Alpen war der größte Gegner der Soldaten nicht der Feind auf dem anderen Berg, sondern der Berg und die Witterung selbst.
Die Wege hier können schon im Sommer strapaziös genug sein – wie da ein Überleben im Winter möglich sein soll, ist heute absolut unvorstellbar. Das sagen auch Maria und Toni Taurer, die Wirte der Zollnerseehütte. Sie bewirtschaften das Haus im Windschatten des Hohen Trieb direkt an der alten Frontlinie jährlich von Mai bis Oktober. (Anm.d.Red.: Stand 2019. Inzwischen haben Karin Schöttel und Simone Spörk die Hütte übernommen.)
Slow-Food-Hütte
Und sie machen das mit großer Leidenschaft: Die Zollnerseehütte am Karnischen Höhenweg ist eine der ersten Hütten Österreichs, die sich kulinarisch der Slow-Food-Bewegung verschrieben haben. Maria Taurer kauft alle Nahrungsmittel, die sie auf der Hütte verkocht, bei regionalen Produzenten, sie kennt zwar vielleicht nicht die Tiere persönlich, die auf den Teller kommen – aber sie weiß, wo sie herkommen.
„Man schmeckt das“, sagt sie, und sie hält es auch für ein gutes Zeichen, dass sich immer mehr Landwirte und Produzenten der Region zusammenschließen, um so im Windschatten des Tourismus gemeinsam zu profitieren. Wir gehen weiter, die nächste Etappe des Höhenwegs führt vom Findenigkofel über die Straniger Alm und den Trogkofel zum Nassfeld, der vielleicht italienischsten Skistation der Karnischen Alpen.
Auch auf diesem Teilstück ist die Wegzeitangabe wieder einmal recht sportlich bemessen, das Gelände ist aber weniger hochalpin als in den Tagen zuvor. Am Nassfeld selbst treffen wir auf einen perfekten, mit Seilbahnen gut erschlossenen Abenteuerspielplatz. Und hier stimmen dann die Wegzeiten auch ganz genau. Auf einem Spielplatz muss schließlich niemand mit Bestleistungen angeben. Jedenfalls niemand, der älter als vier Jahre ist.
TV-Tipp
Am 4. April 2022 zeigt ServusTV die Bergwelten-Doku „Die Karnischen Alpen“ um 20:15 Uhr in Österreich und um 21:15 Uhr in Deutschland.
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