Christian Stangl: „Ich wollte die Welt sehen und ihre Berge besteigen"
Christian Stangl stand als erster und bis heute einziger Mensch auf den Triple Seven Summits, den jeweils drei höchsten Gipfeln der sieben Kontinente. Im September 2021 erhielt er für sein Projekt „sea to summit“ seinen bereits vierten Eintrag ins GUINNESS Buch der Rekorde. Wir haben uns mit dem Skyrunner – wie er sich selbst nennt – über seinen aktuellen Weltrekord, die höchsten Gipfel der Erde und die Bedeutung der Berge unterhalten.
Christian Stangl absolvierte den schnellsten Aufstieg vom Meer zum Gipfel des 8.586 Meter hohen Kangchenjungas im Himalaja. Dafür radelte er vom Golf von Bengalen (Indischer Ozean) quer durch Indien und wanderte in Nepal zu Fuß zum Basislager, um anschließend den 8.586 m hohen Berg ohne Verwendung von Flaschensauerstoff zu besteigen. 76 Tage war er dafür unterwegs. Darüber hinaus ist Christian Stangl immer noch der einzige Mensch, dem es gelungen ist, die Triple Seven Summits zu erklimmen. Sieben Jahre lang hat er sich der Besteigung dieser 21 Giganten gewidmet.
Gratulation zu deinem bereits vierten Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde. Du bist nun offiziell der Mensch, der es am schnellsten vom Meer auf den dritthöchsten Gipfel unseres Planeten – den Kangchenjunga mit 8.586 m – geschafft hat. Erzähl uns doch kurz von den Besonderheiten des Projekts.
Bei einer „normalen“ Besteigung startet man üblicherweise in einem sehr hoch gelegenen Basislager. In den tibetanischen Regionen können das an die 5.000 m oder mehr sein. Mein Credo bei diesem Projekt war jedoch von „ganz unten“ zu beginnen. Deshalb musste ich am Indischen Ozean auf 0 Meter Seehöhe starten. Mein selbst gestecktes Ziel war es, den Gipfel nur mit Muskelkraft und ohne Verwendung von Flaschensauerstoff zu erreichen, was mir nach 76 Tagen auch gelang.
Was war dabei die größte Herausforderung?
Im Flachland in Indien und in den bewohnten Gebieten Nepals nicht an einer Lebensmittelvergiftung oder ähnlichem zu erkranken, um danach noch fit genug zu sein, den 8.586 m hohen Berg zu besteigen.
Nicht ganz so flott wie du war das GUINNESS Buch der Rekorde – schließlich hast du den Gipfel bereits am 20. Mai 2011 erreicht. Warum wurdest du erst jetzt dafür ausgezeichnet?
Die Frage kann ich nicht beantworten, aber in der Kategorie „Abenteuer“ im GUINNESS Buch der Rekorde 2022 gibt es jetzt eine ganze Rubrik mit den weltweit schnellsten „sea to summit“ Rekorden.
Was bedeutet dir der Eintrag zehn Jahre danach noch?
Mit dem „sea to summit“ Projekt habe ich es bereits zum vierten Mal ins GUINNESS Buch geschafft. Das freut mich dieses Mal umso mehr, weil ich mich nie um einen Eintrag beworben habe. Ich wurde einfach so aufgenommen.
Der Kangchenjunga war auch Teil deines Triple Seven Summits Projekts. Du bist seit 2013 immer noch der einzige Mensch, der es – in nur sieben Jahren – geschafft hat, die drei höchsten Berge jedes Kontinents zu besteigen. Wie blickst du auf diese Zeit zurück?
Es war mein bestes Projekt überhaupt. Die jeweils drei höchsten Berge der sieben Kontinente zu besteigen, ist für mich ein Lebensprojekt. Für diese 21 Gipfel musste ich insgesamt 29 Berge besteigen und teilweise auch vermessen, weil es so viele divergierende Literatureinträge gab. Ich konnte kaum glauben, dass es zu Beginn des 21. Jahrhunderts kein einheitliches Ranking, sprich eine klare Reihenfolge in Bezug auf die Höhe der Berge gab. Die Vermessung in Kooperation mit der UNI Graz, die mir damals ein Differential-GPS zur Verfügung gestellt hat, gab mir spannende Einblicke in der Erstellung von Digital Elevation Maps. Die allgemeine Vorstellung, dass hunderte Satelliten die Welt schon bis in den letzten Winkel vermessen haben, ist nach wie vor Wunschdenken. Im Groben ja, im Detail leider nein.
Welcher Moment ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Die Zeit in der Antarktis. Wahnsinn. Ich war viermal auf diesem Kontinent, einfach faszinierend. Die Stille. Die Landschaft. Und als Bergsteiger habe ich dort noch so viele Erstbegehungsmöglichkeiten gesehen.
Arbeitest du im Stillen an den Quater-Seven-Summits oder interessiert dich die Rekordjagd nicht mehr?
Nein, derzeit nicht. Ein Japaner namens Takayasu Senba hat es 2019 gerade erst einmal auf die Second-Seven-Summits geschafft. Sollte er mit meinen 21 Bergen der Triple Seven Summits gleichziehen wollen, wäre es eine Überlegung wert. Im Moment reizen mich aber andere Projekte mehr.
Hand aufs Herz: Aktuell leben 7,89 Milliarden Menschen auf der Welt. Wie fühlt es sich an, bei etwas der Erste, Beste oder Schnellste von ihnen zu sein?
In Bezug auf die Triple Seven Summits fühlt sich das sehr gut an. Schließlich war ich sieben Jahre damit beschäftigt. Die Vermessung der strittigen Bergeshöhen gab dem Projekt noch eine ganz besondere Note. Das bloße Wiederholen von bestimmten Serien oder einzelnen Touren hat mich nie sonderlich gereizt. Entweder war ein neuer sportlicher Anreiz, wie beim Skyrunning, dabei oder ich musste gleich ganz was Neues machen.
Apropos Skyrunning – du hast die hohen Berge ja nicht „nur“ bestiegen. Bei vielen von ihnen hast du zum damaligen Zeitpunkt Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt. Warum versucht man einen Berg so schnell wie möglich rauf- und wieder runterzulaufen?
Weil es einfach interessant ist. Konditionell war ich immer gut, aber mit dem Talent, auch in großen Höhen noch sehr leistungsfähig zu sein, entwickelte sich nach und nach mein Skyrunning-Stil. Möglichst schnell auf sehr hohe Berge auf- und danach gleich wieder abzusteigen.
Wie kann man beim Skyrunning den Berg noch genießen oder ging es dir dabei rein um die sportliche Leistung?
Da ging es damals hauptsächlich um sportliche Leistung.
Welche Bedeutung haben die Berge heute für dich?
Eine sehr große Bedeutung! Abgesehen davon, dass ich seit zwanzig Jahren mein Leben mit und durch die Berge bestreite (Christian Stangl ist staatlich geprüfter Bergführer und Ausbildner sowie Vortragender, Anm. d. Red.), gehe ich auch privat noch immer in die Berge. Vor allem Klettern im Sommer und Freeriden im Winter.
Zu guter Letzt vielleicht ein paar motivierende Worte: Du hast deine Karriere als Vollzeit-Profi-Alpinist relativ spät begonnen. Was würdest du unseren Lesern mitgeben? Es ist nie zu spät zum Träumen?
Träumen kann man immer. (lacht) Aber irgendwann sollte man seine Träume auch in die Tat umsetzen. Ich war im Zivilberuf Elektrotechniker, zuletzt habe ich ein technisches Büro in Bengasi in Libyen geleitet. Selbst ein respektables Gehalt konnte mich damals nicht über meinen vermissten Lebenssinn hinwegtäuschen. Ich wollte die Welt sehen und ihre Berge besteigen. Und ich wollte mich selbst spüren. Ich habe im Alter von 35 Jahren meinen vorgezeichneten Lebensweg verlassen und bin einfach aufgebrochen. Meine Entscheidung habe ich bis heute keine einzige Sekunde bereut.