„Schneegeschichten: Unterwegs zum vergänglichen Glück“
Johannes Schweikle schreibt in seinem erzählerischen Werk „Schneegeschichten. Unterwegs zum vergänglichen Glück“ über ein Gut, das immer kostbarer wird – weil es immer rarer wird. Er zeichnet fein seine Liebe zum Schnee und trifft uns hart mit der Frage, wie man mit dem Schnee-Mangel umzugehen hat.
Je weniger er wird, desto mehr beschäftigt er uns: In Johannes Schweikles Buch spielt der Schnee deshalb auch keine schlichte Untergrund-Rolle mehr, sondern darf seiner Titelrolle in allen Facetten gerecht werden. Entsprechend vielseitig lesen sich die Geschichten rund um das „vergängliche Glück“. Mal fallen sie leicht flockig, mal legen sie sich schwer auf unser Gemüt.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass der 56-jährige Tübinger Schweikle gleich zu Beginn seines Erzählbands durch kleine Gegebenheiten am Wegesrand tief vergrabene Erinnerungen ausbuddelt: Wie man als Kind den Schnee mit aufgerissenem Mund begrüßt hat und die eingefangene Flocke auf der Zunge zerging. Wie der eisige Wind ins Gesicht peitschte und wie es unter den Schuhen geknirscht hat.
Von Menschenleere & Massenandrang
Schweikle, der unter anderem für die Zeit, Geo und brand eins schreibt, ist ein gekonnter Erzähler. Aber zugleich ist er auch ein aufmerksamer Zuhörer und Leser. So durchzieht seine Beschreibung einer Skitouren-Bootsreise in Grönland („Wo die Abfahrt endet, wo der Schnee das Meer berührt“) begleitend die Geschichte des Polarforschers Fridtjof Nansen. Es liegt eine tiefe Schlucht zwischen den Entdeckungen und Erlebnissen des Expeditionspioniers und des Tourentouristen knapp 120 Jahre später. Und doch: „Die menschliche Gesellschaft, ihre großen Gedanken und ihr großes Elend – alles liegt gleich fern – nur das Gefühl der Freiheit, die reine Freude am Leben ist geblieben.“ schreibt Nansen 1889. Und Schweikle antwortet heute: „Viel von diesem Grönlandgefühl hat sich gehalten.“
In den europäischen Alpen fallen Schweikles Schneegeschichte weniger träumerisch aus. Da sind die wissenschaftlichen Betrachtungen beim Besuch eines Schweizer Schneeforschers. Oder die große Frage an der Kitzbüheler Hausbergkante wenige Tage vor dem Großevent: Was wenn die Flocken nicht fallen wollen, die Streif aber unbedingt befahren werden muss? Schweikle fährt zu Völkl in die Skifabrik nach Straubing, wo 400 Menschen arbeiten und die Schneelage stets genau beobachten. Hier kennt man die Zahlen genau: „Von acht Millionen Paar Ski, die um 1990 weltweit in einem Jahr verkauft wurden, schrumpfte der Markt auf 2,7 Millionen.“ Aber es ist wohl der Schneemacher in Ischgl („Herr Holle“), der selbst dem leidenschaftlichsten Wintersportler Angst macht, wenn „er offen sagt, was er will: Tourismus total. Man muss den Wahnsinn wieder neu erfinden.“ Am liebsten würde er Hollywood nach Ischgl holen.
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Eine Tour des Zwiespalts
Dabei ist es kein zynisches, desillusioniertes Buch, das Schweikle geschrieben hat. Er arbeitet den Zwiespalt auf, dem sich so viele von uns Wintersportler ausgesetzt sehen: Wir lieben den Schnee, wir lieben ihn als unvergleichliches Naturereignis und als Grundlage wunderbarer Sporterlebnisse. Und gleichzeitig hinterfragen wir die Zukunft des Schnees, seine Inszenierung, unsere Suche, unseren Konsum.
Ein Zuckerschlecken ist dieser Konflikt auch für uns Leser nicht. Aber Schweikle wollte mit „Schneegeschichten“ wohl auch keinen einfachen Spaziergang hinlegen, sondern eine anspruchsvolle Tour. Schließlich steht dem Buch das Motto voran: „Flipflops kann jeder.“ So gibt es am Ende keine Lösung des Zwiespalts, aber vielleicht trägt man nach der Tour „zum vergänglichen Glück“ doch dieses Schneebild vorm inneren Auge: „Die Welt sieht aus wie ein frisches Tischtuch vor dem Fest. Noch ohne Flecken, nichts ist schäbig.“
Johannes Schweikle: Schneegeschichten. Unterwegs zum vergänglichen Glück.
2015, Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen.
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