10 bekannte Berge von ihrer unbekannten Seite
Foto: Timothy Poulton
von Simon Schreyer
Es gibt Berge, die sind einfach unverwechselbar. Bekanntlich hat jedoch alles mindestens zwei Seiten. Hier findet ihr zehn „Berg-Stars“ von ihrer weniger ikonischen und seltener fotografierten Seite. Manche von ihnen werdet ihr vielleicht gar nicht wiedererkennen!
1. Matterhorn von Süden
Beginnen wir mit dem wahrscheinlich am öftesten abgebildeten Bergmotiv der Welt, dem Matterhorn (4.478 m), oder Monte Cervino, in den Walliser Alpen. Diesmal nicht von seiner „Schokoladenseite“ fotografiert, wie sie sich von Zermatt aus präsentiert, sondern von der südlichen, italienischen Seite. Der Gipfelaufbau ist von hier aus ein vollkommen anderer: Der wenig begangene Furggengrat bildet den rechten Horizont. Dahinter verläuft der nordöstliche Hörnligrat, bekannt als Normalroute.
Die erste Besteigung des Berges von Süden fand durch Jean-Antoine Carrel und Jean Baptiste Bich 1865 über den Liongrat statt — nur drei Tage nach der so tragisch verlaufenen Erstbesteigung über den Hörnligrat durch das Team um Edward Whymper. Den direkten Weg durch die Südwand des Matterhorns fanden Vittorio de Tuoni und Marco Barmasse im November 1983.
2. Wilder Kaiser von Ostnordosten
Das Kaisergebirge in Tirol ist, nach dem Matterhorn, womöglich die am zweithäufigsten fotografierte Bergformation der Alpen und nicht nur touristisch, sondern auch optisch ein Magnet. Seine regelmäßige Kalkstein-Struktur und seine Länge von etwa elf Kilometern gibt ihm von Süden betrachtet das Aussehen eines Drachenrückens.
Hier sehen wir den „Koasa“ ausnahmsweise einmal von Osten, aus der Talschaft von Kirchdorf. Links leuchtet das Schrägdach der Maukspitze (2.231 m) in der Morgensonne. Nach rechts entsendet der Berg einen bizarr zerklüfteten Grat namens Lärchegg (2.123 m) in Richtung Norden. Das Kaiserbachtal, das vom Feldberg (ganz rechts) begrenzt wird, ist im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel und im Winter Ausgangspunkt für zahlreiche Skitour-Varianten.
3. Drei Zinnen von Osten
Zu einer einzigen zusammengefaltet zeigen sich die Drei Zinnen, auf Italienisch Tre Cime, wenn man sie von Osten betrachtet. Folglich sehen wir im Vordergrund die stark zergliederte Kleine Zinne (2.857 m) mit der Punta di Frida hinter einer Nebelschliere. Davor hebt sich trutzig der Preußturm (2.700 m) ab, benannt nach seinem Erstbesteiger, dem Wiener Klettergenie und Free-Solo-Pionier Paul Preuß. Folgen wir dem Fußweg nach links, so gelangen wir zur Auronzo-Hütte. Nach Norden breitet sich das weitläufige Grava-Longa-Plateau mit den Zinnenseen aus.
Die Bezeichnung Drei Zinnen wurde erstmals 1774 im Atlas Tyrolensis geführt, davor nannten die einheimischen Sextner die markanten Felsformationen aus Trias-Hauptdolomit Dreyspiz. Entgegen landläufiger Meinung liegen die Drei Zinnen übrigens nicht in Südtirol, sondern in der Provinz Belluno.
4. Half Dome von Südosten
Der Half Dome (2.693 m) ist eine der zahlreichen charakteristischen Berggestalten des kalifornischen Yosemite Valley, 300 km östlich von San Francisco. Bekannt wurde er 1927 durch die klassisch schönen Schwarzweiß-Bilder des Fotografen Ansel Adams, der das Tal oft besuchte und sogar seine Asche auf der Kuppe des Half Dome verstreuen ließ.
Während die hier abgebildete Ostseite des Berges seit 1875 relativ einfach mithilfe von Drahtseilen bestiegen werden kann, ist seine Nordwestseite eine veritable Herausforderung, der sich der bergsteigende Intellektuelle Royal Robbins mit zwei Kollegen 1957 erstmals erfolgreich stellte. Der vertikale Nordwest-Abbruch und der kugelrunde Rücken des Half Dome standen Pate für das stilisierte Logo des Bergsport-Ausstatters The North Face.
5. K2 von Norden
Hier sehen wir ein tatsächliches North Face. Und zwar jenes des zweithöchsten Gipfels der Erde. Richtig, es handelt sich um den K2 (8.611 m), gelegen im zentralen Karakorum zwischen der chinesischen Provinz Xin Jiang und dem pakistanischen Gilgit-Baltistan. Seine scheinbar regelmäßige Gipfelpyramide, wie sie sich von Südosten zeigt, ist hier kaum wiederzuerkennen. Dafür sehen wir rechts den mächtigen Nordpfeiler mit einem Hängegletscher in der Mitte, darüber ein eingelagertes Schneekar, welches extrem lawinengefährdet ist.
All diese Gefahrenquellen, sowie die enorme Steilheit machen die Nordseite zu der am wenigsten begangenen am „Berg der Berge“. Die direkte Nordwand wird deshalb wohl auch undurchstiegen bleiben. Die österreichische Höhenbergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner erreichte 2011 übrigens den Gipfel über den Nordpfeiler. Respekt!
6. Masherbrum von Ostsüdosten
Der Masherbrum (7.821 m) liegt 35 Kilometer südwestlich des K2 und wurde von britisch-indischen Vermessern fälschlicherweise als K1 verzeichnet, bis man ein paar Jahre später herausfand, wer tatsächlich der Herr im Haus ist. Berühmt ist er jedenfalls für seine senkrechte, 3.500 m zum Baltoro-Gletscher abfallende Nordost-Wand. Diese war das Traumobjekt für die 2019 in Kanada verunglückten Spitzenalpinisten David Lama und Hansjörg Auer, sowie für deren Kollegen Peter Ortner. Diese Flanke und der Gletscherabfluss ins Hushe Valley wären ein möglicher Abstiegsweg für die drei Tiroler gewesen.
Der Gipfel, der für die einheimischen Balti offenbar Ähnlichkeit mit einer Vorderlader-Büchse (mashadar) aufweist, wurde erstmals 1960 von den Amerikanern Willi Unsoeld und George Bell bestiegen – und zwar über diese Südseite.
7. Chogolisa von Süden
Ebenfalls in der Masherbrum Range liegt die Chogolisa (7.654 m). Kaum zu glauben, dass ihre Form nicht von Architekten geplant wurde, erweist sie sich doch rundherum als perfektes Trapez. Hier sehen wir ihre Ansicht vom Charakusa Valley und sogar Karakorum-Kenner müssen wohl zweimal hinschauen, um sie nicht mit ihrer Ansicht vom Baltoro zu verwechseln.
Luigi Amedeo di Savoia-Aosta, der unternehmungslustige Herzog der Abruzzen, stellte 1909 einen Höhenweltrekord an der Chogolisa auf, der erst 1922 von den Briten am Everest gebrochen wurde. Historisch ist der Berg aber am meisten mit Österreich verbunden: Hermann Buhl stürzte 1957 mit einer Wechte vom Südost-Grat (rechts unter der zarten Wolke) ab. 1975 wurde erstmals ihr höchster Punkt (ganz links am etwa 950 m langen First) von einer Expedition Edi Koblmüllers erreicht.
8. Gasherbrum IV von Südsüdosten
Der schlanke G4 (7.932 m) wurde 1856 von Montgomerie als K3 vermessen und verfehlt ganz knapp den 8000-er-Nimbus. Dafür gilt er als einer der schönsten Berge der Welt. Ist doch auch was! Seine helle, das Abendlicht reflektierende Westwand aus Marmor und Granit haben der gesamten Gasherbrum-Gruppe ihren Namen gegeben: Leuchtender Berg.
Hier sehen wir seine selten fotografierte Süd- und Ostwand. Über den Nordostgrat ganz rechts wurde der G4 im Jahr 1958 von den Italienern Walter Bonatti und Carlo Mauri erstbestiegen. Süd- und Südostgrat, links im Bild, führen direkt zum Gipfel und sind wegen ihrer Steilheit und technischen Schwierigkeit noch unbestiegen. Zumindest in Betracht gezogen wurden sie von Spitzenalpinisten wie Hansjörg Auer, Hervè Barmasse und David Göttler. Den Südgrat hat Steve Swenson mit wechselnden Partnern gleich dreimal versucht.
9. Mount Kailash von Osten
Der Kailash (6.638 m), auch Kang Rinpoche („Großes Schneejuwel“), steht im Westen Tibets und ist für gleich vier Religionen ein heiliger Berg. Deshalb ist er unbestiegen und das wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch so bleiben.
Von Süden präsentiert er sich als formschöne Schneekuppe, die in der Mitte durch ein senkrechtes Couloir verziert ist. Seine Nordwand erhebt sich beinahe vertikal und ist von horizontalen Linien schraffiert. Wer an der Chora (die rituelle, etwa 50 Kilometer lange Umrundung im Uhrzeigersinn) teilnimmt, kommt gegen Ende des Weges an der eher unbekannten Ostseite vorbei. So wie der Wiener Bergsteiger und Autor Herbert Tichy, der sich 1935 noch als indischer Pilger verkleiden musste, um nicht des Landes verwiesen zu werden. Ihm schien diese Flanke als die am leichtesten zu besteigende – natürlich nur rein theoretisch.
10. Shivling von Westsüdwesten
Der Shivling (6.543 m) im Garhwal Himal gilt als das Matterhorn von Indien, womit sich der Kreis in dieser Fotostory wieder schließt. Von Norden gesehen neigt er sich, einem von einer Eiskappe gekrönten Thron gleich, über die Aussichtswiese Tapovan in der Nähe der Gangesquelle.
Diese Perspektive hier fing der Alpinist, Filmer und Fotograf Jimmy Chin (Free Solo) während einer Drei-Mann-Expedition zum Meru Central (6.311 m) ein. Der Bergsteiger links im Bild ist Conrad Anker. Rechts im Gegenlicht ragen, in zweieinhalb Kilometern Entfernung, die Silhouetten des Shivling (l.) und seines kühnen Zwillingsgipfels (r., 6.501 m), die durch eine etwa 850 m tiefe Scharte voneinander getrennt sind. Über diese Scharte gelangten indisch-tibetische Grenzsoldaten 1974 als erste auf den Hauptgipfel, welcher der Gottheit Shiva geweiht ist.
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