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Ana's Way West

Alpenüberquerung: Slowenien - Österreich - Italien

• 18. September 2017
8 Min. Lesezeit

Im zweiten Teil unserer begleitenden Serie zu Ana Zirners Projekt „Ana's Way West“ erzählt uns die Bergsteigerin aus dem bayerischen Chiemgau, wie es ihr auf den ersten fünf Etappen ihrer Alpenüberquerung ergangen ist. Von Slowenien über Österreich bis nach Italien – los geht's!

Alpenüberquerung: Ana Zirner in der Ortler-Gruppe in Südtirol
Foto: Ana Zirner
Eatppe 5: Ana Zirner begrüßt die morgendliche Bergwelt der Ortler-Gruppe in Südtirol
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Körperlich wie mental geht es mir nach wie vor sehr gut, ich habe immer noch Lust auf neue Herausforderungen, ja sogar auf raueres Wetter. Zudem bin ich sehr froh, mich für die Überquerungsrichtung von Ost nach West entschieden zu haben. Vormittags habe ich die Sonne im Rücken, nachmittags laufe ich auf sie zu. Gen Westen werden die Berge zudem immer höher und anspruchsvoller: Die Höhenunterschiede im Auf- und Abstieg haben sukzessive zugenommen. Der Abstieg vom Gipfel des Ortlers ins Tal überwindet satte 2.600 Höhenmeter, die mir zu Anfang der Tour sicher wesentlicher mehr zu schaffen gemacht hätten. Aber mein Körper macht mit – und nicht nur das: Er ist dieser ganzen Unternehmung sogar sehr zugetan. Ich spüre wie sich alle Fasern verändern und genieße die wachsende Kraft und Ausdauer.

Die meiste Zeit innerhalb der letzten vier Wochen habe ich im Freien und mit Gehen verbracht. Das Gehen in den Bergen hat eine ganz andere Bedeutung als im Tal. Anhand von festgelegten Themen beschäftige ich mich auf jeder Etappe immer wieder damit wie der Rhythmus der Schritte und des Atems die Wahrnehmung prägt – wie Umfeld und Inneres, Natur und Körper miteinander ins Gespräch kommen. Vor meinem inneren Auge sehe ich genau, wie sich die Farben des Gesteins auf meinem Weg allmählich verändern. Vom kargen, hell-weißen Kalkstein in den Julischen Alpen zu den rötlich metall-durchzogenen Felsen in den Karnischen Alpen. Dann die grauen spitzen Felsen der Dolomiten und die Riesen aus türkis glänzendem Eis in der Ortler-Rergion.

Etappe 1: Rhythmus in den Julischen Alpen

Im Nationalpark Triglav in Slowenien: Ana Zirners erste Etappe
Foto: mauritius images / Stefan Sassenrath
Im Nationalpark Triglav in Slowenien: Ana Zirners erste Etappe

Auf meiner ersten Etappe in den Julischen Alpen in der Gegend des Triglav habe ich mich mit dem Thema Rhythmus beschäftigt. Dabei geht es laut Definition darum in einen gleichmäßigen Fluss zu kommen. Es wäre falsch zu behaupten, dass mir das bereits in den ersten Tagen gelungen ist. Die Etappe war geprägt von Hitze, Durst, Erschöpfung und auch die aufregende Landschaft im Triglav bot wenig Möglichkeit für Gleichmaß. Es ging streckenweise eben über Felsplatten und Geröllfelder, dann plötzlich tat sich wieder etwas Kletterei auf. Die Nordwand des Triglav ließ mich staunend erstarren. Ein ständiges Thema im Triglav ist das Wasser. Es gibt kaum Quellen, die Seen sind auf einzelne Orte konzentriert. Ich habe mich hier oft verkalkuliert. Zudem sind die Wege hier zum Teil schlecht markiert. Es gibt Passagen, die schätzungsweise Kletterpassagen im Schwierigkeitsgrad II bis III aufweisen, sich auf der Karte aber kaum von einem Wanderweg unterscheiden. Auch Klettersteige sind streckenweise kaum gesichert. Man sollte sich also im Vorfeld wirklich gut informieren, wenn man weniger anspruchsvolle Wege vorziehen sollte.

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Immer wenn ich gleichmäßig geatmet habe, fühlte ich mich gut. Dann ging es voran, dann spürte ich mich und mochte die Bewegung. Zugleich wurde mir bewusst, dass ein stetiger Rhythmus eine Frage von Zeit ist. Rhythmus ist schwer. Rhythmus zieht sich. Die Tage meiner ersten Etappe verliefen zumeist wie folgt: Aufgestanden bin ich spätestens um 06.00 Uhr morgens. Nach einer kleinen Katzenwäsche habe ich meinen Schlafsack zum Auslüften ausgebreitet, 20 bis 45 Minuten Yoga gemacht, mich umgezogen, das Wetter gecheckt, mein Wasser gefiltert und in die Trinkblase gefüllt, den Rucksack gepackt, gefrühstückt. 07.00 Uhr wurde zu meiner klassischen Aufbruchszeit.

Ein Kontrollfreak lässt los

Nachmittags habe ich mich dann meist in der Nähe einer Hütte gedehnt, Wetter und Route für den nächsten Tag angesehen, etwas gegessen, dann geschrieben. Spätestens um 20:00 Uhr habe ich mich an die Einrichtung meines Schlafplatzes gemacht, um noch genügend Licht dafür zu haben. Das klingt nach einem strengen Plan, aber häufig kommt auch Unerwartetes dazwischen. Es ist ein gutes Gefühl ausgeliefert zu sein.

Das ist etwas, was ich zu schätzen gelernt habe: Ich muss mich jederzeit auf die Widrigkeiten und Umstände vor Ort einstellen. Ich muss auf meinen Körper hören und meine Umwelt genau wahrnehmen. Und dann entsprechend reagieren. Wahrscheinlich ist es genau das, was ich am Bergsteigen so mag und wonach ich mich sehne, wenn ich im Tal als Kontrollfreak in meinem Planungswahnsinn stecke.

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Etappe 2: Atmen in den Karnischen Alpen

Etappe 2 auf Ana Zirners Alpenüberquerung: In den Karnischen Alpen in Österreich

Die zweite Etappe meiner Alpenüberquerung führte mich durch die Karnischen Alpen. Zumeist ging es auf der Route des Karnischen Höhenwegs am Grat – und an der Grenze von Österreich und Italien – entlang, unglaublich schöne Weitblicke in alle Richtungen tun sich dabei auf. Man passiert zahlreiche Ruinen von Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg – schwer vorstellbar, dass Soldaten damals umgeben von solcher Schönheit einen so fürchterlichen Krieg geführt haben. Technisch ist der Karnische Höhenweg unschwierig, nur an die Kondition werden Ansprüche gestellt, denn die Etappen zwischen den Hütten sind teilweise sehr lang und es gibt wenig Möglichkeiten für Varianten. Allerdings kann ich sehr empfehlen einmal auf die italienische Seite hinüber zu wechseln. Dort finden sich viele kleine Almen, die nicht standardmäßig bewirtet sind. Aber wenn man Glück hat, darf man dort frischen Ricotta probieren.

Beim Bergauf-Steigen sehen wir oft auf unsere Füße, um nicht zu stolpern. Hierbei stellt sich eine Konzentration ein, ein Rhythmus, der das Vorankommen erleichtert. Es ist wie ein konstantes Einatmen. Bleiben wir stehen und sehen uns um, nehmen wir wieder die immense Weite wahr. Es ist jedes Mal wie ein Seufzen, ein wohltuendes Ausatmen, das uns frei macht, uns öffnet und Raum schafft für Neues. Hier oben ist es leichter bewusst zu atmen als im Tal. Ich spüre die frische Luft morgens beim Yoga bis in die Zehenspitzen fließen. Sie füllt mich, nicht nur mit Sauerstoff, sondern mit Freude und tiefer Dankbarkeit für die Gesundheit, die mir geschenkt wurde.

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Etappe 3: Ehrlichkeit in den Sextener Dolomiten

Ana's Way West: Ana Zirner in den Sextener Dolomiten
Foto: Ana Zirner
Ana's Way West: Ana Zirner entlang ihrer dritten Etappe in den Sextener Dolomiten

Das Thema Ehrlichkeit sucht ich bewusst als Kontrast zum Trubel des Bergtourismus in den Sextener Dolomiten aus. Viele Leute wandern ohne sich überhaupt umzusehen, viele lassen ihren Müll in den Bergen zurück. Auf meinem Weg von der Rotwandwiesenhütte zur Zsigmondyhütte habe ich eine ganze Tüte voll Kippen, Riegelverpackungen, Plastikflaschen und Taschentüchern eingesammelt. Es macht mich immer wieder traurig wie respektlos Menschen in den Bergen mit der Natur umgehen. Den Kontrast habe ich auch in meinem eigenen Verhalten gespürt. Ich hatte keine Lust mehr zu erzählen, was ich mache und wo ich hingehe. Es waren immer dieselben Fragen, immer ein „Oh“ und „Ah“ ob des Alleinseins, der Strecke oder Dauer meines Projekts. Oder Fragen nach der Marke meines Schlafsacks, meines Rucksacks, meiner Kleidung.

Anfangs hat es mir Spaß gemacht diese Unterhaltungen zu führen, aber in den Dolomiten fühlten sie sich erstmals nach einer Zeitverschwendung an. Zeit, die ich lieber mit Schauen, Nachdenken, Schreiben und Yoga verbringen wollte. Ich bin in den Sextener Dolomiten genügsamer geworden. Das habe ich den Bergen zu verdanken. Ich beschloss in den Sextener Dolomiten, dass ich von nun an mehr Distanz zu den Hütten wahren und dafür mehr Zeit für mich – und weniger für die ewig gleichen Gespräche – aufwenden würde. Die Wege in den Sextener Dolomiten sind sehr gut ausgeschildert. In der Hochsaison steht man in den Klettersteigen allerdings wirklich Schlange und die Planlosigkeit vieler Menschen dort ist nicht ungefährlich. Insbesondere die Region um die Dreizinnenhütte würde ich meiden. Viel schöner und ruhiger ist es um die Sextener Rotwand herum.

Etappe 4: Aufgeschlossen im Schlern-Rosengarten

Etappe 4 auf Ana Zirners Alpenüberquerung: Im Naturpark Schlern-Rosengarten in den Südtiroler Dolomiten

Die vierte Etappe widmete ich dem Thema Aufgeschlossenheit, sie führte mich durch die Puez-Gruppe und weiter durch den Naturpark Schlern-Rosengarten. Das Thema begegnete mir hier besonders in der Landschaft, aber auch in ein paar Menschen, denen ich unterwegs begegnet bin. Thomas und Regine, zwei Physiotherapeuten, die ich auf der Pisciaduhütte kennenlernte, habe ich zu verdanken, dass mein blockierter Rückenwirbel nicht mehr so weh tut. Wege und Gelände sind hier anspruchsvoller, aber sehr lohnend. Der Piz Boé ist zwar zur Hochsaison überlaufen, allerdings kommen die meisten Leute von der Bergbahn. Wenn man also den Weg über die Boé Hütte wählt, so kann es eine schöne – und vor allem ruhige – Tour sein.

Überhaupt ist das Gelände um Pisciadu Hütte und Boé Hütte besonders. Es ist vielerorts wie eine außergewöhnliche Mondlandschaft und die Aussicht ist fast überall atemberaubend schön. Auch empfehlenswert ist der Klettersteig auf den Plattkofel von der Langkofelhütte aus. Ich hatte dabei sehr nette Begleitung: Mit Oli und Kay, zwei Jungs aus Halle, habe ich mich schon auf der Hütte gut verstanden und sie hatten denselben Plan wie ich. Auch am nächsten Abend haben wir auf der fürchterlich überkandidelten Tierser Alpl-Hütte noch eine lustige Zeit miteinander verbacht: Gemeinsam haben wir das Sternbild „Delphin“ entdeckt.

Zwischen Trubel und Müll

Insgesamt muss ich jedoch gestehen, dass mir in der Region immer noch zu viel los war – sodass ich dafür nicht gerade viel Aufgeschlossenheit übrig hatte. Ich habe Menschen verurteilt, in Schubladen gesteckt, mich über sie geärgert. Es ist fatal, aber ich muss gestehen: An manchen Tagen hat meine Beschäftigung mit der vermeintlichen Unzulänglichkeit anderer Menschen meine Freude über die beeindruckende Natur nahezu überschattet.

Ich empfinde es dabei nach wie vor als völlig inakzeptabel, dass Menschen ihren Müll in den Bergen zurücklassen, aber ich kann es nun einmal nicht ändern. Was ich kann ist: ab und dann ein Gespräch darüber anzustoßen – und wieder Müll einzusammeln.

Etappe 5: Entfaltung in der Ortler-Region

Etappe 5 auf Ana Zirners Alpenüberquerung: In den Ortler-Alpen in Südtirol

In der Ortler-Region entfaltete sich in mir eine starke Empfindung: Ich verwende jetzt Kapazitäten, die mir zuvor nicht bewusst zur Verfügung standen. Meine Wahrnehmung hat zu einer neuen Tiefe, mein Erleben zu einer neuen Höhe gefunden. Ich spüre hier eine ganz neue Ruhe. In seiner Imposanz entblößt das Eis seine schwarzen Abgründe, schreckt stellenweise mit seiner schmutzigen Oberfläche und zeigt seine Verletzlichkeit in der zarten Farbe der Ränder seiner Spalten, die sich wie tiefe Sorgenfalten in das makellose Gesicht der Bergfläche graben. Im selben Moment fließt der Stoff seiner Existenz als Wasser durch die Spalten. Es gräbt windende und wirbelnde Bäche in die Oberfläche. Es gurgelt und plätschert und kündet in fröhlich leichtem Tonfall das im Schmelzen begründete Ende an.

Jeder Bergsteiger kennt das Gefühl der tiefen Freude, wenn man den Gipfel eines Berges erreicht hat. Und die innere Leichtigkeit, die sich einstellt, wenn man von diesem Gipfel auch sicher und gut wieder heruntergekommen ist. Der Ortler ist so ein Berg. Den Gipfel des Ortlers besteigen zu können war ein Traum von mir, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Spontan hat es glücklicherweise auch geklappt eine Seilschaft zu finden und so ging es um 5 Uhr morgens mit Stirnlampen los. Der Sonnenaufgang über dem Gletscher war unbeschreiblich schön und wir nutzten ihn für eine Pause, um die Steigeisen anzulegen. Der Aufstieg auf den Ortler ist anspruchsvoll, die Begleitung durch einen Bergführer empfehlenswert. Die Jungs der Alpinschule „Feel the Mountains“ in Sulden sind unglaublich freundlich und ihre Preise fair. Ich hatte die Ehre mit Roman, dem dienstältesten Kollegen, am Tag zuvor auf die Suldenspitze zu gehen. Erfahrung ist unbezahlbar.

Im Anstieg auf den Ortler (Normalweg von der Payerhütte aus) gibt es Passagen in mittelschwerer Kletterei, die mit Steigeisen gemacht werden müssen. Auch warten einige große Spalten, die über Leitern gequert werden. Das letzte Stück über den flachen Gletscher hinauf zum Gipfel ist dann aber wie eine Kür, deren krönender Abschluss der unendliche Weitblick von den 3.905 m ist. In ihrer mahnenden Stille zeigen mir die Berge hier mein Format – weisen mir einen Platz zu, den ich mir selbst besser nicht wählen könnte. Fels und Eis der Ortler-Gruppe haben mir erlaubt innerlich loszulassen. Und dieses Loslassen habe ich wie einen langen Seufzer empfunden – erleichternd, mit einer Aufforderung nach neuerlichem Einatmen.

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Vorschau

Im dritten Teil der Serie lest ihr wie es Ana auf ihrer sechsten Etappe in Graubünden ergangen ist.

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