Alpine Delikatessen: Pane ticinese (Tessinerbrot)
Aus Italien stammend hat sich das Weißbrot im italienischsprachigen Tessin fest eingebürgert. Früher kam es nur an Feiertagen auf den Tisch, denn Weißmehl galt in ärmeren Haushalten als Luxus.
Das typisch halbweiße oder weiße und ebenso typisch südländische Tessiner Brot mit seiner Form, die an aneinandergereihte Semmeln erinnert, hat auch außerhalb des Mittelmeerraums viele Anhänger. Es wird in der Regel in fünf bis acht Reihen gebacken, die zum Essen nicht geschnitten, sondern abgebrochen werden.
Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese Art von Brot die Tessiner Täler von Italien aus erreicht hat, wo es schon vor Jahrhunderten hergestellt wurde. Ein ähnliches und sehr traditionelles Brot gibt es heute etwa noch in Triest, die „Biga servolana“. Die älteste Abbildung eines solchen Brotes stammt vom italienischen Barockmaler Annibale Caracci aus dem Jahr 1584. Also aus einer Zeit, da es dieses Brot im Tessin noch nicht gegeben haben dürfte. Denn der italienischsprachige Kanton Tessin wie auch die südalpinen Täler sind Teil der traditionellen Brot- und Getreidegeschichte des Alpenraums. Eine Geschichte, die bei allen Eigenheiten doch stark geprägt ist von den Roggen- und Sauerteigeinflüssen aus dem Norden, während die südlichen Weiss- und Hefebrottraditionen erst im 18. und 19. Jahrhundert etablieren konnten.
Feiertags-Brot
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das weiße Tessinerbrot (wie früher auch die Semmeln und Wecken im nordalpinen Raum) ein Herrenbrot, das sich nur gutbetuchte Familien regelmässig leisteten. In ärmeren Haushalten kam es allenfalls an Feiertagen auf den Tisch, denn Weißmehl war für sie Luxus. Im Tessin kannte man auf dem Land früher vorwiegend Roggenbrote, diese wurden oft mit einem Anteil an Kastanienmehl gebacken.
Beliebt auf Bergwelten
Wie alle Kantonsbrote wurde auch das Tessinerbrot nach dem Zweiten Weltkrieg neu und im grossen Stil lanciert, sodass es heute in der ganzen Schweiz weit verbreitet ist und nicht nur in den Bäckereien, sondern auch in den Einkaufszentren zu den Standardbroten gehört. Den heute schweizweit bekannten Namen Tessinerbrot (pane ticinese) erhielt es erst in den 1950er Jahren. Nach Region sind aber durchaus unterschiedliche Namen bekannt: So heißt es beispielsweise in Lugano „pan fila“ und im Val Verzasca „pan riaa“.
Zuerst geschnitten, dann gebrochen
Traditionell wird das Tessinerbrot mit Halbweißmehl und Öl hergestellt. Wird es mit reinem Weißmehl gebacken, nennt man es auch „Pane reale“ oder auf Deutsch: königliches Brot – diese Art ist fast ausschließlich im Tessin bekannt. Der Teig wird während der Zubereitung zerschnitten, und jeweils vier bis sechs gleichgroße Stücke so zusammengelegt, dass sie sich durch die Hefegärung berühren und so wieder einen Brotlaib bilden. Die Oberfläche dieses Laibes wird mit einem Messer längs tief eingeschnitten und manchmal vor dem Backen mit Ei bestrichen.
Auch beliebt
Dass gebackene Tessinerbrot mit einem Messer zu schneiden gilt übrigens als „Todsünde“ – es lässt sich perfekt von Hand abbrechen!
Rezept: Tessinerbrot selbst gemacht.
Buch-Tipp
Wo gibt es noch Saubürzel oder Hundsärsche? Die Enzyklopädie der alpinen Delikatessen (aus der Buchreihe „Das kulinarische Erbe der Alpen“, Autor: Dominik Flammer, Fotograf: Sylvan Müller, AT-Verlag, 2014) beschreibt mehr als 500 kulinarische Raritäten, die erst in den vergangenen Jahren wiederentdeckt wurden: alte Obstsorten, vergessenes Gemüse, Wildpflanzen, außergewöhnliche Würste, Feiertags-Gebäcke, einzigartige Alpkäse und traditionelle Schnäpse.