An der Ostküste Taiwans: Schwindelfrei durch die Taroko-Schlucht
Foto: Birgit-Cathrin Duval
von Martin Foszczynski
Taiwan ist mehr als nur der Hersteller von Elektrogeräten. Bergwelten-Redakteur Martin Foszczynski erkundet die fernöstliche Insel und berichtet von ihren Outdoor-Angeboten. Im Osten wartet mit der Zhuilu Old Road eine spektakuläre Kombination: einer der schmalsten Wanderpfade trifft auf eine der tiefsten Schluchten der Welt.
Eine nahe Automobilfabrik, in der massenhaft nicht ganz geschmackssichere Reisebusse vom Stapel laufen. Ja, das muss es sein! Die Erklärung für ein Phänomen, dass uns seit rund 20 Minuten beschäftigt. So lange kommt uns auf der Küstenstraße Nr. 9 ein Reisebus nach dem anderen entgegen. Fast ident im Aussehen – und alle völlig leer.
Johannes, unser Reiseleiter, muss ob unserer Vermutungen lachen. Hier an der Ostküste Taiwans gäbe es nur Zement- oder Marmorfabriken, klärt er uns auf. Des Rätsels Lösung ist aber auch sehr amüsant: Die Busse gehörten Chinesischen Reisegruppen, die sich weigern, über die kurvige Küstenstraße zu fahren und stattdessen die tunnelreiche und schnurgerade Zugverbindung nach Taipeh nehmen.
Der Suhua Küsten-Highway hat tatsächlich etwas von einer Hochschaubahnfahrt. Er schlängelt sich in engen Kehren an den hunderte Meter abfallenden Berghängen entlang – die sich dabei bietende Aussicht auf Taiwans Pazifikküste lohnt den Nervenkitzel aber allemal. Davor sind wir durch Taiwans längsten Tunnel aus der Hauptstadtregion in den Osten der Insel gelangt. 15 Jahre hat sich der Bau an dem 13 km langen Hsuehshan-Tunnel in die Länge gezogen, dabei versenkte man u.a. eine tonnenschwere Bohrmaschine. Probleme à la Flughafen Berlin gibt es also auch im Tigerstaat Taiwan – ein versöhnlicher Gedanke.
Karibik-Blau und leere Strände
Wir machen Stopp am Qingshui Cliff – ein Traum von einer Steilklippe, rund 800 m hoch und von Wasser in Karibikblau-Tönen umspielt. Die Kollision der philippinischen Platte mit der eurasischen Landmasse hat sie vor rund 6 Millionen Jahren aufgerichtet, ebenso wie das bis knapp 4.000 m hohe Zentralgebirge im Landesinneren. Ich frage mich, warum hier niemand badet. Auch darauf hat Johannes eine verblüffende Antwort. Taiwanesen kämen gar nicht auf die Idee, am Strand zu liegen, denn gebräunte Haut sei für sie schlicht kein Schönheitsideal. Da würden sie schon lieber wandern gehen.
Während Bräune also nicht en vogue ist, dürften es großflächige Tätowierungen im Gesicht sehr wohl sein. Das gilt zumindest für die Ureinwohnern der Region. Darauf lassen historische Fotos im Restaurant an der Einfahrt in den Taroko-Nationalpark schließen. Es ist unser erster Kontakt mit der indigenen Bevölkerung Taiwans, die heute nur noch rund 3 Prozent der Gesamteinwohner ausmacht und in 16 Stämmen auf der Insel verteilt lebt. Ich geniere mich etwas dafür, dass ich die Kultur der Insel nach wie vor nicht besser verinnerlicht habe – immer noch verteile ich beim Versuch, mit Stäbchen zu essen, Fleisch und Gemüse im weiten Bogen über meine Mitreisenden.
Eine Schlucht aus Marmor
Über den kurvigen Central Cross Island Highway (Nr. 8), der ersten Ost-West-Verbindung Taiwans, geht es hinein in die berühmte Taroko-Schlucht – immer dem sich schlängelnden Liwu-Fluss entlang, der diese Naturwunder in die dichtbewaldeten Marmor-Berge gefräst hat. Man fährt (und spaziert an mehreren Stellen) hier an hunderte Meter hohen Felsen aus Granit und Marmor entlang. Rote Hängebrücken, Tempel und Pagoden setzen bildhübsche Akzente in der Landschaft. Eine der Stätten erinnert an die 450 Menschen, die im Zuge der gefährlichen Bauarbeiten am 78 km langen Highway von 1956 bis 1960 ihr Leben gelassen haben.
Hello Kitty und Makaken
Verlässt man die von Hello Kitty-Reisebussen flankierten Trampelpfade neben der Straße, findet man sich schnell in der Abgeschiedenheit des Nationalparks wieder. Wir wandern über den Baiyang Trail zu einem spektakulären Doppel-Wasserfall und durch einen stockfinsteren Tunnel, in dem ebenfalls ein kleiner Wasserfall über die Köpfe prasselt – trotz Stirnlampe und Regen-Poncho eine nasse Angelegenheit.
Und dann laust mich doch glatt der Affe! Ein (noch dazu weißer) Makake trottet in einigen hundert Metern Entfernung am Waldrand entlang. Am nächsten Morgen, im wunderbaren Silks Place Taroko, dem einzigen und mehr als exklusiven Hotel im Nationalpark, stehe ich extra früh auf, um weitere Makaken vor die Linse zu bekommen. Der Affenlärm im Urwald rings um das Anwesen ist groß, doch blicken lässt sich kein einziger der Frechdachse.
Wandern am Abgrund: Die Zhuilu Old Road
Kein Grund, enttäuscht zu sein. Denn heute steht uns eine der spektakulärsten Wanderungen Taiwans bevor: die Zhuilu Old Road. Nur 96 Personen werden wochentags auf den legendären Klippen-Trail gelassen, was unsere Spannung beim Abholen der Permits am Eingangshäuschen zusätzlich steigen lässt.
Der erste Teil führt steil, aber über ausreichend breite (Treppen-)Pfade und zwei Hängebrücken in eine üppige Dschungelvegetation hinein. Mit zunehmender Höhe lichtet sich die Szenerie und gibt den Blick auf die prächtige Schluchtenkulisse frei. Wir passieren zwei Türpfosten und überwachsene Fundamente – es sind Überreste einer einstigen Stammes-Siedlung Badagang, die den Japanern während der Kolonialzeit als Stützpunkt diente. Die unterdrückten Ureinwohner mussten vor rund hundert Jahren – nur an einem Seil hängend – für die Verbreiterung der Zhuilu Old Road (ein Teil der Old Cross-Hehuan Mountain Road) herhalten. „Verbreiterung“ meint übrigens von ursprünglich 30 cm auf 1,5 m.
Wo die Japaner einst Artillerie-Geschütze transportierten, schieben sich heute Wanderer mit Selfie-Sticks entlang. Das mag amüsant klingen, hat aber mit dem tödlichen Absturz des als „The Bikini Hiker“ bekannten Taiwanesischen Instagram-Starletts Gigu Wu unlängst eine tragische (oder zumindest tragikomische) Note erhalten.
Mit dem Segen Guanyins
Je näher man der namensgebenden Marmor-Klippe, dem Zuhuilu Cliff, kommt, desto mehr stockt einem der Atem – und desto überwältigender die Aussicht. Immer schmäler wird der nur mit Seilen gesäumte Pfad. Einen halben Meter neben dem linken Wanderschuh geht es 1.000 m in die Tiefe. Die Reisebusse auf dem Central Cross Island Highway wirken wie Kieselsteine neben dem Flussbett.
In einem kleinen Höhlendurchgang entdecke ich eine Stehle. Die steinerne Figur stellt Guanyin, die buddhistische Göttin der Barmherzigkeit, dar, wie mir unser Guide Johannes später erklärt. Auf dem Sockel hat man ihr Münzen, Bonbons und ein Snickers deponiert. Ich krame aus meinem Rucksack die als Jause gedachten Kekse aus dem Hotel hervor und lege sie dazu – man weiß ja nie.
Wenig später endet der Trail in einer schattigen Lichtung. Ein Lattenzaun und Baustellen-Fähnchen versperren den weiteren Weg. Die restlichen acht Kilometer bleiben bis auf Weiteres geschlossen – Felsstürze haben den Trail beschädigt. Ich weiß nicht, ob ich es bedauern, oder darüber froh sein soll.
Den Rückweg trete ich aber schon etwas entspannter an. Die schwindelerregenden Kehren haben an Schrecken eingebüßt – es wandert sich befreit, leichtfüßig, fast ein wenig euphorisch. Die Kekse lasse ich trotzdem bei Guanyin.
Meine Wander-Bekleidung hat Salewa zur Verfügung gestellt.
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