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Zanskar – ein Himalaya-Juwel in Nordindien

Reise

10 Min.

02.03.2022

Foto: Jasmin Ilg, wordfoto.ch

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Die Schweizer Fotografin Jasmin Ilg träumte schon lange von den Bergen des Himalaya. Doch würde sie eine mehrtägige Trekking-Tour fernab der Zivilisation auch durchstehen? Sie ist das Wagnis eingegangen – und hat nicht nur ihren Kampfgeist, sondern auch einen mystischen Ort voller Exotik und Herzlichkeit entdeckt.

Text und Fotos: Jasmin Ilg

Ich hatte schon lange den Wunsch, einmal im Leben eine Trekkingtour im Himalaya zu unternehmen. Es reizte mich vor allem, die Kultur, Bräuche und Traditionen der dort lebenden Bevölkerung hautnah erleben zu können. Lange blieb das aber ein Wunschtraum, denn mir fehlte schlicht der Mut, das Abenteuer zu wagen. Ich bin ja auch nicht besonders sportlich, habe bisher nur im Garten gezeltet und noch nie eine mehrtägige Wanderung gemacht. Außerdem kann ich als Berufs-Fotografin im Sommer schlecht mehrere Wochen verreisen – das war immer ein guter Vorwand, meinen Traum einen Traum bleiben zu lassen.

2019 aber habe ich meiner Sehnsucht nachgegeben und spontan gebucht. Ich las von einem Trekking ins ehemalige Königreich Zanskar. Früher eine der bekanntesten im Himalaya, hat diese Treckingroute heute für viele ambitionierte Bergwanderer etwas an Reiz verloren, da das abgelegene Zanskartal durch den Bau einer Straße zugänglicher geworden ist. Für mich hingegen klang das geradezu perfekt, ein Trekking für Anfänger... oder etwa nicht?


Das Abenteuer kann beginnen

Mein Abenteuer startet turbulent. Im Anschluss an ein Hochzeitsfest, wo ich bis in die Morgenstunden als Fotografin gearbeitet habe, geht’s nach nur 3 Stunden Schlaf auf den Flughafen. Das Ziel: Indien.

Bevor ich in der kleinen ladakhischen Stadt Leh lande, fliegen wir am frühen Morgen über die Bergspitzen der 6.000er. Schon jetzt kann ich keine Sekunde die Kamera weglegen, zu schön ist die Landschaft aus farbigen Bergen unter mir. Auf dem Flughafen treffe ich meine kleine Trekkinggruppe, die aus meinem Guide Kalyan aus Zanskar und meinen zwei Trekkingkameradinnen aus Hong Kong und Kanada besteht. Eine recht multikulturelle und nicht ganz alltägliche Trekkinggruppe also – ich hätte es nicht besser treffen können.

Am nächsten Tag geht es auf den National Highway 1D. Er führt von Leh nach Srinagar in Kashmir und ist eine von nur zwei Straßen, die Ladakh mit dem Rest der Welt verbinden. Auf der Fahrt legen wir einige Stopps ein, besichtigen Klöster und Dörfer und machen kleine Wanderungen, um uns für das Trekking zu akklimatisieren. Bei Lamayuru verlassen wir endlich den von vielen Lastwagen befahrenen Highway und folgen auf einer Schotterstraße dem Flusslauf des Yapola hinein in die zerklüftete Bergwelt. Das Abenteuer kann beginnen!

Unser erstes Zeltcamp befindet sich unweit des spektakulär über einer steilen Schlucht gelegenen Dorfs Photoksar. Warum baut man denn ausgerechnet hier ein Dorf hin, frage ich mich. Später wird mir klar, dass es sich eben um den sonnigsten Platz im Tal handelt und speziell im Winter sind die Menschen hier froh über jede Wärme. Es dauert nicht lange, bis wir die ersten Besucher bekommen. Drei kleine Mädchen linsen neugierig in unsere Zelte. Sie freuen sich über die Abwechslung, die wir in ihren Alltag bringen, ebenso wie über die Ricola-Kräuterbonbons aus der Schweiz. Die indischen Kekse, die wir zum Nachmittagstee gegessen haben, lehnen sie dafür dankend ab. In Photoksar verbringe ich meine erste Nacht auf über 4.000 Metern. 

Am nächsten Tag steigen wir zunächst wieder ins Auto. In einen Jeep, um genau zu sein, denn unser bisheriges Fahrzeug kann den weiteren Weg nicht mehr befahren. Nach dem 5.000 Meter hohen Löwenpass endet dann auch die neue Straße und es geht nur noch zu Fuß weiter. Wir werden nun von sieben Pferden begleitet, die unser ganzes Gepäck tragen. Bemerkenswert, wie die Pferde auf den steilen und schmalen Pfaden unbeirrt über Stock und Stein vorwärtskommen. Auf einigen Teilstücken müssen sie eine Maske tragen – aber keine Sorge, nicht wegen Corona. Vielmehr liegt der Grund in den vielen wunderschönen Blumen, die auf dieser Höhe entlang des Wegs wachsen und für die Tiere zum Teil giftig sind. Auch die Arbeit unseres Horsemans imponiert mir. Da die Pferde beim Camp zu wenig Gras finden, lässt er sie abends frei und muss sie mitten in der Nacht abseits der Pfade suchen. Glocken, die einige der Pferde um den Hals tragen, helfen ihm dabei – es ist trotzdem gefährlich und bestimmt sehr anstrengend.


Aus der Komfortzone

Das über 600 Jahre alte Kloster Tashi Chos Ling bildet das Zentrum des Dorfs Lingshed – es wird für die nächsten paar Tage das letzte Dorf sein, das wir sehen.

Jeder Schritt führt mich nun weiter aus meiner Komfortzone heraus, es gibt jetzt keine Straßen, keine Menschen und keine Hilfe mehr. Der Pfad schlängelt sich durch eine gigantische Landschaft, doch ich habe kaum Augen für sie, zu sehr stoße ich körperlich an meine Grenze. Ich komme mir vor wie eine alte indische Dampflock, die sich schnaubend den Hügel hinauf quält – und leider haben nicht alle indischen Dampfzüge, in denen ich auf früheren Reisen durch Indien schon gefahren bin, ihr Ziel erreicht... Wie bin ich nur auf diese Idee gekommen? Auch meinen zwei Reisekameradinnen ergeht es nicht besser.

Dementsprechend froh bin ich, als die Zelte unseres nächsten Camps in der Ferne auftauchen. Nicht so froh bin ich über den Berg-Giganten, der sich vor uns auftürmt und über den ich morgen rüber muss. Aufgeben ist aber keine Option – ich nehme stattdessen das Angebot meines Trekking-Guides Kalyan an, ihm meine Kamera zu übergeben. Jedes Gramm weniger im Rucksack macht das Gehen auf dieser Höhe einfacher.

Nach einer Mütze Schlaf sieht der 4.710 Meter hohe Hanuman La-Pass am nächsten Morgen schon nicht mehr gar so hoch aus. Ich bin motiviert und kann mich schon bald nach dem Start an den Wegrand setzen und das Panorama genießen, während ich auf den Rest der Truppe warte.

Das Erreichen des Passes ist dann ein echter Wendepunkt. Mir eröffnet sich nicht nur ein gigantisches Panorama – ich erkenne auch, dass sich das Kämpfen lohnt und dass man gemeinsam so vieles erreichen kann. Auf dem Pass empfängt uns ein großer weißer Chörten (tibetischer Stupa), der mit vielen Gebetsfahnen geschmückt ist. In der Mitte jeder Fahne prangt – eingerahmt von Mantras und Gebeten – ein Windpferd, das die Wünsche mit dem Wind über die ganze Welt tragen soll. Dieser Anblick hat in mir als kleines Mädchen die Faszination für den Himalaya geweckt – und sie hat mich seither nie mehr losgelassen.

Doch diese Etappe ist noch gar nicht zu Ende – unser nächstes Camp liegt auf 3.300 Metern, also müssen wir heute noch über 1.400 Meter runtergehen. Wir folgen einem Bachlauf und überqueren diesen auch einige Male, manchmal bequem über eine Eisbrücke, manchmal von Stein zu Stein springend. Nach fast 12 Stunden Marschzeit (andere schaffen das in 7 Stunden, zu den schnellsten zählen wir somit wahrlich nicht) erreiche ich das Zelt-Camp am Ufer des Oma Chu.

Der Rest der Trekking-Route ist verhältnismäßig leicht. Wir gelangen am nächsten Tag zum großen Fluss Zanskar, der dem abgelegenen Tal auch seinen Namen gibt. Im Dorf Zangla ist auch wieder die Straße und somit die Zivilisation erreicht. Mein Abenteuer ist damit aber noch lange nicht zu Ende.

Schon am nächsten Tag erwartet mich ein weiteres Highlight, denn ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Im Kloster Karsha, dem größten von Zanskar, findet gerade das jährliche Klosterfest statt, auf dem verschiedene Maskentänze aufgeführt werden. Es schmiegt sich an einen hohen Felsen und ist nur über viele Stufen zu erreichen.

Der Klosterhof quillt schon fast über vor Besuchern, sogar auf den Dächern des Klosters verteilen sich Schaulustige. Jeder Tanz hat eine Bedeutung und erzählt eine Geschichte. Der Tanz der Schwarzhutmagier ist einer der wichtigsten, denn sie vertreiben mit ihrem Gestampfe alles Böse und reinigen das Kloster. Ich lasse mich von der speziellen Atmosphäre aus Legenden, Mythen und Bräuchen des tibetischen Buddhismus verzaubern – es ist, als hätte man eine andere Welt betreten. Doch auch die profane Welt ist vertreten: Heute ist ein hoher indischer Minister zu Besuch. Die Soldaten mit ihren Maschinengewehren, die zu seinem Schutz in der Mitte vom Klosterhof stehen, passen nicht ganz ins Bild vom idyllischen Himalaya. Leider schwelgen hier schon seit vielen Jahren diverse Konflikte und Grenzstreitigkeiten zwischen Indien, China und Pakistan, an deren aller Grenzen Ladakh stößt. So gibt mir das Fest nicht nur einen Einblick in die Tradition von Zanskar, sondern auch in das Jetzt und Heute.


Abgeschiedene Klöster und Dörfer

Zanskar liegt so abgelegenen, dass es sich seine Lebensweise bis heute bewahren konnte. Dass dieses Leben dadurch aber auch sehr hart ist, erfahre ich am nächsten Tag im kleinen Dorf Cha auf fast 4.000 Metern. Ich übernachtete bei einer Familie in der Wohn-Stube auf ausgebreiteten Teppichen, die auch gleich als Sofa dienen. 21 Familien leben hier im Dorf, die meisten als Mehrgenerationenhaushalte. Strom gibt es nur von Sonnenkollektoren. Um Wasser zu sieden, steht vor vielen Häusern eine Art Rundspiegel, der die Sonnenstrahlen einfängt, auf den Metallkessel wirft und diesen erhitzt. Die Siedetemperatur ist auf 4.000 m tiefer, Gerichte brauchen dadurch länger zum Garen. Da Holz hier Mangelware ist, werden getrocknete Dungfladen von Yaks und Dzos für das Kochfeuer verwendet. Ich darf hier das zanskarische Gericht Skiu probieren, einer Art Knöpfli in Curry mit Gemüse und Kräuter aus dem Garten – sehr lecker.

Von Cha aus ist das Höhlenkloster Phuktal nur eine Tageswanderung entfernt. Es ist nur über einen schmalen Fußweg, der sich an die steil abfallende Felswand schmiegt, erreichbar. Das Kloster selbst scheint aus der großen Höhle herauszuquellen und klebt geradezu am steilen Berg. Was für ein Anblick. Wer weiß, vielleicht wird diese ursprüngliche Meditationshöhle schon bald mit dem Auto erreichbar sein – schließlich hat sich Indien zum Ziel gesetzt, dass einmal alle Dörfer auf einer Straße erreicht werden können. Ich hatte das große Glück das Kloster noch ganz ursprünglich erleben zu können.

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Abenteuerlicher Rückweg

Vier ganze Tage dauert dann unsere Rückfahrt über schmale Schotterstraßen nach Leh. Auch wenn es nur mit durchschnittlich 20 km/h vorwärts geht, wird es alles andere als langweilig. Die Landschaft ist einfach grandios. Ich komme an riesigen Gletschern, wie dem noch 22 km langen Drang-Drung-Gletscher vorbei (auch im Himalaya schmelzen leider die Gletscher rasant). Ich besuche Familien, die im Sommer ihre Yak-Herden auf Almen weiden lassen. Unvergesslich bleibt mir auch unser Zeltplatz beim Kloster Rangdum, wo wir nicht einfach am Rande einer Weide campen, sondern mitten in einer Blumenwiese. Wir sind umgeben von tausenden von Edelweißen.

Viel zu schnell ist dann mein Abenteuer im Himalaya zu Ende und mein Alltag wartet wieder auf mich. Doch diese Reise bleibt für mich unvergesslich und gibt mir auch viel Kraft für die Zukunft und meine Arbeit. Durch dieses Trekking-Abenteuer ist mir bewusst geworden, wie viel doch gemeinsam erreicht werden kann, wie gut es tut, auch einmal Hilfe anzunehmen und wie wichtig es ist, an sich zu glauben und nicht kampflos aufzugeben.

Auch wenn ich mir während der Trekking-Reise geschworen habe, nie wieder so etwas zu machen, hat sie Lust auf mehr gemacht und ich hoffe, dass ich schon bald mein nächstes Abenteuer in Angriff nehmen kann.


Infos und Adressen: Himalaya-Trekken in Zanskar, Ladakh, Indien

Beste Reisezeit: Ein Trekking nach Zanskar auf den Karawanenwegen ist nur im Sommer von Juni bis September möglich, da dann die Bäche nicht zu viel Wasser führen und die Pässe offen sind. Im Winter kann Zanskar nur über den gefrorenen Zanskarfluss erreicht werden, sofern das Eis genügend dick ist. Ein sehr abenteuerlicher und gefährlicher Weg.

Hinkommen: Von der indischen Hauptstadt Dehli geht es am schnellsten per Flugzeug nach Leh. Wer viel Zeit hat, für den ist eine mehrtägige Anreise auf dem Manali-Leh Highway über den 5.325 m hohen Tanglang La-Pass oder über Kashmir (Sicherheitslage beachten!) möglich. Von Leh kann Zanskar entweder auf einer 2-3 Tage dauernden Auto/Busfahrt oder per Trekking über die alten Karawanenpfade erreicht werden. Eine neue Straße entlang des Zanskarflusses ist in Bau und wird die Reisezeit in Zukunft um zwei Drittel verkürzen. Doch dann wird sich wohl leider auch das Leben im Tal drastisch verändern.

Ankommen: Die ersten Tage sollte wegen der großen Höhe von über 3.500 m ruhig angegangen werden. Vor dem Trekking sollten auch für eine bessere Akklimatisation verschiedene Ausflüge und Wanderungen auf dem Weg zum Trekkingstartpunkt unternommen werden. Ich empfehle einen Ausflug in das schöne Dorf Tingmogang oder Tar (ist nur zu Fuß erreichbar) und natürlich in die Mondlandschaft von Lamayuru mit seinem schönen Kloster.

Unternehmen: 30 Fahrminuten von Leh entfernt liegt das Nonnenkloster Nyerma mit dem angegliederten Tara Guesthouse mit 8 Zimmern. Mit der Übernachtung wird die Nonnengemeinschaft unterstützt und sie gibt einen Einblick in ihren Alltag. Gegessen werden einfache, aber sehr leckere, vegetarische Gerichte. Natürlich sind auch männliche Gäste und Paare Willkommen. Ein Ausflug zum imposanten Kloster Thikse ist zu Fuß möglich. 

Mitkommen: Eine gute Trekkingcrew ist Gold wert. Sehr empfehlen kann ich Gesar-Travel von Daniela und Tashi Lusching-Wangail samt Team. Sie haben ein Reisebüro in Österreich und Ladakh und Gäste aus der ganzen Welt. Mein Guide Kalyan, der in Zanskar aufgewachsen ist, kennt seine Heimat wie seine Westentasche und spricht neben Englisch auch etwas Deutsch. 

Kaufen: Auf über 3.500 m habe ich bis zu 5 Liter Wasser am Tag getrunken. In den zwei Geschäften von Dzomsa in Leh (eines beim Main Bazaar, eines in der Nähe vom Hotel Omasila) kann gefiltertes Wasser für die eigene Wasserflasche günstig gekauft werden. So kann man sehr viel Plastikabfall durch PET-Flaschen vermeiden. Auf dem Trekking wird abgekochtes Wasser getrunken. Und nicht fehlen darf natürlich eine Tasse Masala-Chai.

Gutes Tun: Die von einer Schweizerin gegründete Munsel Schule bei Leh hilft behinderten Kindern und jungen Studenten, sensibilisiert die Bevölkerung für das Thema und bildet Lehrer aus: www.munselsocietyleh.org.

Feiern: Bei keinem Klosterfest fehlen darf genügend zu Trinken, Sitzfleisch, Sonnencreme und ein Mundschutz vor Staub.

Über die Autorin: Fotografie und Reisen sind die großen Leidenschaften von Jasmin Ilg, die in der Schweiz am Bodensee ihr eigenes kleines Fotostudio betreibt (www.fotodesign-ilg.com). Die Kamera ist ihr treuer Wegbegleiter, egal ob im beruflichen Alltag, in den Tiefen der Ozeane, den Häuserschluchten der Großstädte oder in den schwindelerregenden Höhen der Berge. Vor allem der Himalaya hat Jasmin in seinen Bann gezogen. Viele Regionen rund um Tibet hat sie seither schon auf ihren Reisen entdeckt, sogar den Dalai Lama konnte sie einmal in Ladakh erleben und natürlich fotografieren. Zuletzt hat Jasmin eine eigene Webseite rund ums Reisen und die Reisefotografie gestartet: www.worldfoto.ch.