Ana Zirner im Kaukasus: Von Ushguli nach Mestia in Swanetien
Foto: Ana Zirner
Ana Zirner setzt ihre Kaukasus-Durchquerung in der georgischen Bergregion Swanetien fort. Dort ist sie hin- und her gerissen zwischen Bruchbuden-Romantik, Schwangerschafts-Blues und berauschenden Bergpanoramen. Am Ende aber versöhnt sie das Hier und Jetzt.
Der international wohl bekannteste und am häufigsten begangene Wanderweg im großen Kaukasus ist der Trek von Mestia nach Ushguli. Die viertägige Wanderung birgt keinerlei technische Herausforderungen und die Tagesetappen sind allesamt moderat, dabei bieten sich unterwegs aber immer wieder spektakuläre Aussichten zu den höchsten Bergen des westlichen Kaukasus mit ihren imposanten Gletschern.
Die Region Swanetien ist hier touristisch vergleichsweise gut erschlossen und in Nicht-Corona-Zeiten machen sich wohl auch jetzt schon bis zu hundert Menschen am Tag auf diesen Weg.
Wir machen die Tour, der bisherigen Richtung meiner Überquerung des Großen Kaukasus weiter folgend, in umgekehrter Richtung, von Ost nach West. Unterwegs sind wir hier zu viert, denn mein Lebensgefährte Martin und ich werden noch von meinen Freunden Merlin und Romy begleitet. Merlin ist Fotograf und macht Bilder für mein im Herbst 2022 erscheinendes Buch über die Kaukasusdurchquerung. Romy, seine Freundin, ist Yogalehrerin und ich freue mich riesig, mit ihr nun auch eine Frau an meiner Seite zu haben.
Zunächst geht es in Ushguli entlang der typisch schlaglochreichen Fahrstraße an den Dorfteilen Chazhashi und Murkhmeli vorbei gen Westen, bis wir auf einen schönen kleinen Wanderpfad abbiegen, der sich bald durch lichten Laubwald am Hang entlang schlängelt. Von der ganzen Horde an Straßenhunden, die Ushguli noch mit uns verlassen haben, bleibt bald nur ein großer Schäferhundmischling mit auffällig getigertem Fell übrig. Romy tauft ihn „Tigerlilly“, obwohl es ein Männchen ist, aber das scheint ihm nichts auszumachen und er bleibt uns trotzdem tagelang treu. Auf einer großen Blumenwiese machen wir Pause und nördlich von uns ragt nun der weiße spitze Gipfel des Tetnuldi (4.858 m) in den hellblauen Himmel. Mit einem sehnsuchtsvollen Blick in seine Richtung denke ich daran, dass dieser wunderschöne Gipfel ein fixer Bestandteil meiner ursprünglichen Tourenplanung gewesen war.
Umständliche andere Umstände
Überhaupt wollten wir hier gemeinsam einige Hochtouren machen. Es fällt mir jetzt, zumal in Begleitung von drei normal fitten Menschen wieder besonders schwer, mich mit den Einschränkungen durch meine Schwangerschaft abzufinden. Und nicht genug, dass ich keine Hochtouren machen könnte, nein. Obwohl ich schon seit einiger Zeit unterwegs nur noch die Schlafsäcke trage und mein Rucksack damit wirklich nicht mehr schwer ist, fühlt es sich an, als würde ich täglich langsamer werden.
Der Grund dafür ist offensichtlich. Mein Bauch wächst gerade auf dieser Etappe zusehends – ich bin jetzt im fünften Monat – und das kostet natürlich einiges an Energie. Mein Frust ist mir wohl anzumerken, auch wenn ich mich um Humor bemühe. Und obwohl Merlin und Romy mich ermutigen, die Situation einfach anzunehmen, anstatt mir die Laune verderben zu lassen, obwohl sich niemand beschwert, dass wir im Schneckentempo gehen, fällt mir das gerade wirklich schwer. Trotz allem Verständnis fühle ich mich in diesen Tagen oft einsam. Ich ertappe mich dann bei Gedanken an solche Schwangeren-Yoga-Gruppen, in der sich lauter runde Frauen untereinander austauschen. Mir hatte es vor solchen Kreisen immer gegraut und ich hatte mir nicht vorstellen können, je dabei mitmachen zu wollen. Aber jetzt, während ich mich wieder einmal über mein langsames Gehtempo ärgere und mich frage, ob es normal ist, dass es hier oder da so zieht und zwickt, da kommt mir die Vorstellung himmlisch vor, einfach faul auf dem Boden zu liegen, die Beine auf einem Gymnastikball abzulegen und mit lauter anderen runden Frauen über nichts anderes als die Zipperlein der Schwangerschaft zu reden…
Aber ein Grund, warum ich die Berge so sehr liebe, ist, dass sich vieles hier auf wohltuende Weise von selbst relativiert. Als ich abends im Biwak liege und in den unfassbar hellen Sternenhimmel schaue, der gerade die zigste Sternschnuppe von sich wirft, da weiß ich wieder, dass es doch gut ist, hier zu sein.
Fallende Sternschnuppen, stürzende Gletscher
Über den Chkhunderi-Pass am zweiten Tag gelange ich wieder auf einem Pferderücken. Nicht nur, dass es so schneller geht, ich vermeide auch die Anstrengung in der Höhe. Die Erleichterung ist groß, als mein Pulsoximeter mir noch auf 2.700 Metern konstant eine Sauerstoffsättigung von über 97 % attestiert – das hatte ich bisher noch nie – und so kann ich in vollen und tiefen Atemzügen die Aussicht auf den zu Tal stürzenden, monumental groß erscheinenden Adishigletscher genießen.
Nach dem Abstieg ins Tal überqueren wir den aus dem Gletscher fließenden Adishchala-Fluss. Es ist die einzige Stelle, die sich bei höherem Wasserstand zu einer Herausforderung entwickeln kann, aber angeblich stehen dann Einheimische mit Pferden bereit, die gegen einen kleinen Obolus die Wanderer auf die andere Seite bringen. Einige Kilometer weiter talabwärts liegt der kleine Ort Adishi, der wohl in den letzten Jahren seine Kapazitäten an Gästehausbetten massiv ausgebaut hat. Jetzt jedenfalls, wo kaum Touristen unterwegs sind, werden uns überall Zimmer angeboten.
Am nächsten Tag durchqueren wir das kleine Tetnuldi-Skigebiet und man ahnt, angesichts der breiten Fahrtrassen, wie schnell hier die Landschaft zerstört werden kann, wenn mehr Investitionen in den Ausbau der Wintersportanlagen fließen. Andererseits kann man der Bevölkerung hier natürlich einen wirtschaftlichen Aufschwung wünschen, denn in den Dörfern wird deutlich, dass die Menschen hier alles andere als materiell wohlhabend sind. Den verregneten Nachmittag harren wir in einem hässlichen Gästehaus in dem Örtchen Zhabeshi aus und sind froh, als wir am Morgen unsere letzte kurze Etappe nach Mestia wieder bei Sonnenschein begehen können.
Ende der Einsamkeit
Es ist fast erschreckend, dort in einer Art Stadt anzukommen, der kaum mehr etwas von der lokalen Gastfreundschaft und dem regionalen Flair anzumerken ist. Hier dreht sich alles um den Tourismus. Dennoch werde ich hier ein paar Tage bleiben, denn die anderen machen von hier aus eine Hochtour auf den Mount Laila und ich nutze die Zeit zum Ausruhen und schreiben.
Während ich durch die Wälder oberhalb des Ortes spaziere, wird mir deutlich, wie anstrengend ich die letzten Tage empfunden habe. Ich erkenne, dass es für mich eben auch eine völlig neue Situation ist, auf einer meiner Touren plötzlich in einer Gruppe unterwegs zu sein. Ich spüre jetzt deutlich, wie das zusätzlich meine Wahrnehmung in den letzten Tagen verändert hat. Einerseits habe ich unsere Geselligkeit, die guten Gespräche und gemeinsamen Pausen in der Sonne sehr genossen. Doch andererseits wird mir rückblickend bewusst, dass ich kaum wirklich tiefe Eindrücke gewinnen konnte. Meine Sinne waren mit all dem menschlichen Sozialleben schon so angefüllt, dass mir kaum Kapazitäten blieben, um auf die mir sonst gewohnte Art all das zu erleben, was wirklich hier, im Kaukasus, in der Landschaft, in den Elementen und zwischen den hier lebenden Menschen (und mir) eigentlich stattfindet. Es ist, als läge ein Dunst über der Landschaft der letzten Tage, als könne ich mich gar nicht so genau erinnern, was da eigentlich war.
Aber als dann der Gedanke auftaucht, dass es vielleicht besser wäre, doch wieder allein weiterzugehen, da merke ich zwei Dinge sehr deutlich: Erstens, dass ich so und so nicht mehr alleine bin, da mein Kind mich immer begleitet und auch viel Aufmerksamkeit abzieht und zweitens, dass ich mich dem allein unterwegs sein psychisch aufgrund der Schwangerschaft und all der inneren Unsicherheit, die bei mir damit einhergeht, nicht mehr gewachsen fühle.
Also bestätigt sich einmal mehr, was das Motto dieser Unternehmung ist: Ich bin hier zwischen den Welten. Mal ist das faszinierend und spannend, mal ist es, als sei ich zwischen diesen Welten gefangen und eingesperrt. Doch dann erwacht der Pragmatismus („ich kann es nun einmal nicht ändern“). Er war mir auch früher schon oft in misslichen Lagen unterwegs sehr hilfreich, denn über ihn gelangte ich zum Optimismus zurück. Der erwacht nun in mir, reckt und streckt sich und plötzlich sehe ich das zarte Rosa der morgendlichen Wolken, dann das helle Grün der Bergwiesen und schließlich erkenne ich auch in den alten Gemäuern der Dörfer wieder diese abgründige kaukasische Schönheit und dann weiß ich: Es ist gut und richtig, hier zu sein.
Ich freue mich, wenn ihr Lust habt, mich auch anhand meines Videotagebuchs zu begleiten. Außerdem berichte ich auf Instagram und Facebook. Und im Herbst 2022 gibt es dann auch wieder ein Buch.
Weitere Infos: www.anasways.com
Ich freue mich, wenn ihr Lust habt, mich auch anhand meines Videotagebuchs zu begleiten. Außerdem berichte ich auf Instagram und Facebook. Und im Herbst 2022 gibt es dann auch wieder ein Buch.
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