Ana Zirner: „Es kommt immer anders, als man denkt“
Foto: Christian Bock
von Martin Foszczynski
Ana Zirner hat uns schon mit ihrer Alpen- und Pyrenäen-Überquerung begeistert, 2019 folgte sie dem Colorado River 2.300 Kilometer quer durch den Westen der USA. Nun hat sich die umtriebige Chiemgauerin – nach langer Pandemie-bedingter Unterbrechung – ein neues Ziel gesetzt: Sie möchte den Großen Kaukasus von Ost nach West durchwandern. Start ist am 20. Juli – wir haben mit Ana, die von unterwegs für Bergwelten bloggen wird, kurz vor ihrer Abreise über das wagemutige Vorhaben gesprochen.
Bergwelten: Ana, du bist zuletzt dem Colorado River quer durch die mythische Landschaft der USA gefolgt, jetzt soll es in den Großen Kaukasus gehen. Warum fiel deine Wahl auf diese Gegend? Was fasziniert dich an ihr?
Ana Zirner: Der Kaukasus ist ein Gebirge, das mich schon lange fasziniert, obwohl ich noch nie dort war. Es war bisher für mich immer eine Art Sehnsuchtsort. Ich stelle mir ihn vor, wie einen übergroßen Verwandten der Alpen: Höher und wilder, weiter und noch ursprünglicher – dabei aber weitaus weniger infrastrukturell und touristisch erschlossen. Es ist ein kulturelles und politisches Spannungsfeld, in dem globale Interessen aufeinandertreffen und eine Region, in der die gesellschaftliche Vielfalt weltweit einzigartig ist. Was könnte es Spannenderes geben, als richtig lange in einer solchen Landschaft unterwegs zu sein?
Stellt diese Expedition in gewisser Weise den Höhepunkt deiner Abenteuer-Projekte der letzten Jahre dar?
Ich habe inzwischen das Gefühl, dass in diesem Projekt alle Fäden zusammenlaufen, die ich in meinem beruflichen Leben bisher gesponnen habe. Einerseits auf der topografischen Ebene: Ich habe nach den weitgehend erschlossenen Alpen die wilderen, aber weniger hohen Pyrenäen überquert und bin schließlich in der Weite der Wüstenlandschaften in den USA gelandet. Die Erfahrungen daraus führen mich jetzt in den Kaukasus, ein wenig erschlossenes, hohes, mächtiges, aber auch sehr weites Gebirge. Andererseits auf der inneren, psychologischen Ebene: In den Alpen habe ich mich zunächst ausführlich mit mir selbst auseinandergesetzt, in den Pyrenäen stark mit meiner Umwelt und am Colorado River mit dem Klimawandel und der Gesellschaft. Ich sehe das jetzt alles als Vorbereitung auf den Kaukasus. Und da ist noch ein weiterer Aspekt: Bevor ich den Beruf wechselte und mit den Touren in den Bergen begann, habe ich viele Jahre politisches Tanz-Theater gemacht. Bei meinem kommenden Projekt im Kaukasus werde ich auch an diese Inhalte wieder anknüpfen können, denn in der konfliktreichen Region kommt man um eine Auseinandersetzung mit der (geo-)politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lage einfach nicht herum. Ich freue mich immens darauf.
Dem Kaukasus haftet etwas Rätselhaftes und Mystisches an – er liegt auch an der Grenze zwischen Europa und Asien. Sind es diese Zwischenwelten, die dich interessieren?
Unbedingt – das trifft es genau auf den Punkt. Für mich heißt das Projekt auch „Zwischen Welten“. Historisch sind die Narrative des Kaukasus noch heute von alten griechischen und biblischen Geschichten geprägt. Besonders begeistern mich als ehemalige Theatermacherin natürlich die Themen der griechischen Sagen und Mythen. Prometheus – hin- und hergerissen zwischen der Welt der Götter und der Welt der Menschen – raubte den Göttern einst das Feuer, um es den Menschen zu geben, und wurde zur Strafe an die Felsen des Kaukasus geschmiedet. Allein in diesem Mythos steckt viel von der Kraft, dem Konflikt und der Symbolik dieser Region. In Aserbaidschan kämpften angeblich die ersten Amazonen inmitten des Patriarchats. Und schließlich: An der Küste von Kolchis, am „Ende der Welt“, dem heutigen Abchasien und Georgien, landeten laut dem griechischen Mythos einst die Argonauten auf der Suche nach dem goldenen Vlies. Hier verliebte sich der griechische Held Jason in Medea, die lokale Königstochter: Ein Beziehungsdrama zwischen den Welten.
Der Kaukasus ist wie ein Erdbebengebiet der Weltgeschichte. Früher prallten hier das Russische-, das Osmanische- und das Persische Reich aufeinander. Das Gebirge liegt auch zwischen Schwarzem- und Kaspischem Meer, zwischen Russland und mittlerem Osten, zwischen Orient und Okzident. Schon im Altertum galt der Kaukasus als „Berg der Sprachen“ und noch heute werden im gesamten Kaukasus-Gebiet etwa sechzig verschiedene Sprachen gesprochen.
Zwischen all diesen Welten liegt aber zweifelsohne auch eine Mitte. Ob es eine vergessene Mitte ist, eine unerforschte, eine neu zu bildende, das weiß ich noch nicht. Aber ich habe große Lust, es gehend, erlebend, reflektierend und schreibend zu ergründen.
Kannst du deine Reise grob skizzieren? Wie lange soll sie dauern, wenn alles nach Plan läuft?
Wie immer gehe ich von Ost nach West, auch hier wieder auf einer selbst entworfenen Route. Ich nehme mir etwa zwei Monate Zeit und rechne damit, über eintausend Kilometer Strecke und viele tausende Höhenmeter in weitgehend weglosem Gelände zu gehen. Ursprünglich wollte ich in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, am Kaspischen Meer starten. Leider habe ich aber kein Visum bekommen, so dass ich nun weiter westlich, an der georgisch-aserbaidschanischen Grenze im Nationalpark Lagodekhi, starten werde. Entgegen dem ersten Plan, ab der Hälfte der Strecke auf die russische Nordseite zu wechseln, bleibe ich nun auf der (militärisch) weniger erschlossenen Südseite des Großen Kaukasus, also auf georgischem Boden. Mein Ziel ist es, das Schwarze Meer zu erreichen. Ob nun in Abchasien (autonome Region, die völkerrechtlich als Teil Georgiens angesehen wird, Anm. d. Red.), wo die Möglichkeit der Einreise noch ungewiss ist, oder in Georgien, das werde ich vor Ort entscheiden.
Was wird aus rein bergsteigerischer Sicht das Herausforderndste? Wie hoch soll es hinaufgehen und auf welche landschaftlichen Highlights freust du dich besonders?
Ich plane die Besteigung einiger Gipfel unterwegs. Natürlich darf der berühmte und viel begangene Kasbek (5.054 m) nicht fehlen, aber ich freue mich besonders auf die Gipfel, die weiter im Westen auf mich warten: Tetnuldi (4.858 m), Layla (4.008 m) und vielleicht auch der schwierige und schöne Doppelgipfel des Ushba (4.710 m). Sie befinden sich in unmittelbarer Nähe des auf russischer Seite liegenden Elbrus (5.621 m), des höchsten Gipfels des Kaukasus. Bei den technischen Passagen, auch auf den höheren Gletschern, werde ich von lokalen Bergführerfreunden begleitet.
Landschaftlich freue ich mich auf alles. Auf die weiten grünen Täler, die kleinen Dörfer und Klöster, die zerklüfteten und noch riesigen Gletscher und auf die kargen Gipfel mit ihren Aussichten. Da meine Route meistens auf einer Höhe von 2.500 bis 3.500 Metern verläuft, wird die Akklimatisation zu den höheren Gipfeln vielleicht auch nicht mehr allzu lange dauern.
Willst du wieder biwakieren und wie wirst du dich unterwegs verpflegen?
Natürlich, das Biwakieren ist für mich sehr wichtig. Aber ich habe mir für diese Tour ein ultraleichtes und sehr robustes Tarp genäht, da ich schon damit rechne, hier und da mal in ein ungestümes Wetter zu geraten und weil es im Kaukasus ja so gut wie keine Hütten gibt.
Die Verpflegung ist eine logistische Aufgabe gewesen, aber ich denke, dass nun alles klappen wird. Ich steige alle paar Tage durch eines der zahlreichen Seitentäler ab, um neue Verpflegung aufzunehmen, die mir von einem Fahrer aus meinem Depot in Tiflis gebracht wird. Ich habe tolle Leute vor Ort gefunden, die mich unterstützen.
Das Gebiet ist auch von Konflikten geprägt – hast du keine Angst, alleine unterwegs zu sein?
Nein. Ich habe bisher oft die Erfahrung gemacht, dass man hierzulande ein viel beängstigenderes Bild von sogenannten Konfliktregionen verbreitet, als man es schließlich vor Ort erlebt. Natürlich gilt es, gut informiert zu sein und ich meide selbstverständlich gewisse Gebiete aus Sicherheitsgründen. Aber dort, wo ich unterwegs bin, leben ja viele Menschen ihren Alltag. Sicher ist der anders als meiner, sicher haben viele bisher schon weit mehr Leid erlebt als ich, aber deswegen sind sie nicht gleich gefährlich für mich. Stetig aufmerksam zu sein, gut zu kommunizieren und auch mal der einen oder anderen Situation aus dem Weg zu gehen, wenn das Bauchgefühl es fordert, das gehört sicher dazu. Aber das war auch in den USA nicht anders.
Die Kaukasus-Region ist seit Jahrhunderten umkämpft und wird bis heute zwischen den Interessen größerer Mächte zerrieben (wie auch der jüngste bewaffnete Konflikt um Bergkarabach zeigte) – diese Klüfte reichen wohl bis in die Psyche der Einheimischen. Wirst du auch versuchen, mit den Menschen in Kontakt zu treten, ihre Identität(en) zu ergründen?
Um kaukasische Identitäten zu ergründen, bräuchte man bei der Vielfalt der Bevölkerung und ihrer komplexen Geschichte weit mehr Zeit als ein Menschenleben... Aber ich werde sicherlich versuchen, einzelne Geschichten zu hören und auch aufzuschreiben. Ich gehe schon jetzt davon aus, dass es ganz anders wird, als ich erwarte, und so kann ich offen in die Begegnungen gehen.
Ein Ziel deiner Expedition ist die Nachhaltigkeit. Du reist also konsequenterweise mit dem Zug an? Auch zurück wird es wohl nicht mit dem Flugzeug gehen?
Die An- und Rückreise lege ich auf dem Land- bzw. auf dem Wasserweg zurück. Einerseits weil ich aus Klimaschutzgründen nicht mehr fliegen möchte, andererseits aus der Überzeugung heraus, dass die Reise über Land kein Verzicht – Stichwort „verlorene Zeit“ – ist, sondern vielmehr ein Gewinn: Als Reisende kann ich so ein räumliches, kulturelles und emotionales Verständnis für die Distanz entwickeln, die zwischen meiner Heimat in den Alpen und dem hohen Kaukasus liegt. Aber konkret gestaltet sich das gerade gar nicht so einfach: Leider fahren wegen Corona gerade keine internationalen Züge auf meiner Strecke, so dass ich alles mit dem Bus machen werde. Das wird sicher auch anstrengend, aber trotzdem freue ich mich darauf. Besonders freue ich mich auf die Rückreise, denn die geht mit dem Schiff über das Schwarze Meer.
Die Corona-Pandemie ist leider immer noch nicht vorbei – denkst du es kann dadurch zu Komplikationen in deiner Reiseplanung kommen? Hast du einen Plan B?
Ich habe dann, wenn ich es brauche, auch Plan C, D und E. Allerdings sind das Pläne, die dann aus der veränderten Situation heraus entstehen werden. Ich bin ganz gut darin, mich relativ schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen einzustellen und meine Pläne entsprechend anzupassen, ohne dass mich das zu viel Kraft und Frust kostet. Bei meiner Art unterwegs zu sein, darf man nicht zu verkopft sein, sondern man muss sich flexibel auf das einlassen können, was passiert. Aber das macht es ja auch aufregend und spannend. Ich denke da nach der Devise „Let’s cross that bridge, when we get there.“ Das hat bisher auch immer ganz gut funktioniert. Es kommt ja eh immer anders, als man denkt.
Liebe Ana, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für dein bevorstehendes Kaukasus-Abenteuer!
Ana Zirner wird in den kommenden Wochen auf Bergwelten.com von ihrer Kaukasus-Reise berichten. Verpasst also ihre Blog-Beiträge nicht! Sie plant auch ein Videotagebuch von unterwegs. Ihre früheren Abenteuer findet ihr hier.
Blog-Beiträge
Ana Zirner im Kaukasus: Ja, es kommt immer anders, als man denkt
Ana Zirner im Kaukasus: Drei Generationen zusammen unterwegs
Ana Zirner im Kaukasus: Rund um den Kasbek
Ana Zirner im Kaukasus: Rauhes Racha – Im Wilden Westen Georgiens
Ana Zirner im Kaukasus: Von Ushguli nach Mestia in Swanetien
Ana Zirner im Kaukasus: Zwischen den Welten
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Traum und Taumel – Wandern in Georgien
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Ana Zirner: 2.330 Kilometer entlang des Colorado Rivers
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