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In 40 Tagen über die Pyrenäen – von den höchsten Gipfeln hinunter zum Meer

Aktuelles

4 Min.

09.08.2018

Foto: Ana Zirner

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Ana Zirner hat es geschafft: Nach fünf Wochen Marsch durch die Pyrenäen ist sie am Atlantik angekommen. Mit uns teilt sie ihre Eindrücke und Emotionen.

Seit dem Pic d‘Aneto letzte Woche bin ich nun wirklich in den hohen Pyrenäen angekommen. Es ist Hochsommer, aber ab 2.500 Metern liegt hier dieses Jahr, besonders nordseitig, noch recht viel Schnee. Ich empfinde das Gehen und Steigen im Schnee nicht nur als schön, es ist auch (wenn man Steigeisen gewohnt ist) technisch einfacher und weniger anstrengend. Besonders in den hohen Lagen und wenn man nicht auf den bekannten GR-Wanderrouten unterwegs ist, sind die Wege in den Pyrenäen selten gründlich angelegt und oft nicht durchgehend markiert. Es kann recht anstrengend und langwierig sein, einen Weg zwischen Felshaufen, über lockere Boulder und durch Geröllfelder zu finden. Insgesamt ist es aber genau das, was ich in den Pyrenäen über alles zu schätzen gelernt habe: ihre wilde Weite. Es ist ein weniger erschlossenes, kaum besiedeltes und insgesamt unwesentlich von Menschen geprägtes Gebirge mit vielen klaren Seen und überraschend schnell wechselnden landschaftlichen Szenerien.


Wilde Pyrenäen

Nach ein paar wunderschönen Tagen zwischen Benasque und Viadòs mache ich eine Schleife durch den Nationalpark Ordesa y Monte Perdido (3.355 m). Natürlich darf dabei eine Besteigung des Letzteren nicht fehlen. Als ich von der französischen Seite aus am Balcon de Pineta ankomme, zieht mich das Kolosseum aus hellem Kalkstein und Gletscher in seinen Bann. Undurchdringbar wirken die Wände des Balcon de Pineta von fern, aber kaum stehe ich unmittelbar davor ergibt sich wie durch ein Wunder eine perfekte Route. Ich kraxle durch den Balkon und stapfe bald über den spaltenfreien Gletscher hinauf zur Scharte. Auf der anderen Seite geht es auf einem Felsband, wie auf einer Rampe, abwärts zu dem kleinen dunklen See, dem Lago Helado (= „gefrorener See“), der sich am Fuß des Monte Perdido einen ausgesprochen schönen Platz ausgesucht hat.

Der Anstieg zum Gipfel sieht beeindruckend aus. Eine steile Spur zieht sich im Schnee schnurgerade die kaum 400 Höhenmeter hinauf. Ich lasse meinen Rucksack am See und steige mit Eispickel und Steigeisen noch am späten Nachmittag auf den beliebten Gipfel, auf dem ich um diese Uhrzeit ganz allein sein kann. Im Tal ziehen Wolken vorbei und die Aussicht nach Spanien hinüber ist berauschend: Die Täler sind hier geformt wie Canyons, bei denen sich in Streifen steile Stücke aus hellem Fels mit flachen, wiesenbewachsenen Terrassen abwechseln. Gedeckelt werden sie von sanften Hügeln aus dunklem Sand. Ich habe so eine Landschaft in den Alpen noch nie gesehen. Überhaupt ist das hier eine besondere Gegend. Es ist nicht nur das höchste Kalksteinmassiv in Europa, sondern auch kulturell besonders, denn hier werden die Weideflächen traditionell unabhängig von den Ländergrenzen von den Bergbauern der umliegenden Dörfer beider Länder gemeinsam genutzt. Eine kleine Form von einem echten Europa also.

Der Weg durch die berühmte Breche du Roland, ein imposantes Felstor, das einen Grenzübergang zwischen Spanien und Frankreich bildet, lässt mich andächtig werden. Und auch die Besteigung des Vignemnale und des imposanten Felsens Pic d‘Osseau bewirken, dass ich in einem tagelangen Zustand von Bergeuphorie schwelge.


Zuerst Bergeuphorie, dann Meer

Aber kaum habe ich den Pic d‘Anie, den letzten höheren Gipfel auf dem Weg nach Westen, hinter mir gelassen, werde ich müde. Das Baskenland, mit seinen vielen kleinen Almen, auf denen man köstliche frische Käsesorten probieren kann, ist toll. Ich wollte auch gern die kleinen Dörfer besuchen, die für ihre Gastfreundlichkeit bekannt sind. Aber mit den zurückzulegenden Höhenmetern der Tagesetappen sinken auch meine Motivation und Lust. Es ist jetzt auch heiß geworden und Mücken, die ja leider besonders auf mich stehen, sind eine echte Plage. Als dann noch schlechtes Wetter vorausgesagt wird, gebe ich meinem Schweinehund nach: Ich will jetzt nur noch ans Meer.

Spontan treffe ich Lise wieder, und wir verkürzen gemeinsam die Strecke und fahren ein Stück mit dem Bus. Aber die letzte Stunde zum Meer, die wollen wir noch gehen, jede für sich.

Als ich am Strand ankomme und auf den weiten wilden Atlantik hinausschaue, erinnere ich mich an den Blick auf das milde Mittelmeer vor fünf Wochen. Ich bin also tatsächlich hier angekommen und eigentlich will ich gerne jubeln. Aber es fühlt sich zwischen der urlaubenden Strandbevölkerung etwas surreal an und ich werde schräg gemustert, als ich meinen Rucksack in den Sand fallenlasse und meine stinkenden Schuhe ausziehe. Da höre ich einen Freudenschrei und drehe mich um. Es ist Lise, die auf mich zuläuft. Zu zweit ist jubeln kein Problem. Wir umarmen uns fest, tanzen kurz bekloppt am Strand herum und schälen uns dann aus den verschwitzen Klamotten. Wir springen kopfüber in die Wellen, planschen wie ausgelassene Kinder und bodysurfen im Weißwasser bis wir ganz außer Atem sind.

Dann fahren wir nach Bayonne und nehmen uns ein Hotelzimmer. Schon seit gestern steht unser Plan für den letzten Abend: Wir wollen uns Kleider kaufen und schick essen gehen. Gesagt, getan. Es dauert nicht lang und wir sind beide in Kleidchen und Sandalen unterwegs. Mann, tut das gut, nach fünf Wochen! Fast kaufen wir uns noch Lippenstift, aber dann machen zum Glück die Läden zu und bereiten damit unserem Kaufrausch ein Ende.

Das Essen bei dem Italiener, der uns empfohlen wurde, ist sensationell gut. Wir feiern bei Caipirinhas und Antipasti, bei frischer Pasta und Rotwein, und vergehen schließlich fast in Mousse au Chocolat. Es ist schön zu zweit, da sind wir uns einig. Und es ist schön, Frau zu sein. Darauf stoßen wir an. Und auf die Pyrenäen, die wir beide nun von Ost nach West komplett überquert haben.


Gut, wie es ist

Es ist alles ganz anders gelaufen, als ich es erwartet hatte. Aber ich merke jetzt deutlich, dass es gut so ist, wie es ist. Ich habe unterwegs viel gelernt, ich habe oft gehadert und ich habe mich manchmal zu sehr unter Druck gesetzt. Aber ich hatte die Ehre, ein Gebirge kennenzulernen, das möglicherweise von vielen unterschätzt wird. Die Pyrenäen sind sehr eigen. Sie sind ganz und gar anders als die Alpen. Sie sind wild und vielerorts ungezähmt. Und genau deswegen werde ich sicher wiederkommen.

Hier geht's zu Anas Blog ANAS WAYS.

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