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In 40 Tagen über die Pyrenäen – Freundschaft in hohen Bergen

Aktuelles

4 Min.

31.07.2018

Foto: Ana Zirner

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Ana Zirner geht alleine vom Mittelmeer bis zum Atlantik über. Auf dem Weg zum höchsten Gipfel der Pyrenäen ist sie aber in Begleitung – und das bleibt auf die überzeugte Einzelgängerin nicht ohne Wirkung.

Ich überspringe vier Tagesetappen und trampe bis in das Skigebiet Port de Bonaigua, von wo aus ich weitergehen will. Ich habe mich dazu entschieden, weil ich sonst immer das Gefühl hätte, dass ich die vier Tage, die ich nach meinem „Notfall“ auf dem Refuge de Fourcat verbracht habe, wieder „reinholen“ muss. Doch Stress ist ja nun nicht der Sinn dieses Projekts.

Durch das Vall de Gerber gelange ich in den Nationalpark Aigüestortes i Estany de Sant Maurici, der sich in den katalanischen Pyrenäen befindet. Hier liegt in jedem Tal mindestens ein kristallklarer See und ich tauche so oft in dem eiskalten Wasser unter, dass ich es kaum zählen kann. Endlich bringe ich es zustande, mir für alles mehr Zeit zu lassen. Ich halbiere eine Etappe, liege an Seen und klettere auf den kantig felsigen Pic d'Amitges. Ich nehme an, dass „Amtiges“ Freundschaft auf Katalanisch heißt, also bleibe ich eine Weile und denke an meine Freunde, alt wie neu. Mir wird mit einer tiefen Dankbarkeit klar, wie viel sie mir bedeuten und wie wichtig sie in meinem Leben geworden sind. Als inzwischen recht eingefleischte Einzelgängerin ist das eine wichtige Erkenntnis für mich.


Zeit zum Nachdenken

Und das Thema begleitet mich weiter: Auf dem Weg hinauf zum Estany de Cap de Llauset lerne ich Lise kennen. Sie stammt aus einer Bergsteigerfamilie in den französischen Alpen, ist ebenfalls allein auf der Haute route pyrénéenne und in derselben Richtung wie ich unterwegs. Außerdem ist sie Bühnenbildnerin, wir arbeiten also im selben Metier. Zwischen uns stimmt die Chemie auf Anhieb – die nächsten Tage verbringen wir gemeinsam und es entsteht eine richtige Freundschaft. Wir lachen, machen Blödsinn, schweigen zusammen und genießen vor allem mit sehr ähnlicher Leidenschaft die Schönheit um uns herum.

Schon kurz nachdem wir uns kennenlernen entscheiden wir gemeinsam auf den Pic d'Aneto (3.404 m), den höchsten Berg der Pyrenäen, zu steigen. Und zwar nicht auf dem überlaufenen Normalweg, sondern von Süden aus, an den Seen Lacs de Coronas vorbei und durch das Tal Col de Coronas hinauf zum Grat. Von dort aus geht es das letzte Stück zum Gipfel über ein ausgesetztes Stück, die „Puente de Mahoma“.

Als wir oben an den Lacs de Coronas ankommen, sind die Wolken noch unentschieden, ob sie heute ein dickes Gewitter auf uns loslassen wollen. Wir finden einen gut geschützten Biwakplatz unter einigen Felsblöcken, der mit „Fenstern“, „Terrasse“ und flachem Untergrund im Innenraum geradezu luxuriöse Bedingungen bietet. Wie im Kino sitzen wir lange völlig euphorisch auf unserer königlichen Terrasse und bestaunen die Landschaft und das ständig wechselnde Wetter. Ein Gewitter kommt nicht, aber wir sehen dabei zu, wie es in einem anderen Tal heruntergeht. Hier, auf 2.700 Metern liegt noch viel Schnee, der an vielen Stellen durch die darauf wachsenden Chlamydomonas nivalis rosa schimmert. Auf den dunkeltürkisenen Seen schwimmen Eisschollen und mit dem wechselnden Licht wirken sie mal gruselig, mal geheimnisvoll und mal fast einladend.

Im Licht der untergehenden Sonne machen wir eine ausführliche Yogasession und ich freue mich darauf, schon Ende August wieder in den Bergen Yoga zu machen. Denn da leite ich auf der Chamanna d'Es-Cha in der Schweiz mit meiner Freundin Sandra zusammen das erste Mal die „Mountain Yoga Sessions“, zu denen ich hier herzlich einladen will.


Auf dem Dach der Pyrenäen

Der Aufstieg am nächsten Morgen geht leichter als erwartet. Mit Steigeisen und Eispickel sind wir recht schnell oben am weißen Gipfelkreuz. Das Wetter ist fantastisch und beschert uns einen großartigen Ausblick. Ich sehe die Gipfel, über die ich schon gegangen bin und auch die, auf die ich mich noch freue. Besonders der Vignemale (3.298 m) lockt mich mit seiner markanten Form. Diese Gipfelmomente machen mir das Ausmaß dieses Projekts auf eine erfüllende Weise deutlich und es ist schön, sie mit Lise zu teilen. Einige Minuten lang genießen wir noch Ruhe auf dem Gipfel, bevor die ersten lauten Gruppen eintreffen.

Ich bin mal wieder erstaunt über die mehr oder weniger bewusste Risikobereitschaft der Leute, die hier völlig planlos herumklettern. Andere bekommen im letzten ausgesetzten Stück zum Gipfel hinüber Panik oder Blockaden und werden mit abenteuerlichen „Schnüren“ und Haushaltsknoten von Freunden gesichert. Ich muss mich zusammenreißen das nicht zu kommentieren, aber es geht mich ja wirklich nichts an. Ich bin aber froh, als wir im Abstieg die Gruppen hinter uns lassen. Der Normalweg führt lange über ein breites Schneefeld und die letzten Reste des spaltenfreien Gletschers.


Projekt Pizza

Als wir unten am Parkplatz sind, haben Lise und ich ein neues Projekt vor uns: Schon seit gestern treibt uns der Appetit auf Pizza an. Wir trampen hinunter nach Benasque, finden unser Ziel und werden nicht enttäuscht – es schmeckt köstlich. Glücklich und satt lassen wir uns in die Hotelbetten fallen, die wir uns heute leisten. Es ist wie der Urlaub vom Urlaub. Kurz bevor ich einschlafe, denke ich daran, dass Freundschaft wirklich das Thema ist, das mich in den Pyrenäen begleitet. Nach Guillaume ist Lise schon die zweite Person, die mir hier nah geht und das fühlt sich richtig gut an. Ich freue mich, dass wir noch zwei gemeinsame Tage vor uns haben.

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