In 40 Tagen über die Pyrenäen – Aufwachen in der Wildnis
Foto: Ana Zirner
Ana Zirner geht alleine vom Mittelmeer bis zum Atlantik über die Pyrenäen. Auf ihren ersten Etappen begegnet sie hilfsbereiten Menschen aus der Region – und findet doch erst in der Wildnis zu sich selbst.
Von Meer zu Meer. Mit gefällt das Bild. In dem kleinen Ort Banyuls-sur-mer angekommen gehe ich natürlich erstmal baden. Als ich danach am Strand sitze und auf dieses Meer hinausschaue, stelle ich mir vor, wie ich in ein paar Wochen wieder am Strand sitzen, dann aber auf ein ganz anderes Meer hinausschauen werde, und dass ich dann um vierzig Tage reicher bin an Erfahrungen und Erlebnissen, die nun vor mir liegen.
Zugegeben, ganz leicht ist mein Start in dieses Projekt nicht. Ich bin schlechter vorbereitet als ich es gerne wäre, ich habe einige wirklich stressige Tage hinter mir und das Packen war schließlich so hektisch, dass ich gerade nicht sicher sagen kann, ob mein Rucksack so perfekt gepackt ist, wie ich das gerne hätte.
Die ersten Tage der Tour haben es mir nicht gerade leichter gemacht: Es war sehr heiß und die staubigen Straßen und der Mangel an Wasser haben mir zugesetzt. Als ich am dritten Tag entschieden habe, mich endlich locker zu machen und ein Stückchen zu trampen, sind mir prompt wunderschöne Begegnungen passiert.
Wegbegleiter
Die Reifen eines Jeeps hinter mir lassen meinen Daumen in seine Richtung schießen. Das Lenkrad fest im Griff hat Maria, um die 50, kräftig, dunkel gefärbte Haare, Blumenbluse. Ihre Hände verraten, dass sie damit arbeiten kann. Während wir die buckelige Straße bergab rattern, reden wir über die Berge, die Maria ebenso sehr liebt wie ich. Wir erzählen uns gegenseitig von unserem Woher und Wohin und schnell haben wir einen guten Draht zueinander gefunden. Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind, aber wir reden über Intuition und die Klugheit des menschlichen Körpers. Wir teilen die Meinung, dass man viel verpasst, wenn man nicht auf die Zeichen des eigenen Körpers hören kann. Maria kennt sich mit Heilpflanzen aus und als ich ihr erzähle, dass ich gerade etwas Schulterschmerzen habe, legt sie eine Vollbremsung auf der steilen Schotterpiste hin und springt aus dem Auto. Mit einem Büschel gelber Blumen kommt sie herein und reicht sie mir. „Tu das drauf“, sagt sie. „Das hilft.“ Es ist Arnika.
Maria erklärt mir, dass Arnika nicht nur wundheilend, desinfizierend und entzündungshemmend wirkt, sondern auch gut gegen Verspannungen und Prellungen hilft, man müsse allerdings eine Tinktur machen. Wie das geht, erzählt sie mir auch, aber so schnell, dass ich leider nicht mitkomme. Ihr Pyrenäen-Akzent macht es nicht leichter.
Maria fährt mich viel weiter, als sie selbst eigentlich fahren will. „Damit du im Schatten stehen kannst“, sagt sie, und ich danke es ihr bei der Bullenhitze von Herzen. Aber ich muss auch hier nicht lange warten.
Ein schnell sprechender und etwas nervös wirkender Mittvierziger nimmt mich mit. „Ich muss nach Hause. Ich bin um sechs Uhr aufgestanden und ich hatte noch keine Zeit zu essen!“ Ich kenne das Gefühl und auch ich bekomme langsam Hunger. „Hast du schon gegessen?“, fragt er mich. „Nein, aber ist schon okay, lass mich einfach irgendwo raus.“ „Nein, du kommst mit, du kannst bei mir essen.“
In seinem kleinen Dorf angekommen essen wir Baguette, Chèvre und Melone und ich traue mich zu fragen wie das hier eigentlich mit den Katalanen und den Franzosen ist. „Phew...“, er zieht die Augenbrauen hoch. „Gut, dass meine Frau nicht da ist – mit ihr habe ich ein Abkommen, dass wir darüber nicht reden...“. Als Stéphane, oder Esteba, wie er eigentlich heißt, jünger war und zum Studium in die Stadt gezogen ist, habe er niemandem gesagt, dass er Katalane sei. Dafür habe man sich damals geschämt. Heute ist das zum Glück anders. Jetzt unterrichtet er auch Mathe auf Katalan. Das kommt nicht bei allen gut an und es gibt Eltern, die sich darüber beschweren. Dass es „kompliziert“ ist, wie Esteba immer wieder betont, merkt man hier überall. An jeder Ortseinfahrt sind zwei Schilder: Rechts steht der Ortsname auf Französisch und links auf Katalan. Dazu steht dann immer „Pays Catalan“, was eine Mischung aus beiden Sprachen ist.
Hilfsbereitschaft
Als nächstes nimmt mich Andres mit, der sehr neugierig ist und viel über meine Tour wissen will. Während ich erzähle, schaue ich aus dem Autofenster nach links hinauf in die Berge. Hier ungefähr müsste jetzt der Pic Canigou sein, auf den ich heute eigentlich steigen wollte. Dass er von dichtem Nebel umhüllt ist, macht es mir etwas leichter, mich nicht zu sehr dafür zu schämen, dass ich ihn links liegen lasse.
Andres fährt mich mit seinem Kombi bis zum letztmöglichen Parkplatz vor dem Refuge de Mariailles, in dessen Nähe ich heute übernachten will. Am Parkplatz will Andres noch gemeinsam mit mir auf die Karte gucken, damit ich auch wirklich weiß, wo ich hinmuss. Mich rührt das, und er erinnert mich an meinen eigenen Vater, besonders als er zwei Wanderern, die gerade herunterkommen, fast stolz erzählt, was ich mache. „Sie hat auch ein Buch geschrieben, das kommt im Oktober in Deutschland raus und dann vielleicht auch bald auf Französisch“, höre ich ihn noch sagen, als ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum hole. Noch lange, nachdem wir uns verabschiedet haben, muss ich darüber schmunzeln.
Aufwachen in der Wildnis
Die folgenden Tage versuche ich meinen Rhythmus zu finden. Es gelingt mir nur schwer, ich fühle mich müde und oft lustlos. Erst der Anstieg zum Gipfel des Pic Carlit weckt mich wirklich auf. Spontan entschließe ich, in dem gut einsehbaren Gelände den normalen Weg links liegen zu lassen. Stattdessen klettere ich über den Grat direkt zum Gipfel, was in dem geriffelten, griffigen Fels unendlich viel Spaß macht. Endlich bringe ich meinen ganzen Körper zum Einsatz, was nach dem vielen Gehgelände der letzten Tage eine wunderbare Abwechslung ist. Auf dem Gipfel des Pic Carlit, habe ich schließlich das Gefühl, zum ersten Mal wirklich ausatmen zu können. Der Himmel ist noch morgendlich rosa, außer mir ist noch niemand hier und der Weitblick ist wunderschön. Unten liegt ein kleiner See, in dem große Eisbrocken schwimmen. Ein bizarres Bild, das an den Nordpol erinnert. Die ganze Landschaft ist weiß gesprenkelt von kleinen Schneefeldern.
Ich bleibe eine ganze Weile auf dem Gipfel und halte meine Nase in die Sonne. Es tut gut, nichts zu tun. Bergab renne ich hier zum ersten Mal und genieße diese fordernde Art abzuschalten und mich nur auf das zu konzentrieren, was unmittelbar vor mir liegt. Mein Körper führt, er ist darin jetzt besser als meine Gedanken.
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