Ana Zirner im Kaukasus: Ja, es kommt immer anders, als man denkt
Foto: Ana Zirner
Ana Zirner hat sich – nach langer Pandemie-bedingter Unterbrechung – ein neues Ziel gesetzt: Sie durchwandert gerade den Großen Kaukasus von Ost nach West. Unterwegs bloggt die umtriebige Chiemgauerin für Bergwelten. In Teil 1 der Reihe lässt sie die ersten aufregenden, unbequemen, aussichtsreichen und teils anstrengenden Tage ihrer Anreise und Ankunft Revue passieren, nimmt uns mit durch den Lagodekhi Nationalpark und teilt wichtige Neuigkeiten mit uns, die nicht nur ihre Tour, sondern ihr ganzes Leben verändern werden.
Ich sitze in einem dschungelartigen Garten, auf meiner Schulter hat es sich ein Zweig der üppigen Weide bequem gemacht, die mir an diesem heißen Tag angenehmen Schatten spendet. Der Garten liegt – umgeben von Weinfeldern – in dem kleinen Dorf Kvareli, in der georgischen Region Kachetien. Das Licht ist weißlich gelb, etwas staubig, es surren die Bienen und die Hitze flirrt. Hier mache ich heute Pause und lasse die letzten Tage Revue passieren.
Eine lange Reise ins Gewitter
Heute ist es zwei Wochen her, dass ich in Oberaudorf in den Zug gestiegen bin. Es folgten vier aufregende, unbequeme, aussichtsreiche und teils anstrengende Reisetage. Aufgrund des gerade dieser Tage wieder auf tragische Weise deutlich gewordenen Klimawandels kann ich es nicht mehr vertreten, eine Flugreise zu unternehmen. So habe ich mich für die Reise auf dem Landweg entschieden. Mit dem großen Mehrwert, durch diese langsamere und bewusstere Fortbewegung ein wirkliches Verständnis für die Distanz zwischen meiner Heimat und dem Ort meiner Tour zu gewinnen. Und mit viel Zeit, um aus dem Fenster zu gucken und die ungarische, serbische, bulgarische und türkische Landschaft anzuschauen.
Nachdem ich zunächst in der georgischen Hauptstadt Tiflis und dann in Lagodekhi an der Grenze zu Aserbaidschan angekommen war, verzögerte ein wilder Sturm mit sintflutartigem Regen und wütenden Gewittern meinen Aufbruch um ein paar Tage. Umso erfüllter von Glück war ich, als ich schließlich in Gesellschaft von den Pferden Nisha und Borjan, sowie Borjans sechs Wochen altem Fohlen und dem freundlichen alten Pferdeführer Tamaz über die Baumgrenze hinaustrat und ich die unendliche grüne Weite des Kaukasus tief einatmen konnte.
Die Landschaft ist genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Nur dass es natürlich viel tiefgreifender ist, sie nun mit allen Sinnen zu erleben. Man möchte wie der Wind sein, um die blühenden Wiesen streicheln zu können und die grünen Grate entlang zu huschen. Man möchte eine Brise sein, um die Oberfläche der kleinen Seen, die wie Augen der Erde eingebettet liegen, zum Kräuseln zu bringen.
„Atschuuu!“
Die Idee, mit den Pferden unterwegs zu sein, kam recht spontan. Als ich im überaus freundlichen kleinen Office des Lagodekhi Nationalparks angekommen war, standen draußen, für andere Touristen gesattelt, die Pferde. Ihre Wärme zog mich an und das zahnlückige, warme Lächeln von Tamaz, dem alten Pferdeführer, hat mich dann überzeugt. Keinen Rucksack tragen müssen, das fand ich auch nicht schlecht, das gebe ich gerne zu. Und ich habe es keinen Moment bereut.
Meine erste Nacht unter dem kaukasischen Sternenhimmel war so schön, dass ich kaum schlafen konnte. Ein Wildschwein rumorte in der Gegend herum, sein tiefes Schnaufen klang auf bizarre Weise lächerlich angestrengt. Der Straßenhund, der uns seit dem Tal gefolgt war, gefiel sich offenbar in der lautstarken Rolle des Beschützers.
Am Morgen das Lächeln von Tamaz. „Sleep sleep good?“ „Yeeees!“ „We go?“ „Yes! Let’s go!“
„Atschuuu“, so trieben wir die kräftigen kleinen Pferde an und ich war beeindruckt, wie sie die teils steilen, rutschigen oder felsigen Pfade meisterten. Weiter und weiter ging es, entlang der georgisch-russischen Grenze. Manchmal tauchte unvermittelt ein Grenzposten auf, jedes Mal wurden Pass und Permit ausführlichst kontrolliert. Viele Menschen kommen da offensichtlich nicht vorbei, da kosten die Soldaten die Abwechslung sicher aus. Gefährlich ist es hier nicht, aber man sollte doch vermeiden, versehentlich die Grenze nach Russland zu überqueren, denn sonst könnte man von aufwändigen und möglicherweise kostspieligen Verhandlungen aufgehalten werden.
Wilderer im Nationalpark
Die weitgehend unberührte Region steht unter striktem Naturschutz. Die Leidenschaft und Konsequenz, mit der man im Nationalparkzentrum von der eindeutigen Priorität von „conservation over tourism“ spricht, ist beeindruckend. Tatsächlich wurde seit Gründung des Parks keine zusätzliche Infrastruktur am Berg geschaffen. Nach wie vor gibt es nur vier gekennzeichnete Wanderwege. Ich denke wieder an meine Erlebnisse am Dachstein, wo für den Tourismus Höhlen in den Nährboden des Gletschers gesprengt werden, und mich schaudert. Aber auch hier lauern Gefahren für die Natur: Es gibt große Probleme mit lokalen Wilderern, die sich gut auskennen.
Ein paar Tage später, als ich wieder allein unterwegs war und mich entlang des kaum sichtbaren Pfades durch das Dickicht im Wald schlug, traf ich auf zwei der unsympathischen Gesellen. Ein paar Schritte weiter markierte ich ihren Standort auf dem GPS-Gerät und sobald ich wieder Netz hatte, rief ich im Nationalparkhaus an und berichtete von meiner Begegnung. Was dann begann, nennen die Ranger hier eine „Razzia“. Und tatsächlich: Ein paar Tage später konnten sie die beiden verhaften. Nur ob es zu einer Verurteilung kommt, das ist noch unklar. Sie hatten ihre Waffen versteckt und so wird es schwierig, ihnen etwas nachzuweisen. Man hat versprochen, mich über die Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.
Für mich geht es jetzt weiter nach Omalo, von wo aus ich dann den bekannten, aber sicher wunderschönen Trek nach Shatili beginne. Dann geht es weiter nach Juta und schließlich nach Stepanzminda. Aber das liegt noch mehr als zwei Wochen Fußmarsch entfernt.
Orsoli heißt zwei-seelig
Aber bevor es weitergeht, mache ich noch mehr Pause. Denn ich brauche auf dieser Tour mehr Pausen, als ich es sonst gewohnt bin. Der Grund dafür ist aktuell etwa sieben Zentimeter groß und macht mich sehr glücklich. Ich bin im vierten Monat schwanger. Damit bestätigt sich auf völlig unerwartete, aber sehr passende Weise der Titel des Interviews, in dem ich dieses Projekt vorgestellt habe: „Es kommt immer anders, als man denkt!“
Ja, natürlich verändert das alles. Natürlich kann ich die Durchquerung nicht in der Art und Weise durchführen, wie ich es geplant hatte. Ich lasse die Gipfel weg, da ist die Luft zu dünn für mein Baby. Ich bin noch defensiver unterwegs, viel meiner Aufmerksamkeit geht nach innen und was da passiert, entscheidet über meine äußeren Handlungen. Aber ich bin gut vorbereitet, auch auf die anderen Umstände. Ich habe im Vorfeld großartige Beratung von Höhenmedizinerinnen erhalten und meine Frauenärztin hat mich von Anfang an in der Entscheidung, die Tour nicht abzusagen, bekräftigt. Die Hauptsache ist: Es geht mir gut, es geht dem Kind gut, ich bin gesund und ich fühle mich Woche für Woche fitter. Auf Georgisch heißt schwanger „orsoli“ und das bedeutet „zwei-seelig.“ In dieser Zweiseeligkeit genieße ich den Kaukasus in vollen und tiefen Atemzügen.
Ich freue mich, wenn ihr Lust habt mich auch anhand meines Videotagebuchs zu begleiten. Außerdem berichte ich auf Instagram und Facebook. Und im Herbst 2022 gibt es dann auch wieder ein Buch.
Weitere Infos: www.anasways.com
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