Ana Zirner im Kaukasus: Rund um den Kasbek
Ana Zirner ist auf ihrer Kaukasus-Durchquerung in der Mitte angelangt – und dort wartet ein besonders mystischer Berg auf sie. Doch auch die versteckten Täler entlang der Georgischen Heerstraße entfalten einen besonderen Zauber.
Die nächste Etappe auf meinem über zwei Monate langen Weg von Ost nach West, quer durch den Großen Kaukasus, liegt im Schatten des majestätischen Vulkanbergs Mount Kasbek (georgisch: Eisgipfel). Mit seinen 5.047 Metern ist er der dritthöchste Berg Georgiens und der achthöchste des gesamten Gebirges. Auf meiner ursprünglich geplanten Route wäre es der erste Fünftausender gewesen, den ich besteigen wollte. Nun umwandere ich ihn stattdessen durch die umliegenden Täler, denn ich bin schwanger und die große Höhe würde meinem ungeborenen Kind nicht gut bekommen.
Veränderte Umstände
Zugegeben, anfangs hat es mich immer wieder sehr frustriert, dass meine Tour hier durch die Schwangerschaft so arg verändert wird. Und bis heute habe ich mich nicht vollends an die Tatsache gewöhnt, dass ich nun einmal nicht zu den Frauen gehöre, deren Fitness mit dem vierten Monat zurückkehrt. Vielmehr ist eher das Gegenteil der Fall. Schon bei einfachen Passagen bergauf schnellt mein Puls bald in die Höhe und ich muss viele Pausen einlegen, wenn ich weit wandern will.
Aber ich versuche das Positive zu sehen: Anstatt daheim auf der Couch zu liegen, darf ich durch unglaublich schöne Landschaften laufen, habe wunderbare, lustige und berührende Begegnungen mit den Menschen hier und lerne jeden Tag Neues über dieses spannende Land zwischen den Welten. Außerdem, und dafür wächst meine Dankbarkeit täglich, habe ich genug Energie, um jeden Tag aufs Neue weite Strecken zu Fuß zurücklegen. Freilich, ohne viele Höhenmeter zu machen und mit mehr Pausen als gewöhnlich, aber es geht. Und das Beste ist: Die Landschaft hier bietet für diese Art zu wandern wirklich unendlich viele phänomenal schöne Möglichkeiten.
Einige dieser Möglichkeiten liegen im unmittelbaren Umfeld des Kasbek, das ich nun von Osten aus erreicht habe. Letzte Woche habe ich mich dem Chaukhi-Massiv noch gemeinsam mit meiner Mutter von Osten aus angenähert, jetzt wandere ich von Westen, von dem kleinen Ort Juta aus, auf ihn zu. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass ich die hohen Pässe wegen der Schwangerschaft umfahren muss, aber es ist schön, auf diese Weise trotzdem einen guten Teil der Wanderpassagen auf meiner ursprünglichen Route beibehalten zu können.
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Frauenfreundschaft und bunte Menschen
Hier am Kasbek werde ich für ein paar Tage von Franzi begleitet. Sie kommt aus Deutschland, lebt aber in Tiflis. Wir haben uns über Social Media kennengelernt und spontan entschieden, ein paar Tage zusammen zu gehen, was sich schnell als sehr gute Idee erweist. Wir schlafen unter freiem Himmel und müssen nur einmal unter ein Vordach vor dem Regen flüchten. Wir wandern endlos lang durch Täler und lassen uns von den natürlichen Wundern am Weg begeistern. Wir liegen im Gras, reden über Gott und die Welt und die Männer. Und wir entdecken amüsiert die Parallele zwischen den jungen Männern, die hier auf ihren schnellen Pferden immer wieder an uns vorbei jagen, und den Halbstarken auf Mopeds in unseren bayerischen Heimatdörfern.
Zunächst erkunden wir dabei die Gegend um Juta, und ich bin anfangs noch überrascht, wie viele bunt gekleidete Leute hier auf einmal unterwegs sind. Besonders rund um das geradezu luxuriös anmutende Zeta Camp oberhalb von Juta tummeln sich die (Berg-)Touristen, und es wird deutlich, dass die Region diesbezüglich weit erschlossener ist als alles, wo ich im Kaukasus bisher war. Freilich, im Vergleich zu den Alpen sind es immer noch wenige Gäste.
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Im Städtchen Stepanzminda (Kazbegi) am Fuße des Kasbek herrscht ein anderer Ton. Hier weiß man um das Geschäft, das Touristen bedeuten. Überall wird uns die Fahrt hinauf zur berühmten Gergeti-Kirche angeboten. Dabei dauert der Fußweg nicht mehr als eine knappe Stunde und ist wunderschön. Als wir am nächsten Tag die Anhöhe bei der Kirche erreichen und in Richtung Kasbek schauen, hüllt sich sein Gipfel weiterhin in Wolken. Und hartnäckig, wie solch stolze Berge oft sind, bewahrt sich auch der Kasbek sein Geheimnis und erlaubt mir nicht einmal einen flüchtigen Blick auf seine Krone. Ich nehme es symbolisch und danke ihm innerlich. Denn mit seiner Verhüllung lindert er doch die mich noch immer zwickende Enttäuschung, dass ich seinem Gipfel in diesem Jahr keinen Besuch abstatten kann.
Mythologischer Fels
Ein wichtiger Aspekt, der mich schon lange an diesem großen Gebirge fasziniert, ist seine Bedeutung in der von mir sehr geliebten griechischen Mythologie. Im Angesicht der noch heute hier zu findenden Weite und Wildnis fällt es mir leicht, mir die gewaltigen Geschichten und dramatischen Zusammenhänge aus der Welt der Titanen und Götter vorzustellen. An den Gipfel des Kasbek wurde laut den Überlieferungen einst der unsterbliche Titanensohn Prometheus gefesselt. Prometheus, ein Freund der Erde und aller darauf lebenden Wesen, hatte den Göttern das Feuer geraubt und es den Menschen gegeben. Götterfürst Zeus, bekannt für seine drakonischen Strafen, ließ ihn daraufhin von Hephaistos an die sturmumtosten Felsen des Vulkans schmieden. Aber damit nicht genug. Zeus schickte einen Adler, der jede Nacht von seiner tagsüber immer wieder nachwachsenden Leber naschte. Die unermesslichen Leiden des Helden dauerten über 30.000 Jahre, bis er endlich von Herakles befreit wurde.
Der Kasbek liegt in etwa in der Mitte des Großen Kaukasus, zwischen Kaspischem Meer im Osten und Schwarzem Meer im Westen. Unmittelbar an ihm vorbei verläuft die einzige befahrbare Verkehrsstraße („Heerstraße“), die Russland im Norden und Georgien im Süden miteinander verbindet. Bevor wir weiter nach Westen, und bis zur Grenze von Südossetien gehen, statten wir aus Neugier der Grenze zu Russland noch einen Besuch ab. Gestank und unzählige LKWs, die sich auf der Passstraße schier endlos aneinanderreihen, sind der prägnant bleibende Eindruck.
Truso – das Tal der natürlichen Wunder
Also fliehen wir schnell zurück in die Natur. Die Wanderung ins Truso-Tal gehört wohl zu den landschaftlich schönsten Erlebnissen auf meiner bisherigen Tour durch den Kaukasus. Das liegt besonders an den vielen Farben, die uns am Weg begegnen. Das orange leuchtende vulkanische Gestein, die schwefel- und mineralhaltigen, strahlend blau blubbernden Seen und das saftige Grün der Wiesen, hinterlassen bleibende Eindrücke und oft bleiben wir einfach staunend stehen.
An der Grenze zur Republik Südossetien, die wir am Ende des Tals erreichen, liegt auch die Halbzeit meiner Tour. Ab hier muss ich ein großes Stück des hohen Kaukasus mit dem Auto umfahren, denn in die umkämpfte Region kann ich nicht einreisen. Südossetien gehört zwar völkerrechtlich zu Georgien, ist de facto jedoch unabhängig und wird in den Augen der Georgier von Russland besetzt.
Ich freue mich darauf, westlich von Südossetien meinen Weg in ein paar Tagen wieder aufzunehmen. Und dort wartet in der touristisch kaum erschlossenen Region Racha sicherlich wieder viel Wildnis auf mich. Ich werde im nächsten Beitrag davon berichten.
Ich freue mich, wenn ihr Lust habt, mich auch anhand meines Videotagebuchs zu begleiten. Außerdem berichte ich auf Instagram und Facebook. Und im Herbst 2022 gibt es dann auch wieder ein Buch.
Weitere Infos: www.anasways.com