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Wandern auf den höchsten Gipfel Taiwans

Reise

8 Min.

30.03.2022

Foto: Martin Schneider

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Der 3.952 m hohe Yushan, auf Deutsch Jadeberg, schmückt in Taiwan sogar die Rückseite der Geldscheine. Martin Schneider lebt seit 2020 auf der fernöstlichen Insel und wollte von ihrem höchsten Punkt aus die Sonne aufgehen sehen.

„Stell dir eine Kette vor, an der drei Jadesteine aneinandergehängt sind.” Es braucht etwas Fantasie, den Beschreibungen meiner Chinesisch-Lehrerin zu folgen. 玉, auf Deutsch als kurzer „ü“-Ton ausgesprochen, bedeutet Jade. Kombiniert mit dem Zeichen für Berg 山 bekommen wir Yushan oder Jadeberg.

Taiwans höchster Gipfel sieht im Winter mit seiner weißen Schneedecke, wieder mit einer kleinen Portion Fantasie, wie ein Jadestein aus. Der Berg ist der Stolz der Taiwaner, er schmückt die Rückseite des Tausend-Dollar-Scheins und gibt einer der größten Banken im Land ihren Namen, weshalb mir die beiden Schriftzeichen auch bald an jeder Straßenecke auffallen.

Meine Reise beginnt in den frühen Morgenstunden am Hauptbahnhof von Taipeh. Es ist Ende Januar. Mit dem Hochgeschwindigkeitszug legen wir die 250 Kilometer lange Strecke entlang der Westküste nach Chiayi bequem in eineinhalb Stunden zurück und erreichen mit dem Bus wenig später den alten Bahnhof im Zentrum der Stadt. Dort wartet als Kontrastprogramm die historische Alishan-Waldbahn. Während der japanischen Besatzungszeit für den Holztransport aus den Bergen um Alishan errichtet, tuckert die Bahn heute als Touristenattraktion durch vier verschiedene Klimazonen von 30 auf über 2.000 Meter Seehöhe.


Durch Teefelder ins Gebirge

Während die meisten Besucher die gesamte Strecke zurücklegen, nehmen meine Partnerin und ich uns Zeit für ein paar Zwischenstopps. Als unser Zug in Liyuanliao anhält, kommt es beinahe zu Handgreiflichkeiten, so überzeugt ist eine der einheimischen Reisenden, dass wir hier im Nirgendwo doch garantiert nicht aussteigen wollen. Nach einiger Überzeugungsarbeit hieven wir unsere Rucksäcke aus dem Abteil und machen uns einer hügeligen Nebenstraße folgend auf den vier Kilometer langen Weg zu einer Teefarm in Meishan, unserer Unterkunft für die erste Nacht.

Wir sind sofort hin und weg von der Landschaft, die wir zuvor vom Zug aus nur erahnen konnten: Endlose Felder aus Tee und Palmen schmücken die Hügel in verschiedensten Grüntönen. Der hier angebaute Oolong-Tee wird von Tee-Liebhabern in aller Welt geschätzt und wir bekommen von unserer Gastgeberin Dora sogleich eine köstliche Kostprobe.

Nach einer Nacht auf einer weiteren Teefarm erreichen wir das malerische Eisenbahndorf Fenqihu und schließlich das Besucherzentrum in Alishan. Wir wandern durch den Wald zu einer Lichtung und machen ein kleines Picknick mit Blick in den Sonnenuntergang.

Am nächsten Morgen starten wir um 4 Uhr früh hinauf zum 2.663 Meter hohen Datashan, dem höchsten Gipfel im Alishan-Nationalpark, und genießen, abseits der Besuchermassen, einen sagenhaften Sonnenaufgang – der Jadeberg schimmert da schon am Horizont.

Der Geruch von Zypressen, Kiefern und Tannen liegt in der frischen Bergluft. Manche dieser Riesen sind sechzig Meter hoch, über zweitausend Jahre alt und als Heilige Bäume bekannt. Am Rand des Waldes stehen die Kirschbäume in voller Blüte.

Für den zweiten Teil meiner Reise mache ich mich alleine auf den Weiterweg zum Jadeberg. Ausgangspunkt ist ein Gästehaus in Shangdongpu, 30 Minuten von der Alishan-Busstation entfernt.

Manche meinen, der schwerste Teil der Besteigung sei es, eine der limitierten Genehmigungen für die Übernachtung auf der Paiyun-Hütte zu ergattern, die den meisten Wanderern als Zwischenstopp dient. Als Alternative habe ich einen Platz auf der Yuanfeng-Hütte auf 3.694 Metern reserviert. Genauer gesagt erlaubt mir mein Permit auf einem Plateau vor der Hütte ein Zelt aufzuschlagen.
In der leisen Hoffnung, dass mir die Wettergötter einen wolkenlosen Sonnenaufgang gönnen, breche ich mit Stirnlampe bewaffnet kurz nach Mitternacht auf.


Dem Sonnenaufgang entgegen

Vom Gästehaus wandere ich zunächst einer Straße entlang zum Beginn des Tataka-Steigs. Mit dem Shuttle-Bus wäre die Strecke in wenigen Minuten zurückgelegt, allerdings bin ich dafür ungefähr fünf Stunden zu früh unterwegs. Danach führt der 8,5 Kilometer lange Steig sanft hinauf zur Paiyun-Hütte. Ich konzentriere mich auf die wenigen Meter, die von meiner Stirnlampe ausgeleuchtet werden und setze gleichmäßig einen Fuß vor den anderen.

Von der Hütte benötige ich eine weitere Stunde zum Gipfel. Oberhalb der Waldgrenze wird es ausgesetzt, windig und kalt und die Metallgriffe, Seile und Sicherungen sind mehrere Zentimeter dick mit Raufrost behangen. Technisch ist der Aufstieg einfach, lediglich die letzten 200 Meter erfordern ein wenig Vorsicht.

Es ist mein zweites Mal am Gipfel, die Aussicht ist wie beim letzten Mal: eher nicht vorhanden. Nur vereinzelt öffnet der Wind ein kleines Fenster in der Wolkendecke. Die Wettervorhersage für den nächsten Tag ist besser und bis dahin ist das beste Rezept gegen die Kälte in Bewegung zu bleiben. Ich steige also bald hinab und mache mich auf den Weg Richtung Süden zur Yuanfeng-Hütte.

Im Kampf gegen den Wind gelingt es mir, dort nach einigen Mühen mein Zelt aufzuschlagen. Da der Tag noch jung ist, entscheide ich mich mit leichtem Gepäck weiter zum Südgipfel zu wandern. Es ist eine einsame, aber schöne Tour, einem Bergkamm folgend durch die winterliche und nebelverhangene Landschaft. Eine kleine Kletterei führt zum Abschluss auf den 3.844 Meter hohen Gipfel. Aussicht gibt es weiterhin keine.

Als ich zu meinem Zelt zurückkomme, lädt mich eine Gruppe taiwanesischer Bergsteiger ein, mit ihnen auf der Hütte das Chinesische Neujahrsfest zu feiern. Es sei außerdem noch ein Schlafplatz frei, sie wären besorgt, dass es mir sonst über Nacht zu kalt werden würde. Ein wenig enttäuscht, mein Zelt umsonst aufgebaut zu haben, aber auch erleichtert, es ein paar Grad wärmer zu haben, nehme ich das Angebot dankend an.

Wir stoßen mit Whisky auf das neue Jahr an. Keine fünf Minuten später reißt auch die Wolkendecke auf. Ich ändere also meinen Plan, am nächsten Morgen lediglich ins Tal abzusteigen, und versuche mit der Aussicht auf einen zweiten Gipfeltag ein wenig Schlaf zu bekommen.


Chinesisches Neujahr und ein neuer Versuch

Bei sternenklarem Himmel breche ich um halb sechs auf. Von der Yuanfeng-Hütte führt ein direkter, etwas ausgesetzter Pfad zum Hauptgipfel. In der Dunkelheit, mit schwerem Gepäck und nach mäßig erholsamem Schlaf, steige ich zunächst lieber Richtung Paiyun-Hütte ab, deponiere meinen Rucksack auf halbem Weg unter einem Felsvorsprung und folge den anderen Wanderern auf der Hauptroute zum Gipfel.

Von der Last meines Gepäcks befreit, fliege ich im Morgengrauen förmlich nach oben und erreiche bald die Fengkou („Windtunnel“) genannte Schlüsselstelle, die mit einer dystopisch anmutenden Metallkonstruktion gesichert ist: Dieser knapp 50 Meter lange Tunnel schützt vor Steinschlag ebenso wie vor dem eisigen Wind, der einen hier sonst wahrscheinlich vom Berg blasen würde.

Bei klarem Himmel eile ich im Wettlauf mit dem Sonnenaufgang Richtung Gipfel. Die letzten zweihundert Meter sind noch einmal steil, ausgesetzt und kalt – mit der Aussicht auf den Sonnenaufgang hält mich aber nichts mehr zurück. Ich nehme die letzten Schritte und werde mit einem beeindruckenden 360-Grad-Panoramablick belohnt. Die Morgensonne taucht die restlichen Yushan-Gipfel sowie die Berge des Zentralmassivs in ein kräftiges, warmes Orange. Ich suche mir ein windgeschütztes Plätzchen und genieße die Sonnenstrahlen in meinem Gesicht, glücklich beim dritten Mal endlich gutes Wetter zu haben.

Als ich am Rückweg an einer Weggabelung Richtung Nordgipfel blicke, entscheide ich mich für einen Abstecher. Das Raueis vom Vortag ist geschmolzen, aber der starke Wind bläst weiterhin gnadenlos zwischen zwei Felswänden den Steig bergab. Ich gehe langsam und vorsichtig nach unten und versuche den Gedanken daran zu verdrängen, dass ich am Rückweg gegen den Wind wieder aufsteigen muss.

Nach diesem kurzen Abschnitt ist es allerdings eine leichte, meist windgeschützte Wanderung durch den Wald hinauf zum 3.858 Meter hohen Nordgipfel und der dort errichteten Wetterstation.

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Ein Café auf 3.858 m

Das Personal arbeitet für jeweils einen Monat am Stück. Im Sommer wandern die Mitarbeiter hinauf, im Winter werden sie mit dem Hubschrauber eingeflogen. Ich unterhalte mich mit einem der Arbeiter, und er lädt mich ins 3858 cafe ein, einer kleinen Bar, die er und seine Kollegen aus recycelten Materialien gebaut haben. Es ist der letzte Tag des Monats, morgen geht es für ihn, pünktlich zu Chinesisch Neujahr, zurück ins Tal.

Der Blick vom Nordgipfel auf das restliche Yushan-Massiv ist atemberaubend, nicht umsonst ziert er die Rückseite der Tausend-Dollar-Note. Vor dieser Aussicht genieße ich in Ruhe und unter strahlendem Sonnenschein meinen Kaffee und will gar nicht mehr weg.

Schlussendlich mache ich mich doch auf den Rückweg. Mit letzter Kraft kämpfe ich mich zum „Windtunnel“ hinauf und wandere dann den knapp elf Kilometer langen Weg zurück zum Beginn des Tataka-Steigs.

Unterwegs begegne ich einem seltenen Exemplar des „National-Vogels“ Taiwans, dem blauschwarzen Mikadofasan mit seiner charakteristischen roten Augenpartie. Neben dem Jadeberg, schmückt auch er die Rückseite des Tausend-Dollar-Scheins. „Was für ein passender Abschluss!“, denke ich mir und nehme die letzten Kehren hinab zur Straße.


Nicht nur Tee - Alishan Kaffee

Nach einer weiteren Nacht im Dongpu-Gästehaus, mache ich mich auf den langen Heimweg. Ein letzter Abstecher führt mich zurück nach Fenqihu. Taiwan liegt am nördlichen Rand des Kaffeegürtels und in der Höhenlage von Alishan wird neben Tee auch Kaffee angebaut.

In einer ruhigen Seitenstraße, ein paar Minuten vom Bahnhof entfernt, trocknet der Besitzer eines Kaffeegeschäfts seine Bohnen. Eine Tasse schwarzer Kaffee ist der lohnende Abschluss für eine herrliche Wanderwoche. Als Dessert gibt es einen der beliebten Donuts – vor dem Verkaufsstand hat sich bereits eine lange Schlange gebildet.

Als ich ein paar Stunden später mit der Alishan-Waldbahn in Chiayi ankomme, höre ich auf der Straße vor dem Bahnhof jemand meinen Namen rufen. Alex, den ich tags zuvor auf der Yuanfeng-Hütte getroffen habe, winkt mir freudig aus seinem Auto zu. Wir tauschen unsere Kontakte aus und verabschieden uns herzlich.

Drei Stunden später bin ich zu Hause in Taipeh. Kurz vor Mitternacht falle ich müde ins Bett, schlafe sofort ein und träume von meinem nächsten Bergabenteuer in Taiwan.


Infos und Adressen: Wandern im Yushan-Gebirge, Taiwan

Beste Jahreszeit: Die beste Jahreszeit für eine Yushan-Gipfeltour ist im Oktober und November, nach der Taifun-Saison. Alternativ ist auch eine Winterbesteigung (Dezember und Jänner) attraktiv, da es zu dieser Jahreszeit den wenigsten Niederschlag gibt. Allerdings muss man auch mit eisigen Bedingungen rechnen – in diesem Fall sind an manchen Stellen Steigeisen empfehlenswert.

Flüge: Mit Umstieg ist Taiwan mit einer Vielzahl von Airlines erreichbar. Direktflüge gibt es (derzeit nur unregelmäßig) mit EVA Air von Wien nach Taipeh.

Hinkommen: Das Alishan-Besucherzentrum erreicht man am bequemsten mit dem Hochgeschwindigkeitszug (von Taipeh 1,5 Stunden bis Chiayi) und Bus 7329 (2,5 Stunden). Zwischen Chiayi und Shitzulu lohnt sich als langsamere Alternative die Alishan-Waldbahn. Zum Ausgangspunkt des Steigs ist es dann noch eine gute halbe Stunde mit Bus 6739 (nur zwei Mal täglich, Haltestelle Shangdongpu). Alternativ kann man die Linie 6739 auch vom Sonnen-Mond-See in Nantou aus nehmen (1,45 Stunden bis Shangdongpu). Mit dem eigenen Auto braucht man von Taipeh – bei gutem Verkehr – knapp 4 Stunden.

Essen und Schlafen: Auf dem Weg lohnt sich ein Stopp in Fenqihu für Donuts und Kaffee. Wer mehr Zeit hat, sollte unbedingt die Teefelder in Alishan erkunden, zum Beispiel vom Look Tea House in Meishan aus.

Eine günstig gelegene Unterkunft für die Besteigung des Jadebergs ist die Dongpu Lodge (Schlafsäle mit Stockbetten, 5 Gehminuten von der Haltestelle Shangdongpu). Von hier aus erreicht man den Tataka-Steig bequem per Shuttle-Bus (ca. 3 Euro) oder in einer knappen Stunde zu Fuß.

Über den Autor:

Martin Schneider wurde 1984 in Salzburg geboren und wuchs dort mit Blick auf den Untersberg auf. Nach drei Jahren in Singapur lebt und arbeitet er seit 2020 als Softwareentwickler in Taiwan.
Hier geht es zu seinem Blog: www.grainsofsand.at.