Li-song Hotspring: Eine versteckte Oase im Dschungel
Foto: Markus Kirchgessner
von Martin Foszczynski
Taiwan ist mehr als nur der Hersteller von Elektrogeräten. Bergwelten-Redakteur Martin Foszczynski erkundet die fernöstliche Insel und berichtet von ihren Naturschätzen. Im Osten entdeckt er mitten im Dschungel eine heiße Quelle, die nur in Indiana-Jones-Manier, dafür aber mit Flipflops zu erreichen ist. Ein echtes Outdoor-Abenteuer.
Chious Gesicht wäre uns Motivation genug gewesen. Wir hätten immer nur an sein Gesicht denken sollen, als wir uns über glitschige Wurzeln abseilten, durch den eiskalten Fluss wateten und barfuß an spitzen Felsen entlangkletterten. Das hollywoodtaugliche Gesicht eines Mittvierzigers, halb Keanu Reeves, halb Dwayne „The Rock“ Johnson.
Chiou ist 60, wie er uns nach vollendeter Halbtagestour beim Plausch vor seinem Hostel mit angeschlossenem Supermarkt verrät. Da war uns plötzlich klar, dass dieser Mann – ein Angehöriger des indigenen Bunun-Bergvolks – regelmäßig in einem Jungbrunnen baden muss. Und vielleicht ist es ja genau jene versteckte heiße Quelle mitten im Dschungel, zu der er uns in den Stunden davor geführt hat?
Schon die Anfahrt zur Li-song-Quelle (Taitung District), wohl eine der faszinierendsten natürlichen Quellen Taiwans, hat es in sich. Eine Baustelle auf dem immer wieder von Felsstürzen ramponierten Southern Cross-Island Highway zwingen uns aus dem Bus in einen wendigeren Pickup. Hinten auf der Ladefläche sitzend klatschen mir immer wieder feuchte Äste ins Gesicht, während ich überlege, wie tief man über die mit Nebelsuppe gefüllten Abhänge zur Rechten wohl stürzen würde.
Ihre Abgeschiedenheit macht mit Sicherheit auch den Reiz der Li-song-Quelle aus. Auf Portalen wie TripAdvisor finden sich bereits zahlreiche Bewertungen und Erlebnisberichte. Dass sich der Geheimtipp herumspricht, wird am Beginn des Trails am deutlichsten: Wie eine lange Reihe tibetischer Fähnchen hängen dort mehr oder weniger durchgescheuerte Textilhandschuhe auf Seilen. Wer sie dort schweißnass zum Trocknen ablegt, hat es hinter sich. Wer ein halbwegs annehmbares Paar findet und sich überstreift, dem steht das Abenteuer noch bevor. Man wünschte, sie könnten sprechen.
Seile statt Stöcke
Seile begleiten den gesamten Trail zum Fluss hinab und erweisen sich schon bald als äußerst hilfreich. Links und rechts am abschüssigen Pfad entlang gespannt, geben sie auf dem matschigen, wurzeligen Untergrund Halt und ersetzen perfekt Nordic-Walking-Stöcke. Die steileren Passagen im letzten Abschnitt wären ohne Taue und Strickleitern ohnehin nicht zu meistern. Man fragt sich, ob allen Li-song-Ausflüglern bewusst ist, dass sie sich hier über Steilstufen und Geröll abseilen müssen. Die zwei durchgestylten Outdoor-Mädels – Studentinnen aus Taipeh, wie sich später herausstellt – meistern es jedenfalls bravourös.
Am Fluss angekommen, macht sich Chiou bereits ans Kochen. Er hat hier, mitten im Blockwerk des Ufers, ein kleines Basislager errichtet – bestehend aus Tarp und Feuerstelle. Für uns heißt es Klamotten ausziehen und sich über das Schuhwerk für den weiteren Weg durch den Canyon Gedanken machen. Während die meisten barfuß durch den Fluss waten und anschließend ebenso über die Felsen am gegenüberliegenden Ufer klettern, lege ich meine Hotel-Flipflops an.
Mit Flipflops ins Shangri-La
Eigentlich ein Wunder, dass ich den ersten Schlapfen erst kurz vor dem Ziel verliere. Dort gilt es nochmals eine Flussstelle zu durchwaten. Das Wasser steht mir bis zum Hals, als er sich loslöst und vor meinen Augen stromabwärts ins ewige Nirwana davontreibt (in Wirklichkeit bleibt er in einem Strudel hängen und kann später geborgen werden).
Egal – hier hat man ohnehin nur noch Augen für die Quelle, die bereits einige Zeit davor wie eine surreale Oase hinter den Felsen zum Vorschein kam. Ein kleines Shangri-La, mitten im Dschungel. Das Wasser plätschert an und aus den mit buntem Tropfstein bewachsenen Grottenwänden herab, während Dampf zum Wildwuchs des Urwalds emporsteigt. Einige liegen schon wie Sardinen in der Öldose im wohligen, rund 35 Grad warmen Wasser da. Andere duschen sich in den kleinen Wasserfällen, die von den Felskanten herabprasseln. Man möchte ewig in dieser perfekten Ruhe verharren und den Geräuschen der Natur lauschen. Fast perfekt. Man glaubt es kaum – doch selbst hier her haben es vier nicht restlos austrainierte Springbreaker geschafft, die sich nun samt Selfiestick, Coladosen und Chips im Dschungel-Jacuzzi suhlen. Taiwan eben.
Zurück am Ufer können wir uns am Essen bedienen, das Chiou für uns zubereitet hat. Nie haben Nudeln aus dem Großküchenkessel (mit so ziemlich allem, von Kohl bis Schweinefleisch, verkocht) besser geschmeckt. Mit dem Buschmesser abgeschnittene Fleischstücke vom Lammschlegel geben uns zusätzlich Energie für den Rückweg. Denn der steile Dschungelhang will auch wieder hochgeklettert werden. Zumindest können wir das ohne die Last der mobilen Küche tun, die Chiou am Rücken hochschleppt.
Basislager-Flair und Pfirsichschnaps
Zurück in Xiama, dem kleinen Dorf, in dem Chiou sein Hostel betreibt (Xiama Homestay), erfahren wir noch etwas mehr über den Mann, der geduldig unser Essen trug und uns jetzt selbstgebrannten Pfirsichschnaps ausschenkt. Polizist sei er gewesen, was uns nach seiner Altersangabe ein zweites Mal erstaunt. Nicht gerade, was man von einem Ureinwohner erwartet. Die Bunun, auch als „taiwanesische Sherpas“ bekannt, gelten als höchstes Bergvolk der Insel. Ihre Siedlungen befinden sich in einer Höhe von 1.000 bis 2.300 m Höhe zu beiden Seiten des Zentralgebirges.
Wie immer mehr indigene Taiwaner lebt er jetzt von Gästen. Die Li-song-Quelle, nur eine von unzähligen natürlichen Quellen der Insel, kennt man hier seit jeher – Touristen-tauglich hätte man den Abstiegs-Trail vor einigen Jahren mit staatlicher Hilfe durch die Gemeinde gemacht. Auch mit öffentlichen Bussen (zwei pro Tag) ist Xiama erreichbar.
Viel ist nicht los im Dorf. Hunde trotten über die einzige Straße. Chious hübsche Tochter, die das Hostel leitet, badet wohl ebenfalls in der Li-song-Quelle, auch ihr Töchterchen ist zuckersüß. Kein bisschen Mitleid, eher Wehmut, macht sich beim Abschied bemerkbar. Aus dem Bus winkend, lässt man kein Nest im Nirgendwo zurück, sondern einen Ort, an dem man gerne länger geblieben wäre.
Unterkunft und Tour: Xiama Homestay (Kontakt: ebaho089@gmail.com)
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