Unterwegs im Oberallgäu
Foto: Anton Brey
Eisige Wasserfälle, sonnige Touren, skurrile Museen: Im tiefsten Süden Deutschlands finden Wanderer vielfältige Winterrouten in einer traumhaften Kulisse.
Sissi Pärsch für das Bergweltenmagazin Jänner 2019
Das Oberallgäu ist der südlichste Punkt Deutschlands – oder vielmehr Deutschlands Ausrufezeichen im Süden, so hoch und mächtig, wie die Berge rund um Oberstdorf aufragen. An diesen bleiben die Winterwolken auch gern hängen, um sich großzügig zu entladen. Dann herrscht tiefster Winter im tiefen Süden Deutschlands.
Die Alpinisten zieht es am Talende auf die weit über 2.000 Meter emporragenden Gipfel von Hochvogel, Rauheck oder auf den des Großen Wilden. Wer hingegen weniger ambitioniert ist, der kann nur ein paar Kilometer nördlich entspannt durch die sanfte Voralpenlandschaft wandern. Hier tragen die Berge deutlich harmlosere Namen wie Wertacher Hörnle oder Sonnenköpfle, und man begibt sich auf entspannte Touren, die majestätische Alpenkulisse aber immer vor Augen.
Die Oberallgäuer Landschaft ist geprägt von dieser Nachbarschaft von sanften Hügeln und rauem Fels, von offenem Blick und steiler Enge. Und diese Kontraste haben auch die Bewohner geformt.
Der Allgäuer an sich ist ein Mischwesen: Er ist viel in der Natur, sportlich, immer in Bewegung. Doch gleichzeitig gehört er einem ruhigen, geradezu stoischen Menschenschlag an – einem Menschenschlag, der nicht gerade für seine Gesprächigkeit bekannt ist.
Auch Gudrun Beck ist keine große Rednerin. Doch die Alpsennerin schenkt uns ihre volle Aufmerksamkeit, und ihre Augen blitzen neugierig. Sie ist in einem traumhaften Seitental zu Hause, das sich ganz still und heimlich von Sonthofen aus in die Berge schlängelt. Gunzesrieder Tal heißt es, und es präsentiert sich mit seinen glitzernden Schneehängen und den urigen Holzhäusern als Postkartenmotiv par excellence. Es ist also nicht nur Gudruns Ausstrahlung, die den Eindruck vermittelt, dass es hier im Tal eher geruhsam zugeht.
„Es ist schon so, dass wir Urlauber, die sich Animation und lautstarke Unterhaltung wünschen, nicht wirklich gut versorgen“, meint Gudrun diplomatisch. „Das Oberallgäu ist auch keine Durchgangsstation – von hier geht es nirgendwohin weiter. Wer zu uns kommt, der entscheidet sich ganz bewusst für uns, für eine authentische, ruhigere, aber auch sehr aktive Gegend.“
Bergkäse statt XXL-Schnitzel
Tatsächlich begegnet man hier im Hochtal keinen Schildern, die ein XXL-Schnitzel oder eine Hüttengaudi anpreisen. Stattdessen wirbt man für Eier vom Hof, Enzianschnaps und natürlich den berühmten Bergkäse.
Der Bergkäse stammt unter anderem von der Alpe Oberberg, wo Gudruns 25-jähriger Sohn Sebastian in fünfter Generation für die Sennerei zuständig ist. Als Bergmensch und Sportler lebt und arbeitet er an dem für ihn idealen Ort, hier, zwischen den im Winter tief verschneiten Hängen, in denen die Wildtiere ihre Spuren hinterlassen und die Skitourengeher ihre Schwünge gezogen haben.
Sebastian liebt seinen Beruf, auch „weil man viel sozialen Kontakt hat“. Im Oberallgäu schließen sich nämlich Leutseligkeit und Wortkargheit nicht aus.
Viel zu Sagen, wenig zu Reden
Warum sind die Menschen hier so redefaul? Landwirt Klaus Eberle versucht sich an einer Erklärung. Dabei lächelt er verschmitzt: „Ja, mei!“ Es folgt die im Allgäu obligatorische recht lange Pause. „Viele Menschen haben nichts zu sagen, reden aber viel. Bei uns ist es vielleicht umgekehrt.“
In seinem Gesicht haben Wind, Wetter und Lachen ihre Spuren hinterlassen. Er ist im Allgäu aufgewachsen und „mit den Bergen verwachsen“, wie er sagt.
Ein Musterexemplar der Region also – obwohl (oder gerade weil) er ein wenig außergewöhnlich ist. So ist Klaus unter anderem Sensenmann. Oder wie es offiziell heißt: Sensenlehrer des Deutschen und Österreichischen Sensenvereins. Bei ihm kann man lernen, wie man eine Sense richtig schwingt und sie nachher gut dengelt.
Dann wäre da noch die Sache mit den Tieren, die auf seinem alten Hof am Jägerberg leben. „Kühe stehen bei mir keine im Stall, dafür aber 16 Lamas“, erklärt Klaus wie selbstverständlich und ergänzt nach der ausgedehnten Allgäuer Pause: „Allesamt Männer.“
Mit den Lasttieren aus den Anden führt er sommers wie winters Gäste auf kleinen Pfaden durch die Oberallgäuer Landschaft. Warum Lamas? „Weil sie unglaublich entspannte Tiere sind und selbst der lauffaulste Mensch gern mitkommt, wenn sie dabei sind.“ Und Klaus will die Menschen in Bewegung bringen.
„Die Natur ist ganz einfach die größte Ruhe und Kraftspenderin, den wir haben. Speziell hier im Oberallgäu, weil wir vom großen Trubel verschont sind. Es gibt durchaus Orte, wo einiges los ist. Aber wer nur ein wenig links und rechts schaut, auf den warten wunderschöne Wege, auf denen kaum eine Menschenseele unterwegs ist.“
Klaus kennt diese Strecken alle. Wenn nicht von unten, dann von oben. Denn der Lama- und Sensenmann ist obendrein noch leidenschaftlicher Gleitschirmflieger und Fluglehrer. Die Abwechslung hat es ihm offensichtlich angetan, und deshalb, so findet er, sei er in seiner Heimat auch bestens aufgehoben. „Unsere Landschaft ist so unglaublich vielfältig. Heute gehen wir eine einfache, bodenständige Tour, und gestern erst haben mich die zwei Adler vom Horst am Rubihorn in schwindelnder Höhe beim Gleitschirmflug eskortiert.“
Pause. Schelmisches Lächeln.
Nachsatz: „Man kann also sagen, wir können sowohl sanft wie auch wild.“ Wenn man möchte, könnte man dem Oberallgäuer Resümee auch ein Ausrufezeichen ans Ende stellen!
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