Herr Maier, was geben Ihnen die Berge?
Was kann man am Berg fürs Leben lernen? Was bedeutet Erfolg? Skilegende Hermann Maier über fehlende Schmerzgrenzen in eiskalten Bergseen und seinen leidenschaftlichen Appetit in heimischen Almhütten.
Wir treffen Hermann Maier im Gasthaus Winterbauer oberhalb von Flachau, von hier hat man einen prächtigen Ausblick ins Marbachtal, wo die Skilegende erste Bergerfahrungen gesammelt hat. (Übrigens: Man sollte niemals „die“ Flachau sagen, das hören die Flachauer gar nicht gern.) Hermann Maier ist in Flachau geboren und lebt bis heute in dem Salzburger Dorf im weiten Quelltal der Enns. Der zweifache Olympiasieger versteht sich natürlich auch als Botschafter seiner Heimatgemeinde. Die sanft gebauten Berge wie der Lackenkogel (2.051 m) oder das Grießenkareck (1.991 m) machen aber auch ohne Empfehlung des berühmtesten Flachauers einen sehr einladenden Eindruck auf den Besucher. Das Interview in voller Länge ist im Bergwelten Magazin (Oktober/November 2017) erschienen.
Bergwelten: Herr Maier, Sie sind zwar weit in der Welt herumgekommen, aus Flachau aber nie weggekommen. Was hält Sie?
Hermann Maier: Ich bin ein bodenständiger Mensch – immer gewesen und bis heute geblieben. Auf die Berge rundum bin ich schon in der Volksschulzeit gegangen. Das sind tiefe Wurzeln, die man nicht leichtfertig kappt.
Nie daran gedacht, zum Beispiel nach Monaco zu ziehen wie mancher Ihrer Kollegen? Dort herrscht ja nicht nur steuerlich ein recht freundliches Klima.
Nein, nie. An die Steuer habe ich nie viele Gedanken verschwendet. Ich glaube, als Skifahrer ist man von vornherein mehr mit seiner Heimat verbunden als zum Beispiel ein Formel-1-Fahrer. Das Leben hier abzubrechen und woanders neu aufzubauen – mir wäre das auch immer zu viel Aufwand gewesen, dafür bin ich wahrscheinlich ein zu bequemer Mensch.
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Erzählen Sie uns von den Bergen hier.
Unser Hausberg ist der Lackenkogel. Der sieht aus wie ein Vulkan, ein wunderbarer Wanderberg mit großartiger Aussicht ins Ennstal. Und unser Skiberg ist das Grießenkareck, auf diesem Berg habe ich das Skifahren gelernt. Das sind die zwei Berge, die man direkt vom Dorf aus gehen kann. Wenn man höher hinaufwill, dann muss man weiter ins Marbachtal hinein, zum Faulkogel. Der sieht ein bissl wie das Matterhorn aus und ist schon richtig hochalpin. Das ist mein Lieblingsberg, weil man auch was tun muss beim Raufgehen. Und die Gegend da drinnen ist eigentlich noch recht verlassen.
Ihre Liebe zu den Bergen – wie eng ist sie mit Ihrer Karriere verbunden?
Die gab’s schon vorher, obwohl die Berge in meiner Jugend noch eher Mittel zum Zweck waren. Ich bin einfach immer schon gern hinuntergefahren – nicht nur mit den Skiern, auch mit dem Rad, da hat man auch ganz gut Geschwindigkeit machen können. Und fürs Runterfahren braucht man eben einen Berg. Die Natur rundherum war damals in meiner Jugendzeit noch nicht so interessant und wichtig. Das kam erst später.
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Was suchen Sie in den Bergen? Warum gehen Sie in die Berge? Sie sind ja auch ein fleißiger Skitourengeher, hört man.
Ja. Speziell im Winter ist es die Schönheit der Natur einerseits und die Schönheit des Sports, des Skifahrens, andererseits. Es sind zwei Aspekte: Beim Hinaufgehen erkundet man das Gelände und mögliche Abfahrten – und beim Runterfahren, wenn man dann seine Spuren im Tiefschnee hinterlässt, ist das ein extremer Genuss.
Sie gehen hinauf, um herunterzufahren?
Ja, das stimmt schon zum Teil.
Nicht wegen des Ausblicks?
Das gehört auch dazu – es ist das Gesamtpaket.
Und im Sommer?
Im Sommer geht’s mehr darum, dass man körperlich was macht und dass man auf andere Gedanken kommt.
Woran denken Sie beim Gehen?
Schön wäre: nicht zu viel. Aber das ist leider Gottes das Problem: Man denkt halt relativ viel, wenn man so in den monotonen Schritt hineinkommt.
Als gelernter Wintersportler: Was ist im Sommer in den Bergen besser?
Ein Vorteil ist, wir haben bei uns in der Gegend viele Bergseen, in die man springen kann. Das ist im Sommer genial.
Wo liegt denn temperaturtechnisch Ihre Schmerzgrenze?
Gibt es nicht.
Wirklich?
Ja, ich hab schon Eis ausgeschlagen und bin anschließend abgetaucht. Was ich üb-rigens am Sommer in den Bergen auch besonders mag: Die Hütten sind offen und bewirtschaftet.
Germknödel oder Speckknödel?
Beides. Definitiv. Da nehme ich hintennach noch etwas dazu, weil es mir zu wenig sein wird. Ich bin ein relativ leidenschaftlicher Esser.
Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sie haben ja Ihrem Körper im Laufe der Jahre einiges zugemutet?
Ja, aber mir geht es ganz gut. Das Skifahren hat relativ wenig Nachwirkungen hinterlassen.
Die Berge konnten aber auch recht unfreundlich zu Ihnen sein, etwa der Mount Karamatsu, der Sie bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano spektakulär abgeworfen hat. Gibt es irgendwelche Rituale, wie man solche Ereignisse verarbeitet? Zum Beispiel im Sommer solche Passagen noch einmal abzugehen?
Nein. Nein, auf keinen Fall. Ich bin da nie wieder gewesen. Das könnte mir überall anders auch passieren. Wichtig ist nur, daraus zu lernen und es anders zu machen. Den Ablauf, wie und warum es passiert ist, hab ich ja noch immer im Kopf.
Wo Hermann Maier wandert
Der Weg in das Marbachtal bei Flachau gehört zu seinen Lieblingstouren; „eine einfache, aber traumhaft schöne Almwanderung, die man mit der ganze Familie machen kann“, sagt Maier. Für die etwas ambitionierteren Geher ist das Tal Ausgangspunkt für Wanderungen zur Franz-Fischer-Hütte (2.020 m) und zum Neukarsee (2.065 m), auf den Faulkogel (2.654 m) und das Mosermandl (2.680 m).
Zu den Marbachalmen
- Ausgangspunkt: Parkplatz Marbachtal
- Strecke: 3,3 km Dauer: 1 h
- Höhendifferenz: 161 m
Haben Sie manchmal Angst am Berg? Höhenangst zum Beispiel?
Nein, das kenn ich nicht. Ich bin schwindelfrei und trittsicher wie eine Gams.
Was war Ihr bisher höchster Berg, auf den Sie hinaufgegangen sind?
Also abgesehen von Trainingslagern wie in Südamerika war das der Großglockner. Und obwohl ich Berge, die eher überlaufen sind, nicht besonders mag – der Großglockner war schon was Besonderes. Und wenn man zur richtigen Zeit vor Ort ist, geht’s auch mit den Leuten.
Was ist Ihnen wichtiger: der Berg oder der Gipfel?
Definitiv beides.
Sie haben auch nach Ihrer Karriere durchaus Sinn fürs Extreme bewiesen, sind für eine TV-Produktion zum Südpol marschiert. Haben Sie die richtig hohen Berge nie gereizt?
Als ich am Südpol war, hatte ich einen leichten Anflug, den Mount Vinson, mit 4.982 Meter Höhe einer der Seven Summits, gleich mitzunehmen. Ich war körperlich in einem sehr guten Zustand, zeitmäßig hätte es auch gepasst. Ich habe den Plan dann aber doch verworfen. Und so etwas wie die Seven Summits zu machen würde eine extreme strategische Planung brauchen – das interessiert mich nicht. Monate zu warten, bis ich auf einen Berg wie den Mount Everest hinaufkann, ist nicht das, was ich mit Berggehen verbinde. Ich bin eher ein spontaner Mensch
Welches Verhältnis haben Sie jetzt zum Thema Risiko?
Ein Restrisiko bleibt immer, das kann man nie ausschließen. Aber ich bin normalerweise nicht der, der das große Risiko eingeht.
Hermann Maier ist ein übervorsichtiger Mensch?
Nein. Vorsichtig bin ich, was mich betrifft, sicher nicht. Wenn man zu vorsichtig ist, bleibt man stehen. Man kann sich nur weiterentwickeln, wenn man hin und wieder seine Limits findet – idealerweise unter sicheren Bedingungen.
Was kann man am Berg fürs wirkliche Leben lernen?
Was am Berg, glaube ich, besonders wichtig ist: Man muss Entscheidungen treffen. Im Leben werden einem Entscheidungen auch oft abgenommen. Das passiert oben nicht. Am Berg kommt man nicht daran vorbei, Entscheidungen zu treffen, ob man allein oder zu zweit unterwegs ist.
Sind Sie lieber einsam oder gemeinsam unterwegs?
Am Berg schon gern auch einsam.
Nach Ihrer erfolgreichen Karriere: Was bedeutet Erfolg heute für Sie?
Mit den Möglichkeiten, die man hat – und die sind glücklicherweise relativ groß –, zufrieden zu sein. Erfolg hat für mich nichts mehr mit Wettkampf zu tun. Das ist jetzt das Schöne: wenn man ein Ziel vor Augen hat, es ohne Druck umsetzen und dann auch genießen zu können.
Welcher war Ihr bisher schönster Berg?
Die schönsten Berge sind die, wo wenige Menschen oben sind.
Interview: Markus Honsig
In jedem Bergwelten Magazin findet sich ein großes Interview, dieses ist in der Ausgabe Oktober/November 2017 erschienen. Das aktuelle Magazin ist im Zeitschriftenhandel oder bequem im Abo erhältlich:
Zur Person
Hermann Maier feiert am 7. Dezember seinen 45. Geburtstag. Der gelernte Maurer ist staatlich geprüfter Skilehrer, zweifacher Goldmedaillengewinner bei Olympischen Spielen (Super-G und Riesenslalom 1998 in Nagano, Japan), dreifacher Goldmedaillengewinner bei Weltmeisterschaften (Abfahrt und Super-G 1999 in Vail / Beaver Creek, Colorado, Riesenslalom 2005 in Bormio, Italien) und vierfacher Gesamtsieger im Skiweltcup. Der Vater dreier Kinder lebt in Flachau, Salzburg.
Hermann Maiers Tourentipps
Hermann Maiers „Hausberge“:
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