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Ana Zirner im Kaukasus: Drei Generationen zusammen unterwegs

Aktuelles

5 Min.

19.08.2021

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Ana Zirner durchquert gerade zu Fuß den Großen Kaukasus – nicht wie geplant allein, sondern zu zweit, denn sie trägt ein Kind in sich. Das hat Auswirkungen auf ihre Reise, wie sie uns im zweiten Teil ihres Blogs aus der mystischen Bergregion Chewsuretien im Nordosten Georgiens schildert.

Schon der klingende Name Abudelauri verspricht, dass diese drei Seen unterhalb des imposanten Chaukhi-Massifs wunderschön sein müssen. Abudelauri. Das klingt doch wie eine mystische Melodie... und tatsächlich ranken sich alte georgische Sagen um den blauen, den grünen und den weißen See.
Die drei Perlen liegen im georgischen Chewsuretien, wo ich inzwischen angekommen bin. Aber anstatt, dass ich schreibend an den Seen sitze, liegt meine kleine faltbare Tastatur auf einem schiefen kleinen Tisch, um den sich eine charmante Holzbank windet. Der Tisch steht unter einem improvisierten Blechdach am Fluss, das von knorrigen Ästen gestützt wird. Und diese witzige Konstruktion wiederum steht mitten in dem kleinen Bergdorf Roshka. Warum ich also hier sitze und nicht an den Seen? Dazu später mehr. Erst mal möchte ich euch von meinen letzten Wochen erzählen.


Mystische Landschaften

Die steile Fahrt nach Omalo – auf der legendären „gefährlichsten Bergpassstraße Georgiens“ – fanden wir gar nicht so schlimm. Wahrscheinlich lag das daran, dass wir mit dem wohl besten lokalen Fahrer unterwegs waren, und daran, dass das Wetter uns und der Straße hold war, und daran, dass wir das Glück hatten, keinen schwer beladenen LKWs auf der Gegenrichtung zu begegnen... Aufregend war es aber allemal, und zudem sehr beeindruckend. Da waren wir dann doch recht müde, als wir in Dartlo, dem kleinen Dorf nord-westlich von Omalo ankamen.

Wir sind auf dieser Etappe zu dritt. Denn begleitet werde ich hier ein paar Tage lang von meiner 73-jährigen, fröhlich-frisch-fitten Mutter, deren Freude über jede Wolke mal wieder total ansteckend ist. In mir trage ich mein ungeborenes Kind, das inzwischen etwa 10 Zentimeter lang ist und damit angeblich die „Größe einer Grapefruit“ erreicht, womit für mich die Obstvergleiche in der Schwangerschafts-App einen absurden Gipfel erreichen und ich gleichzeitig unbändige Lust auf Grapefruit bekomme... Naja, und dann bin da noch ich selbst, der nun nicht nur die Schwangerschaft, sondern auch die drei Wochen Draußen-Sein langsam anzusehen sind, wie mir der erste Blick in den Spiegel seit langem heute bestätigt hat.


Bunte Blumen, melancholische Lieder

Am Morgen saß vor dem von Gastgeberin Salome liebevoll eingerichteten „Guest House Shuni“ eine Gruppe Menschen im Kreis um einen kleinen Holztisch. Es wurden überall farbenfrohe Vasen mit Bergblumen befestigt und Unmengen Gemüse geputzt und geschnitten. Denn an demselben Tag war in Dartlo ein wichtiges Dorffest und schon vormittags waren alle in feierlicher Laune.
Eine junge Frau nahm eine Panduri, eine Art Laute, und zu ihren Klängen begann sie gemeinsam mit Salomes Schwester wunderschön zu singen. Die ganze Stimmung war so voll Wärme und Freude und gleichzeitig voll Melancholie und Sehnsucht, dass wir noch eine ganze Weile blieben und lauschten. Als wir unseren Aufbruch schließlich nicht mehr verzögern konnten, begleiteten uns die erlebten Eindrücke wie ein wertvoller Schatz auf unserem Weg.

Die nächsten Tage waren geprägt von grünen Tälern und sprudelnden Bächen, von geheimnisvollen mittelalterlichen Ruinen und einer unendlichen Vielfalt an Bergblumen. Wir sahen Paare, die ohne Sattel auf galoppierenden Pferden mit dem Wind um die Wette jagten, wir flohen selbst vor spektakulär sich auftürmenden Gewitterwolken von einem Grat ins Tal hinunter und wir lernten von herzlich lächelnden georgischen Großmüttern, wie man Chinkali, die hier sehr beliebten gefüllten Teigtaschen, faltet.

 


Alles ist anders zwischen den Welten

Insgesamt fühlt es sich für mich so an, als sei ich auf dieser Etappe auch mit dem Herzen in Georgien angekommen. Ich erlebe die Kontraste hier als ein heterogenes großes Ganzes, das sich auf ureigene Art zu einem stimmigen Bild fügt, das man nur als einzigartig Georgisch beschreiben kann. 

Es ist auf eine merkwürdige Art passend, wie es mir selbst bei alledem geht. Denn die Erkenntnis, dass jetzt, wo ich schwanger bin, „alles anders“ ist, gewinnt mehr und mehr an Realität. Und ich gebe gerne zu, dass mir diese Realität nicht nur leichtfällt. Klar, ich freue mich. Aber ich empfinde es auch oft als massive Herausforderung, was die Schwangerschaft bedeutet: Ich verstehe jetzt, dass ich in diesem Zustand mehr als nur ein „paar Gipfel“ weglassen muss, wie ich mir das anfangs eingeredet hatte. Dass das „nur” in dem geflügelten Satz „ich bin ja nicht krank, nur schwanger” eine bodenlose Untertreibung ist. Und, dass mein Körper nicht einfach wieder auf „normal” umschaltet, sondern dass es verdammt anstrengend ist, ihn mit einem anderen Menschen zu teilen, der zudem sehr genaue Regeln aufstellt und nicht zu Kompromissen bereit ist. 

Während ich also hier unter dem improvisierten Dach an dem schiefen Tischchen in Roshka sitze, treffe ich endlich eine Entscheidung. Es war ein schwieriger Weg zu dem damit verbundenen Eingeständnis. Mindestens so schwierig wie die Straße nach Roshka. Aber die Entscheidung fällt jetzt so selbstverständlich und ist so klar und wohltuend wie der Klang der Stimme von Salomes Schwester: Ich gehe ab jetzt nicht mehr in eine Höhe von über 2.500 Metern und werde meine weitere Route entsprechend anpassen. 

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Eine innere Stimme

Die drei Seen, die klangvollen Abudelauri Lakes, liegen auf 2.600 Metern. Ich musste bei 2.400 Metern umkehren, weil mein Pulsoximeter, mit dem ich meine Sauerstoffsättigung messe, einfach zu niedrige Werte angezeigt hat, um ein Weitergehen verantworten zu können. Und so bleiben sie in meiner Fantasie einfach wunderschön und mysteriös. 

Der Hintergrund ist folgender: ich akklimatisiere einfach nicht. Ich habe keine Ahnung, woran es liegt, und auch meine medizinischen Beraterinnen können es nicht erklären. Ich hatte bisher im Leben nie Schwierigkeiten mit Höhe und auch jetzt merke ich selbst die Höhe kaum. Aber schon ab 2.300 Metern sinkt meine messbare Sauerstoffsättigung immer so deutlich, dass ich absteigen muss. Denn auch wenn ich es selbst nicht merke, für das Baby ist das Risiko sehr groß. Wenn es über zwei Stunden zu wenig Sauerstoff bekommt, wird sein Gehirn nicht ausreichend versorgt und es kann zu permanenten Schäden kommen. Das würde ich mir natürlich nie verzeihen. Also gebe ich das mit der Akklimatisation nun nach drei Wochen immer wieder Probieren auf und konzentriere mich auf niedrigere Wege.


Auf neuen Wegen

Glücklicherweise bietet der Hohe Kaukasus auch in seinen niedrigeren Regionen eine große Vielfalt an Wegen und Möglichkeiten für zauberhafte Entdeckungen. Ich erweitere mein Spektrum und werde nun neben Trekkingrouten auch Canyons und Flüsse, Burgen, Klöster und Dörfer erkunden. Ich werde mehr von den Menschen über das Land lernen und auf all diesen Wegen immer tiefer in das Reich eintauchen, das der Kaukasus zwischen den Welten entfaltet. Und ich freue mich darauf, euch in meinem nächsten Blogbeitrag genauer davon zu erzählen. 

Jetzt geht es erstmal auf nach Stepanzminda und ich werde dort einige Tage die Täler und Aussichten erkunden. Der dort alles überragende Gipfel des Kasbek wird nun nicht mehr sehnsuchtsvollen Frust bei mir auslösen, weil ich ihn nicht wie geplant besteigen kann, sondern er wird die Vorfreude wecken auf dann, wenn ich wiederkomme.

Ich freue mich, wenn ihr Lust habt, mich auch anhand meines Videotagebuchs zu begleiten. Außerdem berichte ich auf Instagram und Facebook. Und im Herbst 2022 gibt es dann auch wieder ein Buch.

Weitere Infos: www.anasways.com