Gefährliches Halbwissen: 6 Irrtümer über Lawinen
Foto: Stephan Baur / Adobe Stock
von Simon Schöpf
Was tun, wenn die Lawine kommt? Mitschwimmen, davonfahren oder einfach auf den Airbag vertrauen? Bergwelten-Autor Simon Schöpf und Lawinenexperte Walter Würtl korrigieren sechs Irrtümer und Halbwahrheiten zum Thema Lawinen.
Irrtum 1: „In einer Lawine kann ich schwimmen.“
Lawinen sind Naturgewalten, schon nach kurzer Strecke erreichen sie 80 bis 100 km/h. Zusammen mit tonnenschwerem Schnee stürzt man über zumeist steiles und oft felsdurchsetztes Gelände ab. Als Spielball der Kräfte ist an ein Schwimmen nicht zu denken. Was man jedoch immer versuchen sollte, ist, mit aller Kraft an der Oberfläche zu bleiben. Heißt: Strampeln, Treten und ums Überleben kämpfen, was allerdings auch nur gelingt, wenn man sich von den Skiern und Stöcken befreien kann.
In einem fließenden Medium bleiben große Teile eher an der Oberfläche. Kleine Teile hingegen sinken zu Boden. Dies nennt man den „Paranuss-Effekt“, umgangssprachlich auch „Müsli-Effekt“ genannt: Wenn man eine Schale voll Müsli rüttelt, bleiben die großen Müsli-Bestandteile an der Oberfläche, die kleinen sinken ab. Am effektivsten, nämlich um grobe 170 Liter innerhalb von 1 bis 2 Sekunden, vergrößert der Skitourengeher sein eigenes Volumen mit einem Lawinenairbag-Rucksack.
Video: Lawinensicherheit - Vorbereitung und die gute Linie
Irrtum 2: „Wenn ich in der Nähe der anderen Spuren bleibe, kann mir nichts passieren.“
Vor allem bei der Abfahrt ein gefährlicher Irrtum. Nur weil schon einige Spuren in einem Tiefschneehang gefahren wurde, heißt das noch lange nicht, dass dieser dadurch sicher ist. Am besten stellt man sich einen Hang wie ein Minenfeld vor: Die „Hotspots“ – empfindliche Punkte der Schneedecke – sind bei einer entsprechenden Lawinensituation wie Sprengfallen über den ganzen Hang verteilt.
Außerdem kann man nie genau wissen, unter welchen Bedingungen die bereits vorhandenen Spuren angelegt wurden. Stunden später kann es schon wieder ganz anders aussehen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass sich nachkommende Skifahrer auf der Suche nach unverspurtem Schnee immer weiter in eine Gefahrenzone locken lassen. Als relativ sicher können lediglich jene Hänge angesehen werden, welche den ganzen Winter über intensiv befahren werden und schon komplett verspurt sind.
Irrtum 3: „Vor einer Lawine kann ich davonfahren.“
In seltenen Fällen kann es gelingen, den abgehenden Schneemassen mit einer beherzten Schussfahrt zu entkommen. In den allermeisten Fällen hat man allerdings nicht den Hauch einer Chance, einer Lawine auf Skiern zu entkommen. Der Schnee unter einem kommt plötzlich in Bewegung, ganz so, als ob einem der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Außerdem kann eine Lawinen genau so gut während des Aufstieges ausgelöst werden, mit Fellen und offener Bindung fährt es sich auch nicht weit.
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Irrtum 4: „Im Wald bin ich vor Lawinen sicher“
Stimmt. Allerdings nur, wenn der Wald so dicht bewachsen ist, dass man mit den Ski nicht mehr durchfahren kann. Da macht das Tourengehen dann leider nicht mehr so viel Spaß – im befahrbaren Wald ist man also nicht automatisch vor Lawinen sicher. Schneebretter können natürlich auch unterhalb und im Waldgürtel ausgelöst werden. Wälder schützen zwar Siedlungen vor Großlawinen, jedoch nicht Skifahrer vor Schneebrettern. Als Leitgedanke im Wald gilt: Wo die Lawinensicherheit anfängt, hört das Skifahren auf!
Irrtum 5: „Weniger Schnee bedeutet weniger Lawinengefahr.“
Im langjährigen Schnitt zeichnen sich die schneearmen Winter immer durch überdurchschnittlich viele Unfälle aus. Je dünner die Schneedecke, desto anfälliger ist sie für labile, gefährliche Altschneeschichten. Außerdem wird bei weniger Schnee die Belastung des Tourengehers direkt auf die schwachen Schichten im Schnee übertragen. Wenn an den Hangrücken noch Sträucher oder Felsen aus dem Schnee schauen, ist dies als Gefahrenzeichen zu werten und die Übergänge von wenig zu viel Schnee sind konsequent zu meiden.
Irrtum 6: „Wo ich gehe, ist es eh nicht gefährlich.“
Manche Tourengeher verzichten auf eine sorgfältige Vorbereitung oder sogar die Notfallausrüstung, weil sie glauben, das Gebiet ohnehin perfekt einschätzen zu können. Wäre die Lawinengefahr so offensichtlich, würden keine Unfälle passieren, da sich niemand bewusst in Lebensgefahr begibt.
Das Lawinenrisiko kann nur durch die korrekte Anwendung von fundiertem Fachwissen und der Bereitschaft, auch einmal umzukehren oder auszuweichen, reduziert werden. Auch wenn auf einer Tour in den letzten fünfzehn Wintern nichts passiert ist, ist das noch kein Garant für sichere Bedingungen unter den aktuellen Umständen. Gerade bei „Routinetouren“ neigt man oft dazu, die nötige Vorsicht außer Acht zu lassen!
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