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David Lama: Über Verzicht

Aktuelles

2 Min.

03.05.2019

Foto: Corey Rich / Red Bull Content Pool

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von David Lama

Wann ist ein Nein die bessere Entscheidung? David Lama über die heikle Grenze zwischen Ethik und Zielstrebigkeit (erschienen im Bergwelten Magazin August/September 2016).

Am Berglsteiner See in Tirol konnte ich letztes Jahr eine Route erstbegehen, die mein Freund Florian Klingler zehn Jahre vorher entdeckt hatte. Die ungeschriebene Regel beim Sportklettern besagt, dass derjenige, der eine mögliche Linie erkennt und sie mit Haken versieht, das Vorrecht auf die Erstbegehung hat. Die Route im unteren 11. Schwierigkeitsgrad war ihm anfänglich deutlich zu schwer, aber er steigerte sein Niveau und kam der Sache näher. Dann brach ein wichtiger Griff aus, und er musste erkennen, dass die Route im neuen Zustand jenseits seiner Möglichkeiten bleiben wird. Florian konnte nun den Griff künstlich nachbauen oder die Route jemand anderem überlassen. Er entschied sich, auf die Route zu verzichten. So hatte ich die Gelegenheit, mich in der Route in ursprünglichem und ungeklettertem Zustand auszutoben und sie zu durchsteigen.

Florians Verzicht auf die Route bedeutete den Erhalt der Spielwiese, die dieses kleine Stück Fels für Kletterer darstellt. Beim Besteigen großer Berge ist dies genauso: Die Grenze zwischen noblem Verzicht und Zielstrebigkeit verläuft fließend. Über die Zulässigkeit von bestimmten Hilfsmitteln wird daher schon lange kontrovers diskutiert. Im Himalaya beschränkten sich die Puristen auf Linien, die im reinen Alpinstil – also ohne Träger und künstlichen Sauerstoff – machbar sind. Für die schwierigsten Wände fehlten ihnen aber die Möglichkeiten. Andere stellten den Zweck über die Mittel – ihnen gelang es, neue technische Schwierigkeiten zu erschließen.

Eine gesunde Entwicklung braucht beide Ansätze: Die eine Schule zeigt einen idealen Stil auf, während die andere deutlich macht, was grundsätzlich möglich ist. Jeder Weg für sich genommen würde wohl in eine Sackgasse führen, aber beide zusammen führen zu einer Balance. 

Den Everest ohne Sauerstoff zu besteigen war auch möglich, weil jeder wusste: Die Route ist bekannt, und ein so hoher Berg ist besteigbar. Die Pioniere konnten diesen Grundstein legen, weil sie Sauerstoff verwendeten. Andere hatten an weniger hohen Bergen den Alpinstil weiterentwickelt. Die Kombination aus beiden Ansätzen ermöglichte den nächsten Schritt.

Für mich ist die Einhaltung der eigenen Ideale wichtiger als der Gipfel. Der Erfolg meines Tuns hängt für mich nicht nur damit zusammen, welche Projekte ich schaffe, sondern ob ich in einem Stil unterwegs bin, in dem ich mich kreativ ausdrücken kann. Deshalb kommt es für mich nicht infrage, schwierigste Wände auf Achttausendern im Expeditionsstil zu belagern.

Wenn die Chancen bei einem Langzeitprojekt schwinden, ist es jedoch niemals leicht, sich so einzuschränken, wie man es anfangs vielleicht vorhatte. Wäre etwa nach mehreren Versuchen ein vorbereitetes Zwischenlager ein akzeptabler Kompromiss? Sollte ich bei meinem Traumprojekt Masherbrum an dieser Weggabelung ankommen, wo der Verzicht auf das Ziel die ehrlichere Variante ist, so hoffe ich, dass ich das akzeptiere und verzichte.