Der schönste Weg nach Santiago: Pilgern auf der Via de la Plata
Eine einsame Alternative zur Hauptroute nach Santiago. Werner Kräutler berichtet uns von seiner Wanderung entlang der Via de la Plata, die sich – teilweise über alte Römerstraßen – über 1.300 km von Cádiz bis nach Santiago und weiter bis Finisterre schlängelt. Für ihn der eindrucksvollste Pilgerweg Europas.
300.000 Pilger haben 2017 Santiago de Compostela erreicht – ein Allzeitrekord. Er legt aber auch die Schattenseiten des modernen Pilgerwesens offen: Vor allem der „Camino Francés“ zwischen Roncesvalles und Santiago, eine Art „Ur-Pilgerweg“, ist zu Spitzenzeiten im Sommer heillos überlaufen.
In Pilgerforen und auf Social Media werden daher immer öfter Alternativen zum Hauptweg zwischen den Pyrenäen und Santiago gesucht. Es sind vor allem „Wiederholungspilger“, die andere Jakobswege forcieren. Einer davon ist die Via de la Plata, die sich über 1.300 km von Cádiz bis nach Santiago und weiter bis Finisterre im äußersten Nordwesten Spaniens schlängelt.
Über alte Römerstraßen
Mich haben zwei Regionen in Spanien schon immer fasziniert: Andalusien und die Extremadura. Und genau diese Landschaften durchschreiten die Pilgersleute auf ihrem Weg nach Norden. Was für mich noch faszinierender ist: Die Via de la Plata verläuft über hunderte von Kilometern teilweise sogar auf der Originaltrasse der einstigen Römerstraße. Sie hatte Sevilla mit der Stadt Astorga im Norden verbunden. Bisweilen stehen sogar noch die originalen Meilensteine am Wegesrand, die von den damaligen Kaisern, ihren Statthaltern und den Provinzfürsten berichten.
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Die Pilger durchqueren auch ursprünglich von Römern und Mauren gegründete Städte und Dörfer. Wie etwa Italica, das heute Santiponce. Es ist der Geburtsort gleich zweier römischer Kaiser und liegt ganz in der Nähe von Sevilla. Oder Mérida, das „Rom Spaniens“ mit Arena, einem funktionsfähigen römischen Theater, dem Diana-Tempel und einem 700 m langen und mehr als 20 m hohen Aquädukt. Auf der „Plata“ ist es aber auch selbstverständlich, dass Pilgersleute ihre müden Knochen in uralten, römischen Thermen regenierieren können. Wie etwa in Baños de Montemayor oder in Ourense.
Den Römern folgten später die Westgoten und die Mauren auf eben dieser Route. Sie hinterließen ebenfalls beeindruckende Zeugnisse ihrer Baukunst. Und es waren die islamischen Reiterheere, die der heutigen Pilgerstraße den Namen gaben. Denn Via de la Plata beinhaltet das arabische Wort „balata“, was eine „befestigte“ Straße bedeutet.
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Der eindrucksvollste Pilgerweg Europas
Eigentlich besteht die Via de la Plata aus drei Teilwegen: der „Via Augusta“ von Cádiz nach Sevilla, der „Via de la Plata“ von Sevilla bis Astorga und anschließend dem „Camino Francés“. Die Via Augusta war übrigens die Verbindung der römischen Provinzen im Osten des heutigen Spaniens. Und was die Via de la Plata anlangt: Schöner noch ist es, sie in Granja de Moreruela zu verlassen und quasi links auf den Camino Sanabres abzubiegen. Ein ruhiger, nicht überlaufener Pilgerweg durch eine spanische Urlandschaft, die der spanische Regisseur Carlos Saura in Filmen verewigt und damit das Bild des armen, ländlichen Spaniens geprägt hat. Geradeaus gelangen die Pilgersleute nach Astorga und schwenken dann westwärts auf den viel begangenen Camino Francés ein.
Ich habe die Via de la Plata im Jahr 2017 absolviert. Meine Pilgererfahrung macht mich sicher: sie ist der eindrucksvollste Pilgerweg Europas. Er führt nicht nur durch unterschiedliche Klimazonen, vom andalusischen, trockenen Süden in das auch im Sommer regnerisch-feuchte Galizien im äußersten Nordwesten Spaniens. Der Weg ist auch ein Schnellkurs in europäischer Geschichte, die bei den Phöniziern beginnt und über Römer, Westgoten und Sueben bis zu den Mauren und den katholischen Herrschern führt. Es ist die anschließende Reconquista der Christen, die Städte und Dörfer heute noch nachhaltig prägt.
Historische Städte an der Strecke – Zafra, Mérida, Caceres, Salamanca und Zamora – verdanken viele ihrer architektonischen Sehenswürdigkeiten daher auch den verschiedenen Epochen und Eroberern. Neben großartigen Palästen sind es auch die monumentalen Kathedralen, die die neuzeitlichen Pilger anziehen und faszinieren.
Ebenso beeindruckend sind die monumentalen Brücken, die sich über die großen Flüsse am Weg spannen. Beginnend von einer der größten Römerbrücken Spaniens in Mérida über die römischen Brücken von Salamanca und Zamora. Sie manifestieren die einstige imperiale Größe und Wichtigkeit dieses römischen und maurischen Kernlandes.
Andalusien, der Flamenco und Sevilla
Die Pilgerreise beginnt also in Cádiz, einer von den Phöniziern gegründeten Stadt. Berühmt geworden durch seine Naturbucht, die im ausgehenden Mittelalter hart umkämpft war. Ihre Noblesse hinter sich lassend, wandern die Pilger auf der Via Augusta, der alten römischen Staatstraße durch andalusisches Kernland via Jérez de la Frontera und Utrera nach Sevilla. Immer begleitet vom Flamenco, dem eigentlichen Rhythmus dieser im Sommer staubtrockenen Landschaft, der in kleinen Bars oder auf offener Straße dargeboten wird. Und natürlich dem „Sherry“, jenem Wein, dessen Bezeichnung eine Verballhornung des Wortes „Jérez“ ist.
Sevilla gehört zu jenen europäischen Städten, die meines Erachtens immer noch unterschätzt werden. Und das, obwohl sie in berühmten Werken der Opernliteratur, wie im „Barbier von Sevilla“ und „Carmen“ verewigt worden ist. Die Noblesse dieser Studentenstadt, ihre außergewöhnlichen Sehenswürdigkeiten und das Kulturangebot machen Sevilla zu einem Hotspot spanischen Lebens. Und in Sevilla beginnt dann die eigentliche Via de la Plata.
Die ersten 500 km zu Fuß bis nach Salamanca sind in erster Linie eine Reise durch die Exremadura. Der Name sagt es schon: es ist eine harte Gegend. Stein- und Korkeichen säumen die Wege der Pilger. In ihrem Schatten tummelt sich jedoch der eigentliche Reichtum der Landschaft: Die Schwarzfuß-Schweine, die für eine fantastische Spezialität, den berühmten „Jamón Ibérico de Bellota“, gehalten werden. Sie tummeln sich das ganze Jahr über im Freien und ernähren sich von Kräutern und Wurzeln, im Herbst auch von Eicheln.
Mit Salamanca passieren die Pilgersleute eine weitere wundervolle Stadt. Deren Herz die älteste spanische Universität darstellt, an der bis heute rund 40.000 junge Menschen studieren. Augenfällig in Salamanca ist das Baumaterial, aus dem die Stadt errichtet worden ist: der rote Sandstein der Gebäude strahlt eine eigenartig beruhigende und noble Wirkung aus.
Knapp 100 km weiter nördlich trennt sich im Örtchen Granja de Moreruela der Camino Sanabrés von der Via de la Plata. Man sollte nicht versäumen, eine der großartigsten christlichen Ruinen zu besichtigen, die ganz in der Nähe von Granja vor sich hinrotten. Es handelt sich um die Reste einer einst riesigen Zisterzienserabtei.
Auf dem Camino Sanabrés geht’s dann in Richtung einer Bergkette, die die Grenze von Kastilien zu Galizien darstellt. Die Pilger überwinden nun beinahe täglich einige Höhenmeter, bis sie auf dem höchsten Punkt der Via de la Plata angekommen sind, der „Portilla de Padornelo“ auf 1.352 m Seehöhe. Von hier aus ist es dann nicht mehr allzuweit nach Ourense, der alten römischen Bäderstadt am Ufer des Flusses Miño. Ihr Goldreichtum in vorchristlicher Zeit hat angeblich die Phönizier motiviert, von Cádiz bis hierher eine halbwegs taugliche Straßenverbindung zu bauen.
Santiago – und weiter bis ans „Ende der Welt“
Von Ourense aus sind es dann nur noch rund 100 km bis zum Ziel aller Jakobspilger: Santiago de Compostela. Hier holt man sich die „Compostellana“, die Urkunde der Pilgerschaft. Ein Besuch der Pilgermesse in der Kathedrale ist empfehlenswert, denn da wird der größte Weihrauchkessel der Welt geschwenkt: der Botafumeiro. Ursprünglich dazu gedacht, den vermutlich kaum ertragbaren, strengen Geruch mittelalterlicher Pilger zu neutralisieren, stellt das rund 1,60 m hohe und 54 kg schwere Fass heute ein Show-Element der Sonderklasse dar, das von mehreren Männern mit Seilen hochgezogen und im Seitenschiff geschwenkt wird. Bisweilen schießen gar Flammen aus dem rasant dahinzischenden Weihrauchkessel.
In den vergangenen Jahren hat es sich vor allem bei den „Fußpilgern“ durchgesetzt, Santiago nicht als Endpunkt der Pilgerreise zu betrachten. Nach weiteren drei Etappen erreicht man nämlich den westlichsten Punkt des europäischen Festlandes: Kap Finisterre, von den Römern als das „Ende der Welt“ betrachtet. Eine überaus lohnenswerte Wanderung durch Landschaften, die eher an Schottland als an Spanien denken lassen. Man sollte es aber auch nicht verabsäumen, Muxia an der „Costa da Morte“, der „Todesküste“, mit seiner einzigartigen Kirche Santuario da Virxe da Barca einen Besuch abzustatten. Es ist ein absolut würdiger Abschluss einer nahezu 1.400 km langen Reise vom Süden in den Norden Spaniens.
Informationen und Adressen: Via de la Plata
- Allgemeine Informationen und Vorschläge zu einer Packliste finden sich hier.
- Die Etappen von Cádiz nach Finisterre habe ich auf meiner Website beschrieben und bebildert.
- Herbergen an der Via de la Plata sind im Gronze-Verzeichnis ziemlich vollständig und gut beschrieben.