Enno Seifried: „Ich liebe meine Couch und Netflix“
Enno Seifried hat die ganze Welt bereist – nur seine Heimat kannte der Filmemacher nicht besonders gut. 2019 packte er deshalb seinen Trekkingrucksack und ging in 165 Tagen durch Deutschland – 3.442 Kilometer von der Nordsee bis in die Alpen. Die Doku Deutschland zu Fuß ist jetzt auf DVD und als Stream erhältlich – unlängst brachte Enno seine ungewöhnliche Geschichte auch als Buch heraus, wir verlosen 2 Exemplare! Ein Gespräch über geschundene Füße, liebenswürdige Glatzköpfe und warum man auch als Couch-Potato großartige Abenteuer erleben kann.
Bergwelten: Lieber Enno, 3.442 km zu Fuß durch Deutschland – wie kommt man auf so eine Idee? Hattest du keinen Bock mehr auf den Alltag, aber kein Geld für ein Flugticket?
Enno Seifried: Also ich bin auch sehr gerne in anderen Weltgegenden unterwegs und kann mir schon irgendwie ein Flugticket zusammensparen, wenn ich das unbedingt möchte. Aber die Idee, zu Fuß durch Deutschland zu laufen, schwirrte mir schon lange im Kopf herum. Nachdem ich 2017 700 Kilometer durch die Harz-Region gewandert bin, war ich endgültig neugierig auf den Rest von Deutschland. Im Mai 2019 ging es dann wirklich los.
Wie hast du eigentlich die Route geplant? Und wie oft hast du dich dann verlaufen?
Eine Route hatte ich nur grob im Kopf. Ich malte mir ein spiegelverkehrtes S auf die Deutschlandkarte und fertig war sie. Unterwegs entschied ich dann von Woche zu Woche, wo genau mein Weg lang gehen sollte. Mich reizt eher die Spontanität auf so einer Reise, als vorher schon zu wissen, welchen Weg ich wann und wo genau laufen werde. Lieber halte ich mir das offen und überrasche mich dann unterwegs selber. Verlaufen habe ich mich schon ein paar Mal, wobei ich früher oder später immer wieder auf den richtigen Weg zurückgekommen bin. Problematisch war es dann, wenn ein Wanderweg plötzlich kein Wanderweg mehr war und ich mich stundenlang mit meinen Wanderstöcken durch brusthohe Brombeersträucher und Brennnesseln arbeiten musste.
Dein Trekking-Rucksack muss ja ganz schön voll gewesen sein?
Alles, was man zum Leben braucht, passt ganz leicht in einen Rucksack. Mein Rucksack wog circa 14 Kilo, was für eine 3.442-Kilometer-Tour eigentlich schon fast zu schwer ist. Da ich für den Film aber natürlich auch Kameraausrüstung und sogar einen Laptop dabeihatte, kam da einiges zusammen. Außerdem stehe ich auf Luxus und hatte sogar einen 500 Gramm „schweren“ Campingstuhl und ein Kopfkissen mit, damit es im Zelt auch schön kuschelig wird.
Dachtest du irgendwann auch mal daran, das ganze abzublasen? Etwa wegen Schmerzen oder Schlechtwetter?
Die ersten Wochen hatte ich in der Tat sehr heftige Schmerzen, da meine Füße streikten und ich immer wieder Blasen bekam. Es regnete auch mal eine Woche am Stück durch. Ans Aufgeben dachte ich allerdings wirklich nicht ein einziges Mal. Dazu machte mir das Ganze trotz allem einfach zu viel Spaß. Und man sollte auch nie vergessen, was für ein Privileg es ist, so eine Reise überhaupt machen zu können. Immer wenn ich daran dachte, wie gut es mir geht, dass ich dieses Vorhaben überhaupt in die Tat umsetzten kann, stimmte mich das einfach nur glücklich und Aufgeben wäre das Dümmste gewesen was ich hätte machen können. Nach zwei Tagen zuhause auf der Couch hätte ich mich wahrscheinlich in Grund und Boden geschämt und geärgert.
Die meisten Nächte hast du unter sternenklarem Himmel verbracht – was erlebt man denn da so alles?
Man erlebt sternenklaren Himmel (lacht). Nein im Ernst, es ist einfach ein Genuss, irgendwo in einem Wald, auf einer Lichtung oder auf einem Berg zu liegen, in den Nachthimmel zu schauen und die Ruhe abseits von Menschenmassen und Großstädten zu genießen. Und das sage ich als Stadtmensch, der gerne in Leipzig wohnt, sich auf der Tanzfläche irgendeines Keller-Clubs die Seele aus dem Leib tanzt oder ab und zu auch mal morgens um 8 der letzte Gast seiner Stammkneipe ist. Die Natur und die Ruhe sind für mich der notwendige Ausgleich. Wie ich stundenlang in der Kneipe sitzen und ein Bier nach dem anderem bestellen kann, so kann ich auch stundenlang im Wald sitzen, das Grün bestaunen und den Vögeln zuhören. Das Leben ist mit allem, was es uns bietet, einfach wunderbar und will abwechslungsreich genossen werden.
Was hast du unterwegs entdeckt? Ganz dumm gefragt: Wo ist es denn am schönsten in Deutschland?
Entdeckt habe ich neue Landschaften und Gegenden, von denen ich vorher nicht die geringste Ahnung hatte. Wo es am schönsten war, kann ich nicht sagen, da gerade diese Vielfalt der Landstriche, die ich durchwanderte, das reizvolle an so einer Fernwanderung ist. Die Nord- die Ostsee, die Mecklenburgische Seenplatte, die Uckermark, das Elbsandsteingebirge, der Thüringer Wald, der Pfälzer Wald, der Schwarzwald, die Alpen… und all die schönen Landschaften, die ich jetzt vergessen habe – überall ist es am schönsten.
Was hat dich an deiner Heimat Deutschland am meisten überrascht?
Überrascht vielleicht nicht, aber mir ist einmal mehr klar geworden, wie freundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit die Menschen in diesem Land sind. Ich lernte wieder mal, dass es nur darauf ankommt, wie man aufeinander zugeht und nicht ob man zwingend die gleichen Ansichten, Hobbys und Lebensentwürfe teilt. Ich traf auch Menschen, die es im wahrsten Sinne des Wortes total sinnlos fanden, was ich da mache. Doch auch diese Menschen waren sehr bemüht mich zu unterstützen, boten mir Getränke und Speisen an und erzählten mir von Orten, an denen ich mit meinem Zelt sicher niemanden stören würde. Vom glatzköpfigen Tätowierten bis zum ausgewanderten Russen war alles dabei und jede Begegnung war spannend und aufschlussreich. Das macht einem nochmal klar, dass diese ganzen Vorurteile gegenüber anderen Menschen, die wir tagtäglich mit uns herumschleppen und die im schlimmsten Fall in Fremdenhass und Rassismus gipfeln, einfach nur dumm sind. Man nimmt sich damit die Möglichkeit, über den Tellerrand zu blicken und für sich selber neue Ansichten kennenzulernen.
Du bist in der Vergangenheit 17.000 Kilometer durch Nordamerika und durch Asien gereist, verbrachtest mehrere Monate in Mexiko, bist mit dem Fahrrad 5.000 Kilometer von der Ostsee bis zum Kap Finisterre gefahren und über die Alpen gewandert. Wann hat dich diese Reiselust eigentlich gepackt? Und warum denkst du, ist sie bei dir derart ausgeprägt?
Schon als Kind, wenn ich mit meinen Eltern unterwegs war, war ich kaum zu bremsen. Die Natur und vor allem die Berge haben mich schon immer fasziniert. Keine Ahnung, woher das kommt. Ich denke ja, das ist ein Stück weit in uns, weil wir im Grunde ja eigentlich auch nur ein Teil der Natur sind. Leider vergisst man das zu häufig. Die 17.000-Kilometer-Tour durch Nordamerika gab mir dann den Rest und ich war endgültig dem Fernweh verfallen. Seitdem muss ich einfach immer wieder raus, weg, neues kennenlernen.
Du arbeitest nach wie vor fürs Theater, als Komponist – eine völlig andere Welt als die des Abenteurers Enno, oder?
Hauptsächlich mache ich Dokumentarfilme. „Deutschland zu Fuß“ ist bereits mein neunter Film. Ab und zu arbeite ich noch fürs Theater und komponiere die Musik für Inszenierungen. Ich finde aber, dass diese Welt gar nicht so weit von der Welt mit Rucksack auf den Schultern entfernt ist. So eine Inszenierung, von der Konzeptionsprobe bis zur Premiere, ist auch ein Abenteuer. Man lernt neue Menschen kennen und im kreativen Umfeld fühlte ich mich auch schon immer wohl. Theater muss sein! Ein Abenteuer ist für mich etwas, bei dem ich mich Dingen aussetzte, die ich nicht zu 100 Prozent planen und durchdenken kann. Und das ist im Kreativ-Bereich, wie auch auf Reisen der Fall.
Ist das Abenteuer auch vor der eigenen Haustüre zu finden?
Auf jeden Fall. Das Abenteuer kann sogar in der eigenen Wohnung stattfinden. Man muss nur lernen, verschiedene Dinge und Herausforderungen als Abenteuer zu sehen.
Du hast dich dann aber doch für ein Abenteuer außerhalb deiner vier Wände entschieden. 3.442 km zu Fuß durch Deutschland – würdest du es nochmal machen?
Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich diesen Punkt abhaken kann. Nicht weil es endlich vorbei ist, sondern weil meine To-Do-Liste noch so lang und das Leben nur so kurz ist. Man sollte seine Zeit nutzen und nicht damit verbringen, nach dem Sinn des Lebens zu suchen oder irgendwelchen Idealen hinterher zu laufen. Sei wer du bist und mach, soweit es dir möglich ist, das was du willst und wovon du träumst.
Du hast eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um deinen Film finanzieren zu können – in nur 48 Stunden waren die nötigen 10.000 Euro beisammen. Denkst du, du hast mit deiner Wanderung durch Deutschland einen Nerv der Zeit getroffen?
In den letzten Jahren ist eine Community herangewachsen, die es gut findet, was ich mache und die immer wieder bereit ist mich bei Filmprojekten zu unterstützen. Vielen Dank an dieser Stelle! Einen Nerv der Zeit habe ich glaube ich nicht wirklich getroffen. Reisen, Natur und Wandern faszinieren die Menschen seit eh und je. Die Survival-Bücher von Rüdiger Nehberg habe ich beispielsweise schon vor 25 Jahren verschlungen. Jetzt ist man immer häufiger auch mit Outdoor-Filmen konfrontiert, einfach weil praktisch jeder mit einer Kamera losziehen und sein Material auf YouTube präsentieren kann. Andere Ergebnisse wiederum landen dann im Kino – und das hoffe ich ja auch von meinem Film.
Kannst du überhaupt noch dauerhaft in einer normalen Wohnung leben?
Definitiv kann ich das. Ich liebe meine Wohnung, meine Couch und Netflix und gehöre auch nicht zu denen, die so eine Tour am liebsten barfuß machen, auf Selbstfindungstrip sind und der Gesellschaft abschwören wollen. Jeder soll die Dinge angehen wie er mag und dabei sein Gegenüber akzeptieren. Die eigene Weltsicht ist nicht die einzig richtige. Ich für meinen Teil finde es zu Hause genauso schön wie draußen im Wald.
Der Film
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Der Film „Deutschland zu Fuß“ kann auf DVD und als Stream auf deutschlandzufuss.de bestellt werden.
Wir verlosen 2 Buch-Exemplare!
Seit diesen Herbst gibt es Enno Seifrieds Geschichte auch als Buch (bei National Geographic erschienen). Mach bei unserem Gewinnspiel mit und mit etwas Glück sicherst du dir eines von 2 Exemplaren.
Teilnahmeschluss ist der 06. Dezember 2021.
Zur Person
Enno Seifried wurde 1978 in Leipzig geboren. Er arbeitete als Kunstschaffender und am Theater, ehe er seinen Schwerpunkt aufs Filmemachen verlegte. Bekannt sind seine Dokumentarfilme über „Lost Places“ in Deutschland.