Ana Zirner: „Der Fluss hat mir beigebracht loszulassen“
Foto: April Larivee
von Martin Foszczynski
Alleine auf dem Colorado River, 2.330 km von den Rocky Mountains bis nach Mexiko: Ana Zirners Trip durch den Westen der USA war nicht nur ein gewagtes Abenteuer, sondern auch eine Tuchfühlung mit ihrer zweiten Heimat. Jetzt ist ihr Buch „Rivertime“ erschienen: Über Halluzinationen im menschenleeren Canyon, hilfsbereite Hardcore-Trump-Anhänger und den großen Fluss als Lehrmeister des Lebens.
Tipp: Habt ihr auch Fernweh? Dann hört euch doch unsere aktuelle Podcast-Folge an! Darin schildern Abenteurerinnen und Globetrotter wie es ihnen mit den derzeitigen Reise-Beschränkungen geht. Ebenfalls zu Gast: Ana Zirner.
Bergwelten: Liebe Ana, dem Colorado River auf einer Länge von 2.330 km von seiner Quelle bis zum Golf von Kalifornien folgen – du hast ja schon einige Abenteuer gewagt, aber wie kommt man denn auf so eine Idee?
Ana Zirner: Ich wollte eine längere Reise durch die USA machen, auch um zu sehen, wie es diesem Land unter der Präsidentschaft Donald Trumps wirklich geht. Mein Vater ist ja Amerikaner, ich besitze ja neben der deutschen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und fühle mich den Leuten dort durchaus verbunden. Der zweite Grund: Ich wollte unbedingt mal in dieser faszinierenden Landschaft des US-amerikanischen Südwestens unterwegs sein, die ich bis dahin nur aus Berichten kannte – diese Sandsteingebirge und diese unglaubliche Weite, die man in Europa so einfach nicht kennt. Dem Colorado zu folgen hatte ich ursprünglich gar nicht vor. Aber ich habe bei der Planung festgestellt, dass mir beim Trekken quer durch die Wüsten-Landschaft immer wieder das Wasser ausgehen würde. Also dachte ich mir: Da laufe ich lieber am Wasser entlang. Und da bot sich halt der Colorado River an (lacht).
Entlanglaufen stimmt ja nicht ganz – du hast große Passagen paddelnd im Wasser zurückgelegt.
Stimmt. Die Gegend dort ist sehr flach, da wäre mir das Gehen auf die Dauer langweilig geworden. Also beschloss ich, mich ins Boot zu setzen. Das war eine ziemliche Herausforderung, weil ich noch nie in meinem Leben viel in einem Kajak oder auf etwas anderem, dass auf Wasser schwimmt unterwegs war. Das hat das ganze Unterfangen natürlich sehr gewürzt.
War das nicht leichtsinnig? Würde ich zum Kajaken anfangen, würde ich mir eher einen ruhigen Abschnitt der Isar aussuchen und nicht den Colorado River.
Das tolle am Colorado River ist, dass es dort nicht nur Stromschnellen, sondern auch Flachwasser-Passagen gibt – speziell am Anfang. Die ganz großen Stromschnellen befinden sich erst im Grand Canyon. Und ok, ich gebe es zu – ich hab‘ schon vorher auch ein bisschen geübt.
Auf der Isar?
Nein, im Fitnessstudio (lacht). Naja, und einmal tatsächlich auch mit einer befreundeten Paddler-Gruppe. Insgesamt also wenig Vorerfahrung, aber ich habe genau studiert, wo jene Stromschnellen sind, die ich technisch kaum meistern kann, um dort aus dem Wasser rauszugehen. Deshalb habe ich mich ja für ein Packraft, also ein Falt-Kajak, entschieden. Damit bin ich außen um die problematischen Passagen rumgelaufen und hab’s danach wieder aufgeblasen. Rumlaufen hört sich jetzt nach kurzen Strecken an – einmal hat es aber auch fünf Tage gedauert und ging durch die Wüste.
Erzähl!
Da gibt es einen Abschnitt im Canyonlands National Park – The Maze – das ist nach Alaska das am dünnsten besiedelte und einsamste Gebiet der ganzen USA. Dort war ich fünf Tage zu Fuß unterwegs.
Beginnt man da nicht mit sich selbst zu reden?
Es gab dort eine Situation, in der ich wirklich… so ein bisschen das Gefühl hatte, ich werde verrückt. Ich habe von einer Anhöhe auf diese rätselhafte Landschaft runtergesehen – The Maze heißt auf Deutsch „Labyrinth“. Es wirkte wie so eine Stadt aus Sandsteintürmen. Es war gerade Sonnenuntergang und aus den Tälern stieg ein bisschen Nebel auf. Es war wahnsinnig schön und gleichzeitig total mystisch und gruselig. Mir schien, wie wenn von dort Stimmen kämen, die sagen: „Komm, wir nehmen dich hier auf“. Ich hatte kurz das Gefühl, ich könnte jetzt da reingehen und würde nie wieder zurückkommen.
Ich habe mal gelesen, dass dieses Land einst von indigenen Stämmen besiedelt war.
Jetzt kann ich verstehen, dass es Orte gibt, an denen die Indigenen mit ihren Vorfahren sprechen. Ich bin nicht esoterisch veranlagt, aber man spürt dort tatsächlich Kräfte und eine ungeheure Verbundenheit mit der Natur, man wird regelrecht reingesogen. Ein ganz besonderes Erlebnis – vor allem, wenn man alleine ist. Wenn ich zu zweit gewesen wäre, hätte ich das sicher nicht verspürt, weil man dann gesagt hätte: „Oh schau‘ mal, wie schön“ – und damit ist der Moment eben kaputt (lacht). Nachts war es übrigens arschkalt dort und es hingen überall Eiszapfen von den Felsen. Es hatte nichts mit der stereotypen Vorstellung von Wüstenlandschaft zu tun.
Ist es nicht ab und zu wirklich gefährlich geworden ganz alleine in dieser Wildnis? Du hast ja vor deiner Reise schon fest damit gerechnet, dass dich Skorpione und Braunbären beißen werden.
Ich muss dich leider total enttäuschen, ich wurde weder von einem Bären angefallen noch von einem Skorpion gebissen. Ich bin ein paar Klapperschlangen begegnet – aber die klappern glücklicherweise ja und machen rechtzeitig auf sich aufmerksam. Im Endeffekt war das gefährlichste, was mir an Wild Life begegnet ist, die wilden Esel (lacht). Die rennen nämlich in der Horde, hört sich an wie ein Donner, und mähen alles um – wenn da irgendwo ein kleines Zelt wie meins im Weg steht, ist ihnen das völlig egal. Ich bin auch Kojoten begegnet und Elchen, ganz am Anfang in den Rocky Mountains. Das ist auch das besondere an diesen 2.333 Kilometern des Colorado River, dass man sehr verschiedene Landschaften durchquert, sowohl geologisch als auch von den Temperaturen her. Ich hatte ein Spektrum von minus 20 bis plus vierzig Grad. Da brauchte man dann auch schon mal zwei Schlafsäcke übereinander, oder eben gar keinen.
Welcher Abschnitt war für dich landschaftlich am beeindruckendsten?
Definitiv der Grand Canyon. Er ist wie ein aufgeschlagenes Buch in dem man die Erdgeschichte anhand der übereinanderliegenden Schichten lesen kann. Ich habe ihn anders erkundet, als die meisten Reisenden, nämlich per Kajak- und Holzboot. Und ich hatte das Glück dort von Spezialisten begleitet zu werden, die gut erklären konnten, wie viele Millionen von Jahren die verschiedenen Schichten alt sind. Sich darüber bewusst zu werden, dass man durch Jahrmillionen der Erdgeschichte paddelt – das macht einen schon sehr… still.
Anders als im Grand Canyon warst du während deiner Reise aber die meiste Zeit alleine. Ein Zustand, den wohl viele Menschen gerade eher negativ empfinden. Was kannst du dem Alleinsein abgewinnen?
Ich glaube schon, dass Einsamkeit auch bedrückend sein kann. Aber ich habe ja schon Übung in Solo-Abenteuern. Und ich mag diese Art von Einsamkeit und Stille tatsächlich gerne. Im Alltag finde ich sie nur schwer. Es ist etwas, was mich ganz von innen heraus erneuert. Ich habe dabei einfach unglaublich viel Zeit, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Was aber nicht heißt, dass ich mich nur noch um mich selber drehe, sondern im Gegenteil: Eigentlich werde ich dadurch für die Gesellschaft sensibilisiert. Eine Begegnung mit Menschen, nachdem man so lange alleine war, macht einen viel aufnahmefähiger. Es klingt jetzt komisch, aber was ich von meiner Colorado-Reise am stärksten vermisse, sind tatsächlich diese Begegnungen mit Menschen.
Konntest du aus diesen Begegnungen so etwas wie ein Stimmungsbild der heutigen USA zusammenfügen? Das war doch auch ein Anspruch deiner Reise.
Mir ist noch bewusster geworden, wie unglaublich heterogen dieses Land ist. Ein Kaleidoskop aus unterschiedlichsten Menschen und Meinungen. Und wie nah diese Unterschiede beieinander liegen: Von jemanden der zu mir sagt: „Was machst du nur hier, in diesem Land mit einem Präsidenten ohne Hirn“, zu einem der sagt: „Trump wurde von Gott ins Weiße Haus gesetzt“, sind es nur fünf Minuten. Dass diese Kontraste nebeneinander existieren, ist für mich sehr charakteristisch für die Vereinigten Staaten.
Bist du auch mit jenen, die Trump mit Gott gleichsetzen, gut ausgekommen?
Ich habe begriffen, dass Dinge wie Intelligenz oder Bildung gar nicht so viel darüber aussagen, wie ein Mensch in einer bestimmten Situation reagiert. Ich habe z.B. wahnsinnig viel Hilfsbereitschaft von Menschen erlebt, mit denen ich politisch nicht weiter auseinander sein könnte. Gerade in einer Region wie dem amerikanischen Westen, die so breitflächig und dünn besiedelt ist, muss man sich gegenseitig helfen – wie unterschiedlich man auch ticken mag. Trotzdem lieben alle Amerikaner Amerika. Das eint sie. Da spielt es keine Rolle, ob man republikanisch oder demokratisch wählt. Sie lieben auch alle die Natur. Und sie lieben alle den Colorado River.
Einer der schönsten Aspekte deiner Reise ist, dass du so eine Art freundschaftliche Beziehung zum Colorado entwickelt hast.
Für mich war es interessant zu beobachten, dass sich mein Umgang mit dem Fluss im Laufe der Zeit verändert hat. Am Anfang habe ich mich noch zaghaft mit dem Paddel herangetastet, habe versucht seine Oberfläche lesen zu lernen – so wie man eben das Wesen eines Menschen kennenlernt. Das hat gedauert. Doch irgendwann stellte sich das Gefühl ein, ich werde aufgenommen. Und ich hatte das Gefühl: Wenn ich es zulasse, dann bietet mir der Fluss – wie in einer echten Freundschaft – ein ehrliches Gegenüber.
Was hat dir dein Freund, der Fluss, beigebracht – auch in Hinblick auf das menschliche Zusammenleben?
Dass es sich manchmal lohnt seine Meinung hintenanzustellen und einfach zuzuhören. Und jemandem, der meint: „Die Erde ist eine Scheibe“, nicht sofort zu sagen: „Das ist doch totaler Blödsinn“. Für ihn oder sie ist die Erde eine Scheibe. Sich mal auf die diametral andere Weltsicht eines Menschen einzulassen, ohne sich davon vereinnahmen zu lassen, empfand ich als unglaublich bereichernd. Gerade in Gesprächen mit „Hardcore-Trump-Unterstützern“ habe ich das immer wieder üben können (lacht) Und das war auch gut so, denn sonst wäre das Gespräch auch gleich wieder vorbei. Für mich besteht hier eine schöne Analogie zum Umgang mit dem Fluss. Man sitzt mit seinem Paddel in der Hand da und plötzlich kommt eine Stromschnelle. Man paddelt wie bescheuert, doch es bringt überhaupt nichts. Wenn man nicht die nötige Ruhe aufbringt und sich ein wenig zurücknimmt, hat man keine Chance. Wenn man hingegen erstmal beobachtet und zuhört, wird man die Situation in die richtigen Bahnen lenken. Die Kraft des Wassers, wie auch eines anderen Menschens kann einen vorwärtsbringen, indem man sie erstmal sein lässt.
Ein Mensch verliert vielleicht nach der ersten Konfrontation die Geduld – der Fluss gab dir fast drei Monate Zeit, dir über diese Dinge klar zu werden…
Mein Buch trägt nicht ohne Grund den Titel „Rivertime“. Weil mir diese epische Flusslandschaft etwas über das Wesen der Zeit klargemacht hat. Wenn man in so einem Fluss, oder in so einer Stromschnelle unterwegs ist, zählt einzig der Moment. Dieses ganz in der Gegenwart-Sein ist aber immer auch in eine Ewigkeit eingebettet. Das sind eigentlich die einzigen Zeitzustände, die es gibt: Es gibt den Moment und es gibt die Ewigkeit. Und mehr muss man nicht wissen.
Buch-Tipp
Ana Zirner: Rivertime. Allein auf dem Colorado von den Rocky Mountains bis nach Mexiko, erschienen am 05.10.2020, 288 Seiten.
Ana Zirner hat auf ihrer Colorado-Reise 2019 von unterwegs für Bergwelten gebloggt. Ihre Eindrücke notierte sie manchmal während dem Gehen als Sprachaufnahme direkt ins Audio-Aufnahmegerät, darüber hinaus entstanden zahlreiche Interviews mit spannenden Menschen, denen sie begegnet ist. Aus all diesen Versatzstücken ist ihr jüngst erschienenes Buch „Rivertime“ entstanden. Darin erzählt sie einprägsam von ihrem 2.330 km langen Weg durch Schnee, Schluchten und Stromschnellen und zeichnet anhand des Mikrokosmos des Colorado ein Bild der heutigen USA und unserer westlichen Gesellschaft.
Mitmachen und gewinnen!
Wir verlosen 3 Exemplare von Ana Zirners „Rivertime“. Teilnahmeschluss ist der 9. Dezember 2020.
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