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Ana Zirner: „Ich freue mich auf die Einsamkeit“

Menschen

7 Min.

18.02.2019

Foto: April Larivee

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von Martin Foszczynski

Ana Zirner hat zu Fuß die Alpen und Pyrenäen überquert, jetzt zieht es die umtriebige Chiemgauerin in den weiten Westen Amerikas. Dort will sie dem Colorado River folgen – 2.330 km, von seinem Ursprung in den Rocky Mountains bis an den Golf von Kalifornien in Mexiko. Kurz vor ihrer Abreise spricht sie mit uns über Angst vor dem Unbekannten, Freude auf die Einsamkeit, Trumps Amerika und ihr Gepäck, in dem sich bärensichere Säcke und Schlangen-Gegengift statt Steigeisen und Brettljause befinden.

Bergwelten: Ana, du brichst in Kürze zu deinem neuen Abenteuer auf und willst dem Colorado River 2.330 km von seinem Ursprung in den Rocky Mountains Colorados bis zum Golf von Kaliforniern folgen. Mit Schneeschuhen, Packraft (leichtes, aufblasbares Schlauchboot) und zu Fuß. Wie kamst du auf diese Idee?

Ana Zirner: Eigentlich wollte ich den Hayduke Trail durchs Hinterland von Utah und Arizona gehen, aber da hätte ich sehr viel Wasser tragen müssen. Also dachte ich mir, ich gehe lieber am Wasser entlang. Der Colorado River kam dem Trail am nächsten. Ich habe begonnen über den Fluss zu lesen und mich bald in die Idee verliebt, seinen ganzen Lebenslauf, von der Geburt in den Rocky Mountains bis zu seinem Tod – oder zumindest seinem Sterbebett – in Mexiko zu begleiten. Denn an der Grenze zu Mexiko wird ihm das letzte Wasser entzogen.

Wie aufwendig war es, dieses Monsterprojekt zu planen? Wie lange hast du dich darauf vorbereitet?

Etwas mehr als ein halbes Jahr. Logistisch war es schon ein sehr großer Aufwand, weil es sich um ein sehr langes Projekt handelt. Wie schon bei meiner Alpen- und Pyrenäen-Überquerung habe ich die Route wieder selber geplant und dafür die komplette Strecke und ihre speziellen Gegebenheiten recherchiert. Dazu kamen natürlich noch etliche andere Planungsschritte. Aber ich glaube so richtig „fertig“ ist man mit der Vorbereitung nie. Irgendwann muss man einfach losgehen, und an dem Punkt bin ich jetzt.

War es schwierig Genehmigungen für die Fluss-Fahrten und Treks zu bekommen? Insbesondere im Grand Canyon?

Für die meisten Passagen habe ich noch keine Permits. Erstens, weil es während des „Government Shutdowns” in den USA (Haushaltssperre wegen US-Präsident Donald Trumps abgelehnter Forderung nach staatlicher Finanzierung einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, Anm.) nicht möglich war sie zu bekommen, da alle Nationalpark-Büros geschlossen hatten. Aber auch, weil es mich dazu zwingen würde, mich an einen genauen Zeitplan zu halten und das nimmt mir einfach zu viel Freiheit. Ich bin gespannt, wie sehr ich mich darüber unterwegs noch ärgern werde…

Der Colorado präsentiert sich oft zähfließend, manchmal aber auch als wilder Fluss. Wie hast du dich auf die Rafting- und Canyoning-Passagen vorbereitet? Sind die überhaupt alleine durchführbar?

Ich habe mich mit den verschiedenen Passagen genau auseinandergesetzt und werde mich auch unterwegs ständig über Wasserstand und aktuelle Verhältnisse informieren. Allein kann und will ich kein richtiges Wildwasser fahren, ich bin schließlich Anfängerin im Packraft. Ich werde also nur die ruhigen Passagen paddeln und alles andere zu Fuß gehen. So nah am Colorado wie es eben jeweils möglich ist. Ich bekomme aber vor Ort auch noch ein gezieltes und intensives Training von meinem Ausstatter Kokopelli Packraft bevor ich aufbreche.

Das andere Extrem ist kein Wasser. Wie willst du in den Wüsten-Reservaten ohne Trinkwasserversorgung über die Runden kommen?

An manchen Stellen muss ich viel Wasser tragen, an anderen Orten kann ich vorhandenes Wasser filtern bzw. mit Tabletten trinkbar machen. Auch das gilt es gut vorzubereiten, aber dann geht das schon, da bin ich ganz zuversichtlich. Dennoch wird gerade das Wasser, sowohl in seinem Überfluss als auch in seinem Mangel, sicher die ein oder andere spannende Herausforderung mit sich bringen.

Du bist auch in einer Gegend unterwegs, wo Aron Ralston 127 Stunden in einem Canyon feststeckte, ehe er sich durch Selbstamputation befreien konnte. Fürchtest du die Abgeschiedenheit, etwa der Canyonlands, und die damit einhergehende Einsamkeit nicht?

Ich habe mir diese Geschichte absichtlich nicht zu Gemüte geführt. Ich habe mich gut vorbereitet und werde auch vor Ort keine unnötigen Risiken eingehen. Unfälle kann es natürlich immer und überall geben, aber ständig daran zu denken, wäre lähmend und würde mir die Vorfreude nehmen. Einsamkeit schreckt mich nicht, im Gegenteil, ich freue mich darauf und bin gespannt auf die Erkenntnisse, die mir das Allein sein in der Abgeschiedenheit bescheren wird.

Du warst ja schon mal von Ost nach West über die Alpen unterwegs, dabei konntest du in Hütten übernachten. Hast du dir jetzt auch Stützpunkte herausgesucht? Wie wirst du in den Wüstengebieten übernachten?

Ja, ich habe einige Stützpunkte unterwegs, wo ich auch mal einkehren kann. Meistens werde ich aber biwakieren bzw. in meinem kleinen Zelt schlafen, damit ich nachts nicht von Klapperschlangen geknutscht werde.

Deine Leidenschaft sind die Berge. Wie gehst du mit dem Flachen, mit der endlosen Weite um, die dich im US-Westen erwartet?

Auf die Weite freue ich mich sehr. Ich stelle mir das so vor als würde man ganz lange auf einem Gipfel entlanglaufen können. Andererseits bin ich natürlich auch sehr gespannt, wie diese mir bisher völlig unbekannte Landschaft, in der alles so monumental groß ist, auf mich wirken wird. Aber tiefe Erlebnisse zwischen Luft und Licht, Zeit und Farben – das sind alles Aspekte, die ich aus den Bergen kenne und von denen ich mir sicher bin, dass sie mir auch dort begegnen werden. Das schafft Vertrauen.

Welche Gefahren erwartest du? Wovor hast du Angst oder zumindest Respekt?

Ich trete am Colorado River als absolute Anfängerin an, das ist eine völlig andere Ausgangssituation als in den Alpen. Es reizt mich, aber ich habe auch einen Heidenrespekt davor. In Wüsten- und Canyonlandschaften bin ich einfach nicht zu Hause. Es gibt dort viele Gefahren, wie die plötzlich auftretenden Flash-Floods, also Sturzströme, aber auch Wasserknappheit. Auch auf meine mit Sicherheit stattfindenden Begegnungen mit Elchen, Klapperschlangen, Skorpionen und vielleicht auch Schwarzbären bin ich, gelinde gesagt, gespannt.

Was nimmst du alles mit?

Mein Rucksack ist schwerer als bei der Alpen- oder Pyrenäenüberquerung. Das liegt vor allem daran, dass ich mehr Wasser und mehr Tagesrationen an Essen einplane, ein 2,5 kg schweres Packraft und anfangs auch noch Schneeschuhe dabeihabe. Neu für mich sind z.B. auch die mäuse- und bärensicheren Packsäcke, die Rettungsweste mit integriertem Notfallmesser, das Gegengift für Schlangenbisse und der Signalspiegel. Wenn man tief im Canyon einen Notfall und kein Netz oder GPS-Signal hat, kann man damit Helikoptern Signale geben.

Und zum Zeitvertreib? Nimmst du ein besonderes Buch oder eine spezielle Playlist mit?

Nein, ich habe meine Tastatur dabei und will viel schreiben bzw. auch wieder täglich bloggen. Außerdem will ich unterwegs Gespräche mit Menschen führen, in deren Leben der Colorado River eine entscheidende Rolle spielt. Auch aus diesem Projekt soll, wie schon aus der Alpenüberquerung, wieder ein Buch werden und es ist schön, dafür schon unterwegs Material sammeln zu können.

Dein Vater ist US-Amerikaner, doch das wird nicht der alleinige Grund für die Wahl deines Ziels gewesen sein. Hat dich der Mythos des amerikanischen Westens jemals fasziniert? Was verbindet dich mit und was interessiert dich an Amerika?

Ja, ich war früher großer Fan von Lucky Luke, das war für mich als Kind so eine Art Traummann. Bzw. wollte ich selber ein Cowboy werden, wenn ich einmal groß bin... Doch auch abgesehen davon fühle ich mich den Amerikanern in ihrem Wesen oft verbunden. Ich mag ihre unvoreingenomme Freundlichkeit und Direktheit, auch wenn sie vielen zunächst oft oberflächlich erscheint. Diese Kontaktfreudigkeit zwischen den Leuten fehlt mir bei uns. Da ich in den USA auch wählen darf, beschäftigt mich natürlich auch die US-Politik sehr.

Du kommst aus der Kunstszene und bist politisch sensibilisiert – wie ich dich kenne bezweckst du mit der Reise mehr, als nur eine landschaftliche Beschreibung des amerikanischen Westens. Geht es auch um eine Bestandsaufnahme der sozialen und psychischen Verfassung der USA?

Absolut. Es ist eine sehr schwierige aber auch spannende Zeit in den USA – wie auch sonst fast überall. Es verändert sich die Bedeutung von Politik, aber auch die Notwendigkeit des eigenverantwortlichen und aktiven Nachdenkens und Mitredens. Der Colorado River ist ein Mikrokosmos, der viele aktuelle Probleme aufzeigt. Der Klimawandel lässt das Wasser verdunsten, gleichzeitig müssen in seinem Einzugsgebiet immer mehr Menschen mit Trinkwasser versorgt werden. Ökosysteme werden zerstört, die Natur kurzsichtigen Profiten geopfert. Es ist ein krasser Anblick und zugleich bezeichnend, dass für die Mexikaner kein Wasser mehr im Colorado River übrig bleibt…

Du hast deinem Projekt den Untertitel „Ein Land, das niemandem gehört“ verliehen. Es gehört aber sehr wohl jemandem, US-Präsident Trump hat unlängst Naturschutzgebiete in Utah der Bergbau-Industrie geöffnet. Was sind für dich die größten Vergehen an der Natur und an der indigenen Bevölkerung dieser Region?

In den USA gibt es die alte Utopie des „Public Land“ – ein Land also, das niemandem gehört. Dazu zählt auch das von dir angesprochene Bears Ears National Monument, das ich auf meiner Reise durchqueren werde. Ich möchte wissen, wie mit diesem Land, das niemandem und damit ja auch allen gehört, umgegangen wird und welche Definitionen von Verantwortung es hier gibt. Ich will versuchen, unterschiedliche Perspektiven zu verstehen. Also nicht nur die Native Americans, für die hier Kulturgüter und heilige Orte auf dem Spiel stehen, oder Umweltschutzorganisationen, die sich um den Erhalt von unwiederbringlichen Naturschätzen bemühen. Sondern auch die Arbeiter, für die eine industrielle Nutzung wichtige Jobs bedeutet oder die Politiker und Firmen, die hier „im Interesse der Gesamtbevölkerung“ das Land nutzbar machen wollen.

Eines deiner Ziele ist es, während der Reise deinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten – wie willst du das erreichen?

Mein Lieblingsbeispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit dem Expeditionskoch Kieran Creevy. Wir haben zusammen speziell für mich abgestimmte Mahlzeiten entworfen, die nun in den USA von der Firma Trailfork aus lokalen Zutaten hergestellt und dann in zu 100% kompostierbaren Beuteln verpackt werden. Das schmeckt sehr lecker und produziert keinen unnötigen Müll.

Du kommst an großartigen Orten wie den Canyonlands, dem Grand Canyon aber auch Las Vegas vorbei. Worauf freust du dich am meisten?

Das kann ich so genau eigentlich gar nicht sagen. Alle Etappen haben ihre besonderen Reize, auch das Paddeln über die endlosen Stauseen. Aber klar, die Canyonlands werden bestimmt ein ganz besonderes Erlebnis. Wie viel ich vom Grand Canyon tatsächlich sehen werde, hängt noch von den Permits ab.

Wie lange denkst du, wirst du für den Weg brauchen? Hast du dir einen Zeitrahmen gesetzt?

Ich habe meinen Rückflug am 17. Mai gebucht. Aber absichtlich so, dass ich ihn auch nochmal kostenfrei umbuchen kann…

Ana, danke für das Gespräch und viel Erfolg auf deinem Weg durch den Westen!

Ana Zirner wird in den kommenden Wochen auf Bergwelten.com regelmäßig von ihrem Colorado-Abenteuer berichten.