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Ana Zirner: „Wonach ich gesucht habe, war Zeit für mich“

Menschen

6 Min.

02.11.2017

Foto: Ana Zirner

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von Martin Foszczynski

Die Chiemgauerin Ana Zirner ist alleine in 60 Tagen über die Alpen gegangen (sie hat auf Bergwelten.com berichtet). Im Interview erzählt sie uns, wie sie dieser Trip verändert hat und was das Leben in den Bergen vom Alltag der Großstadt unterscheidet.

Bergwelten: Du hast in deinem letzten Blogbeitrag für uns anklingen lassen, dass dir das Zurückkehren in die Stadt nicht leicht fällt. Wie geht es dir mittlerweile damit?

Ana Zirner: Ich bin jetzt seit vier Wochen wieder unten und ich muss sagen, es ist immer noch sehr schwierig für mich. Aber zumindest habe ich nicht mehr diese starken Kopfschmerzen, wie in den ersten Tagen. Die kamen von all dem Lärm, der schlechten Luft, von der Überforderung des Alltags. Als würde der Kopf dir sagen: „Oh nein – bitte nicht!“ (lacht)

Also eine ziemliche Reizüberflutung. Aber gibt es auch einen Mangel? Was fehlt dir, das du in den Bergen hattest?

Ich spüre ein ganz großes Verlangen nach Freundlichkeit! Was zu ganz witzigen Momenten in meinem jetzigen Alltag führt – ich grüße nämlich neuerdings wildfremde Leute auf der Straße. Sich zu ignorieren ist ja eine Gepflogenheit in der Stadt – aber eigentlich doch ziemlich seltsam. Manche reagieren verdutzt, freuen sich dann nach der ersten Schrecksekunde aber sehr. So wie unlängst die Bäckerin, bei der ich morgens um 7 Uhr ein Brötchen bestellt habe. Die war um diese Zeit noch gar nicht gut aufgelegt – da habe ich ihr beim Verabschieden gewünscht, dass der Tag nicht so stressig werden möge. Worauf sie richtig aufgeblüht ist und begonnen hat, mir aus ihrem Leben zu erzählen.

Heißt das in den Bergen sind dir nur Freundlichkeiten wiederfahren?

Natürlich nicht. Aber die Menschen, die dort freundlich sind, sind es aufrichtig. Ich denke das hat mit der Reduktion an Begegnungen in höheren Lagen zu tun – als Hüttenwirt in einer abgelegen Hütte oder als Schäferin auf der Alm nimmt man Menschen sicher anders wahr als im Getümmel der Stadt.

War das für dich ein entscheidender Anreiz, um in die Berge zu gehen? Die Reduktion von Menschen um dich herum?

Nicht in erster Linie. Aber wonach ich gesucht habe, war es, wieder Zeit für mich zu haben. Dass ich dadurch scheinbar auch die Fähigkeit entwickeln konnte, im Umgang mit anderen wieder ehrlicher und offener zu sein, gehört für mich zu den überraschendsten Folgen meiner Reise. 

Zeit für sich: Ana Zirner auf der Suldenspitze in der Ortlergruppe

Es hört sich an, als hätte sich vor dem Aufbruch in die Berge einiges an Frust angestaut in deinem Leben. Willst du uns verraten, was der konkrete Auslöser für diese Auszeit war?

Ich hatte Anfang des Jahres eine persönliche Krise, die auch viel mit meinem Beruf zu tun hatte. Ich bin Theater- und Film-Regisseurin – übe also eine Tätigkeit aus, mit der man sich stark identifiziert, die einen aber auch sehr vereinnahmen kann. Berufliches und Privates zu trennen, fällt da oft schwer. Ich denke, solche persönlichen Krisen kennt jeder, der nicht mehr ganz jung ist. Dieses Gefühl, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Viele reden nur nicht darüber. Andere machen eine Therapie, gehen den Jakobsweg oder tun eben gar nichts. Ich habe beschlossen, mir eine Auszeit in den Bergen zu nehmen – auch um mir klar darüber zu werden: Was will ich beruflich?

Und? Bist du zu Erkenntnissen gelangt? Beziehungsweise hast du Konsequenzen daraus gezogen?

Ja das habe ich. Ich werde nach meiner aktuellen Theaterproduktion, die bald Premiere hat, eine Pause als Regisseurin einlegen. Das heißt nicht, dass es ein Abschied für immer ist.

Was wirst du in der Zwischenzeit tun? Wie willst du deinen Lebensunterhalt verdienen?

Ich werde ein Buch über meine Alpenüberquerung schreiben! Es wird aber keine trockene Reportage werden, sondern eher eine neuartige Mischung aus literarischer Erlebnisbeschreibung, praktischen Tipps und persönlichem Tourenbericht. Ich will darüber schreiben, was die Korrespondenz zwischen der Berglandschaft außen und der sich verändernden Landschaft in mir drin ausmacht. Nicht zuletzt werde ich auch die Diskrepanz zwischen meinem Lebensgefühl in den Bergen und dem Stadtalltag beleuchten. Die Themen sind universell und gehen über die Berge weit hinaus. Es geht um Ehrlichkeit, um Geduld, um Demut. Und um die Frage, was man selbst in die Gesellschaft tragen will, um sie zu verändern.

Die Fragen unserer Zeit also. Lass uns wieder etwas konkreter werden und von der Theorie zur Praxis kommen. Was hast du für deine 60-Tages-Alpenüberquerung alles in deinen Rucksack gepackt?

Vor allem habe ich darauf geachtet, dass alles ultraleicht ist. Mein Rucksack hat zwischen 10 und 15 Kilo gewogen. Am schwersten war er in der Schweiz im Hochgebirge, wo ich zusätzlich Pickel, Steigeisen, einen Kocher, Abendessen und einen dickeren Schlafsack dabei hatte. Auf den Schweiz-Etappen hatte es bis zu minus 6 Grad. Abgesehen von üblichem Equipment wie Biwaksack, Erste-Hilfe-Set etc. hatte ich auch ein paar besondere Sachen mit. Etwa eine drehbare Sternkarte, um Sternbilder zu lernen.

Hast du sie oft benutzt?

Ich muss gestehen, nicht so oft wie ich mir das vorgestellt habe (lacht). Das Ding ist ja wirklich romantisch, aber nicht besonders praktisch – ein paar Mal habe ich dann doch lieber eine App verwendet. Was ich auch noch mithatte war ein spezielles Zitronenöl, das mir eine Freundin geschenkt hat. Das war toll, weil die Sinne am Berg mit der Zeit geschärft werden. Man riecht genauer, schmeckt genauer.

Wozu hast du das denn verwendet?

Zum Teil als Duschersatz (lacht). Ein bisschen von diesem Öl aufgetragen vermittelt dir das Gefühl von Sauberkeit. Es kam schon vor, dass ich 5-6 Tage ohne Dusche auskommen musste. Gewaschen habe ich mich aber trotzdem täglich – im Wasser von Bergseen oder Bächen.

Verwahrlost bist du also nicht. Gab es trotzdem Tiefpunkte während deiner Wanderung? Oder gar Momente, an denen du ans Abbrechen gedacht hast?

Nein, nicht wirklich. Von selbst wollte ich es niemals abbrechen, eher habe ich Angst davor gehabt, dass mich irgendwelche Umstände zum Abbruch zwingen. Diesbezüglich war es einmal auch durchaus knapp – wie auf Bergwelten berichtet habe ich mir ja den kleinen Finger ausgerenkt. Passiert ist das nicht etwa beim Klettern, sondern als ich einem Bus nachgerannt und mit dem Rucksack am Buckel über meinen offenen Schnürsenkel gestolpert bin. Ich werde niemals den Anblick meines Fingers vergessen – er stand im 90-Grad-Winkel ab, ich habe ihn reflexartig wieder eingerenkt. Der Schock kam erst später. Er ist bis heute geschwollen und ich muss ihn regelmäßig trainieren, aber es wird schon.

Sag mir eine Sache, die du während deiner Auszeit in den Bergen gelernt hast.

Ich habe gelernt, meine eigenen Kapazitäten besser einzuschätzen, stärker auf mein inneres Gefühl zu hören. Etwas, das mir auch jetzt im Alltag nützlich ist – etwa in Bezug auf andere Menschen oder Lebenssituationen. Wenn dir dein Bauchgefühl sagt: Es fühlt sich nicht gut an, ist es legitim, davon Abstand zu nehmen. Ich verspüre jetzt viel weniger den Drang danach, mich in irgendeiner Form behaupten oder profilieren zu müssen. Dieses Angebertum ist ja gerade in der Bergszene sehr präsent und ich bin auch selbst davon nicht frei. Dabei habe ich das Gefühl, dass es so gar nicht zu den Bergen und der Demut, die sie lehren, passt.

Du sagst, dass du dich nicht profilieren willst – aber du betreibst sehr wohl einen Blog, in dem du über deine Bergerfahrungen berichtet hast. Wie war die Resonanz darauf?

Überwältigend! Ich habe während meiner Wanderung etwa 250 persönliche Zuschriften bekommen – von seitenlangen Aufmunterungen bis zum dreizeiligen Heiratsantrag (lacht). Diese persönlichen Briefe sind mir wirklich ans Herz gegangen und haben mich sehr gefreut – mehr noch als die bis zu 1.000 Likes auf Facebook, die meine Beiträge ausgelöst haben. Ich habe übrigens versucht auch unterwegs auf jede Message zurückzuschreiben.

Apropos schreiben – du wirst ja für Bergwelten.com in den kommenden Wochen eine neue Blog-Serie verfassen, die an dein Alpenüberquerungs-Projekt anschließt. Was dürfen wir erwarten?

Es wird um praktische Tipps zum Thema Weitwandern gehen, aber nicht im Sinne trockener Hard Facts, sondern immer durch meine ganz persönlichen Erfahrungen gefärbt. Ich werde z.B. das Thema „Rucksack“ und „Energiehaushalt beim Gehen“ beleuchten. Oder auch über „Füße“ schreiben – denn die sind ziemlich wichtig auf einer Wanderung! (lacht)

Stimmt! Da sind wir schon mal gespannt und freuen uns auf die ersten Beiträge. Vielen Dank für das Interview!