Alpenüberquerung: Bescheidenheit im hohen Wallis
Im fünften Teil unserer begleitenden Serie zu Ana Zirners Projekt „Ana's Way West“ schildert uns die bayerische Bergsteigerin, wie es ihr im Schweizer Wallis auf der höchsten Etappe ihrer Alpenüberquerung ergangen ist. Ein Weg zwischen Absturzgefahr und neu entdeckter Bescheidenheit.
Ausgerechent für die höchste Etappe meiner Tour, durch die Walliser Riesen, habe ich das Thema „Bescheidenheit“ gewählt. Jetzt könnte ich es mir leicht machen und sagen: im Nachhinein betrachtet hatte die Etappe deshalb das Thema Bescheidenheit, weil hier mein tatsächlich zurückgelegter Fußweg wegen der zwei Unfälle im Vergleich zu meiner geplanten Route wirklich bescheiden ausgefallen ist… Aber das wäre zu einfach und es stimmt auch nur faktisch.
Denn es war wirklich spannend darüber nachzudenken was Bescheidenheit am Berg und auch sonst im Leben bedeutet. Insbesondere in den Tagen meiner Unfälle: beide Male bin ich mit dem Schock, ein paar Schrammen und einem ausgekugelten (und selbst wieder eingerenkten) Finger davongekommen, aber die Unfälle haben mich sehr geprägt. Zudem ist es nicht zuletzt der Reflektion über das Thema zu verdanken, dass es mir gelungen ist, nicht nur etwas bescheidener unterwegs zu sein, sondern mich in dieser Bescheidenheit auch noch wohl zu fühlen. Nach dem ersten Weckruf (einem Absturz bei dem ich knapp einen Meter vor einem Felsabgrund halten konnte) war ich gegen meinen Instinkt gerannt und bin damit gestolpert. Es brauchte den zweiten Weckruf, der einen Knick in meinem Finger machte der einem Häkchen glich: Check. Ich hatte es endlich kapiert. Finger wieder eingerenkt und Pause gemacht. Bescheidenheit. Ich bin noch auf die Cabane des Dix aufgestiegen, die auf fast 3.000 m liegt und habe dann zwei Tage und drei Nächte am selben Ort verbracht.
Es war wirklich gut und richtig, sich nicht gleich weiter auf Gipfel zu jagen. Vor den Bergen in ihrer Ruhe und Präsenz war mir mein vorheriges Verhalten jetzt fast peinlich. Ich dachte, dass sie sich in ihrem Innern vermutlich ob meiner Hast amüsieren, wohl wissend dass sie selbst noch sehr lange da sein werden. Es war eine Erfahrung, die mir bewiesen hat, dass diese Form der Bescheidenheit sehr kostbar und wirkungsvoll sein kann.
Bescheidenheit habe ich als Thema auch deshalb gewählt, weil ich persönlich mir damit meistens schwer tue. Stilistisch liebe ich zwar die Bescheidenheit (in meiner Einrichtung, in meiner Arbeit – also bei Bühnenbildern oder auf Sets), persönlich bin ich aber eher eine Angeberin. So sehr ich Bescheidenheit an anderen Menschen schätze und bewundere, es ist leider nicht unbedingt Teil meines eigenen üblichen Charakters.
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Daher will ich zunächst einmal herausfinden warum man nicht bescheiden ist. Und glücklicherweise sind gerade Bergsteiger ja oft ein exzellentes Exempel für wenig Bescheidenheit. Zumindest wenn es darum geht von den eigenen Erfolgen und Gipfeln zu erzählen. Da wird oft farbenfroh und extrem bebildert, es wird übertrieben und hier und da auch ein kleines oder großes Detail hinzugefügt. Dann weiß der Erzähler irgendwann selbst nicht mehr, ob er das tatsächlich so erlebt hat oder ob es nur so in seiner Erinnerung kleben geblieben ist und dort nun die richtige Erinnerung verstopft. Und ja, ich kenne das: es macht auch manchmal Spaß berichtend in die Vollen zu gehen. Aber warum?
Ich glaube es gibt dafür insbesondere zwei Gründe und ich will versuchen beide wohlwollend zu beschreiben. Einerseits ist es sicherlich so, dass das was man erlebt einem selbst so großartig vorkommt, dass eine einfache Erzählung der Tatsachen in der Wahrnehmung des Erlebenden niemals dem gerecht werden könnte, was man tatsächlich erlebt hat. Also wird die Geschichte ausgeschmückt, vermeintlich damit das Gegenüber die Großartigkeit begreifen kann. Absurd dabei ist, dass man „Großartigkeit“ ja nicht messen kann, weil sie jeweils im Auge des Betrachters liegt. Die Mühe ist also mit großer Wahrscheinlichkeit für die Katz.
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Zweitens würde ich vermuten, dass Bergsteiger, wie auch viele andere (Extrem)Sportler (oft auch Schauspieler) durch ihr eigenes Bedürfnis nach Adrenalin, Spannung und Erlebnis häufig zu Geltungssucht tendieren. Vielleicht ist das gerade deshalb so, weil sie sich mit ihren Tätigkeiten in einem Randbereich bewegen der für andere Menschen nur schwer zugänglich ist. Geltungssucht entsteht ja aus einem empfundenen Mangel an Respekt von außen für die eigene Leistung, oder? Auch hier denkt man vielleicht, dass man nur durch eine „plastischere“ Beschreibung überhaupt dahin gelangen kann, in der eigenen Leidenschaft verstanden (und gegebenenfalls bewundert) zu werden.
Ich würde behaupten, dass es (zumindest in meiner Generation) wenig bescheidene Bergsteiger gibt. Speziell in meinem aktuellen Heimatörtchen München grassiert eine massive „Bergsport-Coolness-Sucht“, die leider nur selten am wenigsten mit dem eigentlichen Hauptakteur, dem Berg, zu tun hat. Die Zugspitze muss rennend erobert werden und nichts ist wichtiger (nicht mal die eigene Gesundheit) als mit Bestzeit durchs Ziel zu sprinten. Hat man dabei den Berg überhaupt wahrgenommen? Oder hätte man auch einfach im Fitnessstudio das Laufband ganz steil einstellen können und sich auf dem Monitor die Landschaft nebst eigenen Biodaten anzeigen lassen können? Je länger ich unterwegs bin, umso weniger verstehe ich das. Obwohl ich selbst viel und gerne Trailruns unternommen habe.
Nicht umsonst erkennt man die wirklichen Profis - und das ist nicht nur im Bergsport so - oft eben an ihrer Bescheidenheit. Sie schöpfen diese aus einer inneren Ruhe und haben oft einen entspannten Humor, der nur mit der Erfahrung wachsen kann.
Es ist schade, denn Bescheidenheit passt eigentlich zum Bergsteigen besonders gut. Man bewegt sich an einem Ort und auf eine Weise die meist fernab der technologisierten Welt liegt. Klar, heute hat man auch am Berg viele technische Möglichkeiten. Vom GPS-Gerät über die Schuhheizung bis zum Skilift. Aber wenn man nur bergsteigen oder wandern geht, dann braucht man nicht mehr als seinen Körper, eine gute Wahrnehmung und einen Rucksack mit etwas zu trinken. Und damit gehen wir raus und rauf in die Berge. Im Vergleich zu dem worin wir uns in unserem sonstigen Alltag bewegen, ist das eigentlich bescheiden. Und als Bergsteiger ist es doch genau diese Form der Bescheidenheit, nach der wir in den Bergen suchen, weil sie so einmalig schön und wohltuend ist. Oder?
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Vorschau
Im nächsten Beitrag wird uns Ana von ihrer letzten Etappe erzählen, die sie durch den Vanoise Nationalpark und bis an ihr Ziel, nach Grenoble führt.