Inselwandern in Griechenland: Auf den Pfaden der Töpfer
Foto: Elias Holzknecht
von Martin Foszczynski
Früher wäre es den Menschen auf Sifnos im Traum nicht eingefallen, einfach so herumzugehen – dann erfanden sie ihre Insel als Wanderziel neu. Auf den Kykladen streift man nun durch ein Stück Griechenland wie aus dem Bilderbuch. Einsame Buchten, herzhaftes Essen und altes Handwerk inklusive.
„Trink!“, sagt Kostas Depastas und reicht ein Tongefäß, in dessen Mitte ein seltsamer Kegel aus dem Wasser ragt. Der Schluck Kühles tut gut in der anschwellenden Hitze des Vormittags, zumal wir schon einiges an Weg hinter uns haben. Das Fischerdörfchen Cherónissos liegt auf dem nördlichen Zipfel der Kykladeninsel Sifnos. Dorthin steigt man vom Bergland hinter der Hafenstadt Kamáres ab – zu einer fjordartigen Bucht, die in Miniaturgröße alles zu bieten hat, was man sich von Griechenland erträumt: feinen Sandstrand, eine Taverne mit lichtblauen Holztischen, eine dösende Katze im Schatten nadelnder Zedern – und ein Original wie Kostas.
„Jetzt füll den Becher ganz auf, bis zum Rand“, feixt der Töpfer, wissend, dass das kaum gelingen wird, weil er ein Loch darin versteckt hat. Als das Wasser auf den Boden prasselt, grinst er: „Siehst du, wenn man zu gierig ist, verliert man am Ende alles!“
Man muss schmunzeln über Kostas, „den Schwierigen“. So wird er genannt, weil es in bald 90 Lebensjahren mit den Frauen nie so richtig geklappt hat. Einer Erwählten wollte er besonders imponieren und begann „Zaubergefäße“ zu kreieren, wie eben den Becher mit dem extra eingebauten Leck.
Als junger Mann hat Kostas die Zeit erlebt, als Sifnos noch voller Töpferwerkstätten war – 400 sollen es gewesen sein. Auf dem Hafenpier von Kamáres, über den heute Fährenpassagiere aus dem 130 Kilometer nordwestlich gelegenen Athen ihre Koffer rollen, stapelten sich damals die frisch gebrannten Krüge, Töpfe und Schalen. Von dort aus wurden sie nach ganz Europa verschifft.
Yiannis Rafeletos – dunkle Sonnenbrille, Fünftagebart und kein Wandershirt, sondern eines, auf dem „You drive, I do the drugs“ steht – deutet später auf die Bucht hinab und erzählt von dieser Geschichte seiner Insel. Mit ihm steigen wir zum Ágios Símeon hinauf – einem von zehn Klöstern, die zu Ehren der lokalen Lieblingsheiligen die hiesigen Bergspitzen bekrönen. Auch wenn es nicht so aussieht, Yiannis ist Vizebürgermeister von Sifnos und somit der zweitwichtigste Mann hier. Eigentlich überhaupt der wichtigste – denn an der Spitze der Insel steht eine Frau.
Prall gefüllte Leere
Mit dem Aufkommen von Küchenware aus Metall, erzählt Yiannis, wurden die handgefertigten Töpfe der Sifnier zu Ladenhütern – aus Mangel an Arbeit kehrten viele ihrer Insel den Rücken. Im Altertum habe man neben der besonders hitzebeständigen Tonerde noch viel wertvollere Schätze aus dem Boden geholt – silberhaltige Erze und sogar Gold, davon zeugen Reste von Minen an der unbesiedelten nordöstlichen Küste. Damals galt Sifnos als die reichste Insel der Kykladen.
Heute fehlt davon jede Spur, und es wäre nicht Griechenland, hätten nicht beleidigte Götter ihre Hände im Spiel gehabt: Einer Sage nach zogen sich die Sifnier den Zorn Apollons zu, weil sie ihm in Delphi ein nur an der Oberfläche vergoldetes Ei ablieferten. Der Gott quittierte die aufgeflogene Knausrigkeit mit einem mächtig aufgescheuchten Meer, das alle Stollen überflutete. Die Insel wurde von da an das, was ihr Name übersetzt eigentlich bedeutet: „leer“.
Doch was leer ist, kann wieder mit Inhalten aufgefüllt werden. Scharen an feierwütigen Touristen, wie sie auf den hipperen Inseln der Kykladen einfallen, sollten es aber nicht sein, ist Yiannis überzeugt. In Mykonos und Santorin habe man eindeutig über das Maß in die Becher eingegossen, die fotogenen Kulissen quellen über. Hier dagegen soll man eine authentisch gebliebene Gegend erkunden. Deshalb hat man vor zehn Jahren mithilfe vieler Freiwilliger begonnen, Wanderwege zu säubern und zu markieren – allesamt bestehende Eselpfade, auf denen die Sifnier früher zu den Kirchen, Feldern und Töpfereien gelangten. Mittlerweile umfassen die „Sifnos Trails“ ein über hundert Kilometer langes Netz über die Insel, die trotz des Fehlens von Wald grüner wirkt als die meisten anderen Eilande der zentralsten Inselgruppe Griechenlands.
Folgt man den rot-weißen Markierungen durch die säuberlich gepflasterten Stufengässchen von Artemónas und Appolonía – der mehr als beschaulichen Hauptstadt – könnte man meinen, die ganze Insel putze sich für ihre Gäste heraus. Hier wird ein neues Lokal ausgemalt, dort staubt es aus der offenen Tür einer Keramikwerkstatt, von denen es auf Sifnos mittlerweile wieder ein gutes Dutzend gibt.
Jenseits der letzten Wäscheleinen findet man sich schnell im tiefsten Hinterland wieder. Im Dickicht eines grünen Rinnsals grunzt ein Schwein, rings um einen der zahlreichen Taubenschläge gurrt es dutzendfach. Die filigran verzierten Türmchen sind eine lokale Besonderheit und fast noch hübscher als die für die Ägäis so typischen Windmühlen. In Kástro, der alten, piratensicher auf einem steilen Hügel über dem Meer erbauten Inselhauptstadt, stolpert man in den schmalen Gässchen noch über antike Sarkophage, auf den Stufen dösen Katzen. Auch hier haben schon einige Cafés eröffnet.
Dem Himmel entgegen
Ein frischer Anstrich wird der Insel auch dort verpasst, wo man es am wenigsten vermuten würde: auf ihrem höchsten Punkt nämlich, immerhin 682 Meter über dem Meer. Um auf den Profítis Ilías zu gelangen, müssen wir früh los – der eineinhalbstündige Aufstieg schlängelt sich durch ein von wilden Kräutern und Macchia bewachsenes Gelände. Schatten sind hier rar, die Ausblicke auf das von dunstigen Inseln durchsetzte Spiegelblau der Ägäis hingegen mit jedem Schritt weiter.
Oben angelangt riecht es nicht etwa nach Zirbenschnaps, sondern nach dem warmen Dunst flackernder Honigkerzen. Auch den höchsten Gipfel der Insel ziert ein Kloster. Bewohnt wird es seit Jahrzehnten nicht mehr, instand gehalten aber sehr wohl. Von Dimitri etwa, den wir mit Motorradhelm im Arm am Eingangstor antreffen. Den Treppenweg ist der junge Mann, nicht 100 Prozent erlaubterweise, mit seinem Trial-Bike hochgefahren. Es sei ihm verziehen, schließlich verbringt er mit einem halben Dutzend Gleichgesinnter, jung und alt, das ganze Wochenende damit, die Außenmauern des imposanten Baudenkmals mit frischer Farbe zu besprühen, freiwillig. An der Kapelle vorbei sieht man in die Ferne und über die Insel. So schön kann die „Leere“ sein. Eine Welt aus einfachen Formen – Würfel, Zylinder, Halbkugeln. Die Wände der Häuser sind weiß, nur die Türen blau wie das endlose Meer, das sie umrahmt – oder ist es schon der Himmel?
So Einfaches kann nach so viel schmecken: Pralle Kapern, Tomaten, die das letzte Quäntchen Nährstoffe aus dem kargen Boden gesogen haben, gebettet auf dem cremigsten Feta der Welt – am Tisch einer alteingesessenen Taverne wie jener von Nikos Franceskaros in der Bucht von Vathí, wird klar, warum Sifnos vielen nicht nur als Insel der Töpfer, sondern auch als die der Köche gilt. Das weiß auch Ronia Anastasiadou – keine Piratentochter, sondern nur eine von fantasiebegabten Eltern – , die unsere Tour entlang der Südküste in Exámbela, dem Geburtsort von Nikolaos Tselementes, startet. Er hat Anfang des 20. Jahrhunderts das erste moderne griechische Kochbuch verfasst, bis heute ein beliebtes Hochzeitsgeschenk. Überhaupt sagt man, dass auf Sifnos hinter jeder Haustüre zumindest ein Kochlöffelschwinger zu finden sei, auf die ganze Insel hochgerechnet macht das also rund tausend.
Mehr noch als den Tellern gehört Ronias Herz aber den Trekkingstöcken. Deshalb hat sie vor dreißig Jahren ihren Job als Journalistin in der Hauptstadt an den Nagel gehängt und ist als Tour Guide auf die Insel zurückgekehrt. Noch vor einigen Jahren, versichert uns Ronia, wäre es hier niemandem eingefallen, einfach grundlos zu gehen – das habe sich zumindest ein wenig verbessert. Langfristig könne man locker hundert weitere Kilometer markieren. Auch über einen Weitwanderweg quer über die Inseln der Kykladen werde gerade nachgedacht.
Dabei kann es so viel geben, das schlichte Gehen. Niemand verkörpert es besser als die drahtige Griechin, die zu jenen Menschen gehört, die sich unter jedes Spinnennetz hindurchbücken und auch noch beim tausendsten Mal über die Stärke der Ameisen staunen. Mit Ronias Augen entgeht einem kein Detail, fügt sich zu einer Geschichte: das von der Meeresbrandung ausgespülte Gestein, die tellergroßen wilden Zwiebeln im Boden, um die Ziegen herumtrotten, die Scherben zerbrochener Tonkrüge, nach alter Tradition nur mit weißen Linien verziert. Und schließlich tausend Jahre alte Olivenbäume, hohl und knorrig, aber alle Zeiten und Zeitwenden überdauernd.
So wenig reicht zum Glücklichsein. Man lehnt an der Reling einer in die Jahre gekommenen Fähre mit verschlossenen WC-Türen und schlichten Plastiksitzen, man lässt sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen. Der Blick haftet an den schäumenden Wellen, die der Bug pfeilförmig zur Seite drängt, ehe sie sich wieder mit dem großen Blau vereinen. Weniger als einer Stunde dauert die Überfahrt nach Kimolos, eine weitere Insel der Kykladen, die die Erdplatten vor Urzeiten aus der Leere des Meeres hoben.
Das kleine Eiland ist so idyllisch, dass es unlängst einem österreichischen Kino-Kassenschlager über das Aussteiger-Sehnsuchtsziel „Griechenland“ als Kulisse diente. Und auch dort säubern engagierte Freiwillige gerade Wanderwege. Man wird also noch ein, zwei Tage weitergehen und Energie tanken können, bevor man wieder in den Alltag zurückkehrt. Mit einem Gefäß voller Eindrücke, das noch trocknen muss, bis es seine endgültige Form erhält.
Infos und Adressen: Wanderurlaub auf den Kykladen
Ankommen
Von Athen/Piräus aus fahren mehrmals täglich Fähren nach Sifnos. Mit den Schnellbooten von SeaJets oder Aegean Speedlines dauert die Überfahrt weniger als 3 Stunden. Abfahrtszeiten auf: directferries.com
Schlafen und Essen
Traditionstaverne
Seit 45 Jahren serviert Nikos Franceskaros das beste Moussaka auf der Insel. Mit Blick auf die Bucht probieren sollte man typisch Sifnisches wie Kichererbsenpüree und in Wein mariniertes Lamm aus dem Tontopf.
Tsikali
Vathí, 840 03 Sifnos
Tel.: +30/22840/712 50, tsikali.com
Neu interpretiert
Hipsterbrille, tätowierter Unterarm: Wenn er nicht in Berlin kocht, serviert Alexandros Narlis in der einstigen Taverne seines Vaters den inseltypischen Manoura-Ziegenkäse als flambierten Cheesecake und den Tintenfisch als Carpaccio auf heimischen Wildkräutern. Auch mit frischen Ideen in alten Töpfen erfindet man eine Insel neu.
NUS
Prolomia Street, 840 03 Platí Gialós
Tel.: +30/22840/712 08
nus.gr
Mit Pool und Meerblick
Das mit allerlei Meerjungfrauen dekorierte Gästehaus mit Pool und schönem Ausblick auf die Bucht liegt am nördlichen Ende von Kamáres. Der Mann der Besitzerin betreibt die Töpferei Apostolidis samt Shop und Führungen (apostolidis-ceramics.gr).
Nymfes Hotel
Agia Marina, 840 03 Kamáres
Tel.: +30/22840/312 69
nymfes.gr
Wandern
Auf den Gipfel des Propheten
Das Elias-Kloster thront weithin sichtbar auf der höchsten Erhebung der Insel (682 m). Am Ortsende von Katavatí zweigt rechts der markierte Weg ab. Am Rande eines Naturreservats geht es über einen Stufenweg zunächst gemächlich, dann in Serpentinen aufwärts. Schon vor dem Erreichen des Klosters eröffnen sich traumhafte Ausblicke auf Apollonía und benachbarte Inseln wie Serifos und Kimolos.
Ausgangspunkt: Apollonía
Endpunkt: Profítis Ilías Strecke: 5 km
Dauer: 2 h Höhendifferenz: 515 m
Entlang der Südküste
Einsame Rundtour mit tollen Ausblicken und unscheinbaren Details: Über den Sifnos Trail 4 wandert man zwischen Wacholderbüschen auf die Südspitze der Insel, wo es zwischen uralten Olivenbäumen ein verlassenes Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert zu entdecken gibt. Die kleine Fikiáda-Bucht lädt zur Rast ein, ehe es über einen steilen Felspfad mit Meeresblicken über den Bergrücken in die Bucht von Vathí oder zurück nach Platí Gialós geht.
Ausgangspunkt: Platí Gialós, Bushaltestelle
Endpunkt: Platí Gialós oder Vathí (kürzere
Variante) Strecke: 11,4 km Dauer: 4 h
Höhendifferenz: 266 m
Informieren
Wanderführerin
Ronia Anastasiadou kennt jeden Stein, weiß zu allem etwas zu erzählen und bietet auch kulinarische und Töpfer-Touren an.
Tel.: +30/697/299 04 19, sifnosevents.gr
Sifnos Trails
Die 10 Wanderwege der Insel im Detail und weitere nützliche Infos: sifnostrails.com
- Berg & Freizeit
5 Traumberge, die den Hype wert sind
- Berg & Freizeit
Trailrunning auf Madeira
- Berg & Freizeit
Ein Skitourenrennen auf Kreta
- Berg & Freizeit
Herbsturlaub: 6 nahe Reiseziele für Sonnenhungrige
- Berg & Freizeit
3 Wanderungen um Menorcas Vielfalt zu erkunden
- Berg & Freizeit
Wandern auf den Färöer-Inseln