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Jürgen Reinmüller: „So draußen wie möglich“

Menschen

6 Min.

22.04.2020

Foto: Stefan Leitner

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von Robert Maruna

Jürgen Reinmüller vereint viele Berufe in einer Person: Staatlicher Berg- und Skiführer, Alpinschulleiter, Sachverständiger für Alpinunfälle, Lawinensprengbeauftrager und Umweltsystemwissenschafter. Aber vor allem ist der 37-jährige Steirer aus dem Gesäuse eines: passionierter Kletterer. Ein Gespräch über die Faszination, die unterschiedlichen Facetten und die Zukunft des Berufswesens Bergführer.

Bergwelten: Warum eigentlich Bergführer? 

Jürgen Reinmüller: Das alpine Felsklettern hat mich von Jugendtagen an fasziniert. Fanatisch wollte ich damals so viele Routen wie möglich auf meinen Heimatbergen im Gesäuse klettern. Es gab eigentlich kein Wochenende, an dem ich nicht irgendwo in einer Wand rumhing. Und wenn der Alpinismus dein junges Leben prägt, dann kommst du in weiterer Folge um die umfassendste und hochwertigste Ausbildung im Bergsport nicht herum. Also Bergführer.

Deine Faszination für den Alpinismus führte also zur Berufswahl Bergführer?

Der Bergsport hat viele unterschiedliche Gesichter, Alpinklettern ist bloß eine Komponente. Genauso abwechslungsreich wie die Bewegung in den Bergen ist auch der Berufsalltag als Bergführer: Eine der größten Herausforderung besteht aber darin, in den vielen kleinen Teilbereichen der unterschiedlichen Sportarten immer am Laufenden zu bleiben und sich weiter fortzubilden. Wenn wir uns als professionelle Dienstleister verstehen und höchsten Qualitätsstandard bieten wollen, dann müssen wir sowohl das theoretische Wissen vermitteln, als auch das praktische Handwerk maßgeschneidert auf unsere Gäste anwenden können.

Jeder Gast, der mit dir in die Berge geht, hat seine persönlichen Ziele, individuelles Können und speziellen Bedürfnisse.

Genau! Deshalb ist es in meinem Beruf auch so wichtig, ein Gespür für Menschen zu entwickeln. Ich versuche immer im Vorfeld einer geführten Tour mit meinen Gästen ein kurzes persönliches Gespräch zu führen. Denn nur wenn du ihre Wünsche, Vorstellungen aber auch Ängste kennst, kannst du richtige Tourenziele für sie finden. Die große Kunst im zwischenmenschlichen Zusammenspiel zwischen Gast und Bergführer besteht darin, die Gäste niemals zu überfordern und sie selbst in Ausnahmesituation wissen und spüren zu lassen, dass der Bergführer stets die Kontrolle hat.

Welche Berge besteigst du am liebsten mit deinen Gästen und warum?

Sicher meine Heimatberge im Gesäuse in der Steiermark. Hier bin ich aufgewachsen, hier bin ich schon mein ganzes Leben unterwegs und kenne beinahe jeden Quadratmeter im Felsen. Die umfangreiche Gebietskenntnis ermöglicht es mir meinen Gästen perfekt auf sie zugestimme Tourentage zu bieten. Abgestimmt auf ihre jeweiligen Wünsche, ihr Eigenkönnen und die aktuellen Verhältnisse picke ich aus meinem „Pool“ an Tourenmöglichkeiten die passendste Variante heraus. 

Außerdem sind die Wandfluchten im „Xeis“ – wie wir Einheimische sagen – sehr verlassene Orte: Die anspruchsvollen Zu- und Abstiege sowie die bis zu 1.000 Meter hohen und größtenteils spärlich abgesicherten alpinen Wände charakterisieren dieses Gebirge. An den meisten Tagen ist man dort völlig alleine unterwegs. Diese Verlassenheit und Ruhe ist einmalig, und gerade in den Ost-Alpen ein seltenes Gut.

Verrätst du uns dann auch deinen persönlicher Lieblingsberg in den heimatlichen Bergen?

Der Admonter Kalbling in den Ennstaler Alpen ist für uns Bergführer ein sehr wertvoller Berg: An seiner Süd- und Westwand können wir unsere Gäste auf die großen alpinen Abenteuer vorbereiten. Für alle Kletterniveaus gibt es dort unterschiedlichste Routen und Herausforderungen. Perfekt für die Gäste, perfekt für den Bergführer!

Und deine drei schönsten Tourentipps finden sich auch in der Heimat?

Also wenn es um genussvolles Alpinklettern geht, dann kommt für mich nur der „Südgrat“ am Admonter Kalbling in Frage. Eine schöne Route im 4. Grad, die über einen sehr markanten Pfeiler verläuft, viel Sonne und landschaftliche Abwechslung verspricht.

Ein weiterer Gesäuse-Klasskier wäre die „Rosskuppenkante“: Eine beeindruckende Route im oberen 5. Grad mit ausgesetzten Kletterpassagen in wildem Ambiente vor einer großartigen Nordwand-Szenerie.

Im Winter gibt es für mich bloß eine Skitour – und zwar auf den 2.217 m hohen Lugauer: Das „Steirische Matterhorn“. Aufgrund seiner markanten Form erinnert der Lugauer an den großen Bruder in der Schweiz. Der Auf- und Abstieg verläuft rund um den Haselkogel, die alte Route über den Haselkogel selbst ist zu meiden, da es sich hier um eines der letzten Raufußhuhnbiotope Europas handelt. 

Wie sieht denn ein typischer Arbeitstag in deinem Leben als Bergführer aus?

Den immer gleichen Arbeitstag, gibt es zum Glück nicht. Ich bin mein eigener Chef und kann flexibel bestimmen, wann ich mir Zeit für die administrative Arbeit der Alpinschule nehme und wann ich in die Berge gehe. Ersteres passiert meist abends, bei einem Glas Wein sitze ich dann gemütlich vor dem Rechner, checke die Wettervorhersage, studiere den Lawinenlagebericht und verschaffe mir so einen Überblick für die Tourenplanung. Ich stelle mir eine kleine Auswahl von zwei bis drei Touren für den nächsten Tag zusammen, denn oft weiß ich – gerade im Winter – erst nach dem Frühstück, wo ich mit meinen Gästen aufsteigen werde. Ich liebe kurzfristige und situationsangepasste Entscheidungen. Allerdings erfordert es viel Erfahrung, um im richtigen Moment das passende Werkzeug aus dem großen Werkzeugkoffer auszuwählen. 

Hast du schon einmal das falsche Werkzeug ausgepackt?

Glücklicherweise noch nicht, doch als Bergführer wirst du zwangsläufig irgendwann am Berg mit Unfällen und dem Tod konfrontiert. Am Matterhorn sterben in schlechten Jahren bis zu 25 Bergsteiger. Statistisch betrachtet ist das Matterhorn der gefährlichste Berg der Schweiz. Als junger Bergführer bin ich im Aufstieg mit einem Gast einer Beinahe-Katastrophe entkommen. Ein Solokletterer ist direkt über uns abgestürzt und während des Sturzes auf das Seil zwischen mir und meinem Gast aufgeschlagen. Es grenzt an ein Wunder, dass uns beiden damals nichts passiert ist.

Wenn wir schon davon sprechen, gibt es neben den Sonnen- auch Schattenseiten des Bergführer-Berufs?

Die Sonnenseiten überwiegen in hohem Maß. Mein Beruf findet größtenteils draußen statt, deshalb auch der Leitspruch der Alpinschule: „So draußen wie möglich“. Die Natur als meinen Arbeitsplatz bezeichnen zu dürfen, schätze ich enorm. Neben den landschaftlichen Aspekten sind es aber die vielen interessanten und unterschiedlichen Menschen, mit denen ich gemeinsam in die Berge gehe, die meinen Beruf so reizvoll machen.

Sorgen macht mir vor allem die Steinschlagsituation: Je mehr Tage du in alpinem Gelände verbringst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst oder ein Gast einmal von herabfallenden Steinen getroffen wird. In der Watzmann Ostwand und in den Sonnenplatten im Sarcatal habe ich solche Situationen erlebt. In den Sonnenplatten kam ein Felssturz mit mehreren Kubikmetern Gestein direkt auf uns zu. Wir hatten aber unglaublich viel Glück und die Blöcke haben knapp vor, hinter und seitlich von uns eingeschlagen und außer einem kaputten Seil ist nichts passiert. Das Frustrierende daran ist, dass du solche Gefahrenquellen nur schwer kalkulieren kannst.

Da nimmt der Berg auch keine Rücksicht, ob du mit Gästen oder alleine unterwegs bist. Wieviel Zeit verbringst du auf private Weise in den Bergen?

Die Begeisterung für die Berge und vor allem für das alpine Klettern wurde durch meinen Beruf nie geschmälert. In der Hochsaison bleibt mir jedoch kaum Zeit für private Abenteuer. Durch die hohe Frequenz am Berg bin ich an einem freien Tag meist sogar „froh“, wenn ich einmal etwas „Branchenfremdes“ unternehmen kann. Im Frühjahr und Herbst wiederum nehme ich mir viel Zeit für meine persönlichen Ziele im Bergsport. Außerdem habe ich das große Glück viele Gäste zu haben, die mir Tourenziele im Ausland ermöglichen und diese Reisen gleichen dann fast schon einem privaten Urlaub.

Stichwort Ausland: Wie lässt sich der Beruf des modernen Bergführers mit Freundschaften, einer Familie oder einem Partner vereinbaren?

Als junger Bergführer habe ich viel Zeit in den Westalpen verbracht, das waren sehr lehrreiche und schöne Jahre. Heute bin ich aber froh in meiner Heimat arbeiten zu können. Es hat einfach Qualität, wenn du im eigenen Bett schlafen und deine Privatsphäre beim Frühstück und Abendessen bewahren kannst.

Insofern kann man fast von einem „normalen“ Beruf sprechen, der sich familienverträglich einteilen lässt. Auch wenn ich an manchen Wochenenden arbeiten muss. Gegenüber meinen Freundschaften verspüre ich aber keine beruflichen Einbußen, ich gehe mit vielen Freunden privat Klettern oder bin mit ihnen auf Skitour unterwegs.

Wie siehst du die Zukunft der Bergführer?

Grundsätzlich sehr positiv. Im Moment klingt das komisch, weil wir Bergführer – zwangsverpflichtet durch die politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Krise – einen noch nie dagewesenen Stillstand erleben. Die Vergangenheit zeigt aber, dass selbst nach dramatischen Krisen der Markt der Bergführer nicht langfristig eingebrochen ist. Das überliefern auch die „Altbergführer“ in meinem Umfeld. Die Auswirkungen sind dennoch umfassend und werden leider einige Kollegen in Schwierigkeiten bringen. Vor allem jene, die einen hohen Anteil an Auslandstouren und Auslandsgästen haben. Möglicherweise werden einige Bergführer nach dieser Zeit wieder zurück in tourismusferne Berufe wechseln.

Dennoch: der Bergsport boomt. Der Gesellschaft in Österreich geht es vergleichsweise finanziell sehr gut und die Menschen sind neugierig aufs Gebirge. Der Markt wird wieder anspringen und gerade der Inlandstourismus wieder florieren wird. Österreicherinnen werden in Zukunft vermehrt in Österreich ihre Freizeit verbringen und sich dabei hoffentlich von österreichischen Bergführern führen lassen.