Walter Zörer: „Ich arbeite im schönsten Büro der Welt“
Foto: Archiv Walter Zörer
von Robert Maruna
Wenn man über den Beruf Bergführer berichten will, dann führt in Österreich eigentlich kein Weg an Walter Zörer vorbei. Der 49-jährige Osttiroler ist seit über 30 Jahren als Bergführer tätig und liebt seinen Beruf. Er hat Expeditionen auf die 8.000er-Gipfel des Himalaya geleitet, im Dienste der Wissenschaft die Antarktis erkundet und ist seit neuestem Präsident des Verbands der Österreichischen Berg- und Skiführer. Bergwelten hat ihn für die Portraitreihe „Bergführer der Alpen“ zum Gespräch getroffen.
Bergwelten: Beginnen wir mit einer ganz simplen Frage: Warum eigentlich Bergführer?
Für mich ist es der wohl schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Ich bin tagtäglich mit unterschiedlichsten Menschen unterwegs, bewege mich im spannenden Umfeld der Berge und kann mein Arbeitsfeld auf kreative Art und Weise gestalten.
Und worin genau liegt die Faszination des Berufs Bergführer?
Jeder Berg, jede Tour und jeder Gast bringen ihre eigenen Herausforderungen mit sich, auf die ich als Bergführer flexibel eingehen muss. Das Zusammenspiel aus Mensch und Natur macht die Sache reizvoll, nebenbei bin ich mein eigener Chef. Das bedeutet einerseits, dass man natürlich einen Haufen Verantwortung zu tragen hat, aber andererseits bringt es eben auch ein hohes Maß an persönlicher Freiheit mit, die mir sehr wichtig ist.
Angenommen du hast die freie Wahl, welche Berge besteigst du am liebsten mit deinen Gästen und warum?
Eigentlich alle! Inzwischen bin ich aber am liebsten im Winter bzw. mit den Skiern rund um die Welt unterwegs, weil es nichts Schöneres gibt als mit anderen Menschen gemeinsam nach frischem Pulver zu suchen.
Wie steht es dann um deinen persönlichen Lieblingsberg und welche drei Touren würdest du aus den heimatlichen Bergen weiterempfehlen?
Ganz klar, der Grossglockner – kein Berg erstrahlt im flachen Licht des Winters schöner als der Höchste von Österreich. Insofern würd ich jedem den Glockner-Anstieg über den Stüdlgrat ans Herz legen, es ist einfach eine lässige Kletterei im exponierten Gelände. Meine persönliche Lieblings-Skitour führt auf die Ruderhofspitze (3.473 m) in den Stubaier Alpen und wenn ich nun eine einzige Klettertour aussuchen müsste, dann wäre das der Pilastro an der Tofana di Rozes in den Südtiroler Dolomiten.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag in deinem Leben als Bergführer aus?
Da gibt es zwei verschiedene Tagesabläufe: Der eine findet im Büro statt, da sitze ich am Schreibtisch beim Planen neuer Touren und Reisen oder versuche meiner Buchhaltung hinterherzukommen. Der andere Tag findet draußen statt – im schönsten Büro der Welt! Meistens stehe ich vor Sonnenaufgang auf, frühstücke dann in Ruhe und bin im Anschluss den ganzen Tag mit den Gästen auf Tour. Nach einer (hoffentlich) gelungen Tour lässt man den Tag dann auf der Hütte oder im Tal noch gemeinsam ausklingen und nach dem Abendessen beginnt schon wieder die Planung der nächsten Tour. Also in Summe sind das dann schon recht lange Tage, die mal 12 oder 16 Stunden Arbeit bedeuten können, aber die Erlebnisse am Berg sind es allemal wert (lacht)!
Was war denn bis jetzt dein skurrilstes Erlebnis mit den Gästen am Berg?
Als junger Bergführer war ich einmal etwas spät dran für einen Kletterkurs auf der Fermeda und wir wussten, dass sich am Nachmittag ein Sommergewitter anbahnen sollte. Beim Gipfelhandschlag sprang im wahrsten Sinne der Funken zwischen unseren Händen über – ein Wink des Himmels, die Beine in die Hand zu nehmen und rasch abzuseilen. Zum Glück ist uns damals nicht mehr passiert, seitdem bin ich immer rechtzeitig auf Tour.
Was sind die Sonnen- und Schattenseiten deines Berufs als Bergführer?
Wie bereits gesagt, als Bergführer ist man freiberuflich tätig und insofern sein eigener Chef. Hinzu kommt, dass unsere Arbeit zum Großteil draussen in der Natur stattfindet, das ist ein großer Pluspunkt – ich denke nicht, dass wir Menschen dafür gemacht sind von morgens bis abends vor einem Bildschirm zu sitzen. Und eine Sache darf man nicht vergessen: unsere Gäste sind im Urlaub, wenn sie mit uns unterwegs sind, deshalb ist die Stimmung eigentlich immer positiv.
Natürlich scheint aber nicht immer die Sonne für uns, also ganz einfach gesagt: es kann schon auch einmal regen, da macht die Arbeit weniger Spaß (lacht). Abgesehen davon üben wir Bergführer einen Hochrisikoberuf aus, sind ständig unterwegs, wenig zuhause, da es ist nicht immer einfach die Balance zwischen sozialem Umfeld und Job zu halten...
Lässt sich denn das Berufsbild Bergführer mit der klassischen Vorstellung einer Familie oder Partnerschaft heutzutage noch vereinbaren?
Es ist schwierig, aber es geht. Meine Frau und ich sind seit über 25 Jahren zusammen. Es benötigt viel Toleranz, Achtsamkeit und Eigenständigkeit – auf beiden Seiten – dann funktioniert es. Wenn ich zuhause bin, dann gilt meine Freizeit der Familie, das ist mir wichtig. Dieser Lebenswandel hat aber auch seine Vorteile, es wird nie langweilig und es gibt immer etwas zu erzählen.
Bist du privat auch noch viel in den Bergen unterwegs oder flüchtet die Familie Zörer dann ans Meer?
Du hast mich ertappt, wir sind schon auch gern auf Meeresniveau und in den Wellen unterwegs, aber am wohlsten fühle ich mich natürlich in den Bergen. Dabei muss es aber gar nicht hoch hinaus gehen, das kann oft auch nur einmal wandernder Weise beim Schwammerl klauben am Hausberg sein.
Eine abschließende Frage: wie siehst du die Zukunft der Bergführer?
Durchwegs positiv, sofern wir weiterhin aufgeschlossen bleiben und uns an die kurzlebigen Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft anpassen. Das Bergführerwesen ist ein wundervoller Beruf, der unglaublich viel Potenzial nach oben hin bietet. Mit zusätzlichen Ausbildungen und erweiterten Qualifikationen kombiniert, erreicht man noch spannendere Arbeitsfelder, die es einem ermöglichen auf vernünftige Art und Weise von diesem Beruf leben zu können – auch mit einer Familie. Vom Sicherheitsbeauftragten über den Coach bis zum Reiseveranstalter oder Fachbuchautor ist eigentlich alles möglich.
Unsere Gesellschaft weist große Mängel in der Begegnung und Erfahrung mit der Natur und den Bergen auf. In Zukunft wird hier – mehr denn je – der Professionist gefragt sein, und die Bergführer bilden in diesem Fall die oberste Instanz.
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