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Magdalena Habernig: „Mein Beruf ist es, Träume zu erfüllen“

Menschen

6 Min.

01.04.2020

Foto: Magdalena Habernig

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von Robert Maruna

In Österreich gibt es rund 1.500 Bergführer und 30 Bergführerinnen. Die 38-jährige Osttiorlerin Magdalena Habernig ist eine von ihnen. Warum sich die studierte Meteorologin für ein Leben von und in den Bergen entschied und wie sie in den Westalpen ihr zweites Zuhause fand, erzählt sie im Gespräch.

Bergwelten: Warum eigentlich Bergführerin?

Magdalena Habernig: Die Antwort liegt weit zurück: Als Teenager habe ich an einer der legendären Kinder- und Jugend-Bergwochen des Lienzer Alpenvereins teilgenommen und kam so mit dem Berufsbild „Bergführer“ erstmals in Berührung. Die lokale Bergführerlegende Peter Ponholzer hat die Woche damals geleitet: er ist ein großartiger Mensch und die Art und Weise, wie er uns Jugendlichen die Berge näher brachte, hat mich tief beeindruckt. Diesen Beruf einmal selbst ausüben zu können, fühlte sich aber wie ein unerreichbarer Kindertraum an.

Viele Jahre später hat mein damaliger Lebenspartner die Bergführerausbildung absolviert und ich durfte ihn als Studentin auf vielen Bergtouren begleiten, spätestens da war für mich klar: Das ist mein Traumberuf!

Was macht denn diesen Beruf so „traumhaft“?

Die größte Faszination – obwohl auf diesen Punkt in der Ausbildung recht wenig eingegangen wird – liegt wohl in der zwischenmenschlichen Komponente: Bergführen ist ein extrem sozialer Beruf. Ich denke in keiner anderen Berufssparte wächst man mit seinen „Kunden“ bzw. Gästen so eng zusammen, wie beim Bergführen. Man zieht – wortwörtlich genommen – gemeinsam an einem Strang und dafür braucht es Vertrauen. Das verbindende Seil ist symbolischer Ausdruck für dieses Vertrauen. Denn nicht nur der Gast legt sein Leben in meine Hand, sondern auch ich vertraue ihm dadurch mein Leben an.

Im Zuge dieser Seilschaft teilt man unheimlich intensive Erlebnisse. Erlebnisse, von denen meine Gäste immer geträumt haben. Erlebnisse, die sie allein – ohne meine fachmännische Unterstützung – vermutlich nicht erleben hätten können. Insofern könnte man auch sagen, es ist mein Beruf Träume zu erfüllen.

Wohin führen dich diese Träume? Gibt es Berge, die du besonders gerne mit deinen Gäste besteigst?

Prinzipiell liebe ich die Abwechslung. Als heimatverbundene Osttirolerin bin ich aber sehr gerne auf den Gipfeln des Nationalparks Hohe Tauern oder den Lienzer Dolomiten unterwegs. Gerade während der Skitourensaison kann ich mir keine bessere Gegend als Osttirol vorstellen.

Im Hochsommer hingegen führe ich vermehrt in der Schweiz. Die eindrucksvolle Gletscherwelt, das riesige Potential an 4000ern, das zieht die Gäste magnetisch an. Und so ist das Wallis auch für mich zu einer zweiten Heimat geworden.

Findet sich dort auch dein persönlicher Lieblingsberg oder steht er doch in der Heimat?

Mit dem Titel „Lieblingsberg“ tu ich mir schwer. Es gibt so viele großartige Berge, aber mit dem höchsten – dem Großglockner – verbinde ich wohl die prägendsten Erlebnisse. Vor allem in seiner einsamen Zeit, wenn er nicht von großen Menschenmassen überlaufen wird, zeigt er seine wahre Schönheit. Insofern ist es schmerzhaft zu sehen, wie sich der Klimawandel auf die Schönheit seiner Anstiege auswirkt. Die Ausaperung beginnt jedes Jahr früher und im Herbst dauert es länger, bis wieder ausreichend Schnee auf dem schwarzen Eis zu liegen kommt.

Du bist also doch mit deiner Heimat fest verwurzelt?

An meiner Heimat schätze ich die Ursprünglichkeit. Diese verdanken wir Osttiroler vor allem dem Nationalpark Hohe Tauern. Die Gründung des Nationalparks hat in der lokalen Bevölkerung das Bewusstsein für die Natur und dessen unbezahlbaren Wert gestärkt. Die nachhaltige Arbeit der Bauern ist ein zusätzliches Kulturgut, das die Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren fördert. Das alles kann man intensiv spüren, wenn man in Osttirol unterwegs ist.

Verrätst du uns dann deine drei schönsten Tourentipps aus den heimatlichen Bergen?

Bei Tourentipps in Osttirol führt kein Weg am Großglockner vorbei. Eine der längsten Gratüberschreitungen, die perfektes Seilhandling und solides Klettern im vierten Grad voraussetzt, ist die Glocknerwandüberschreitung und Besteigung des Gipfels über den NW-Grat. Diese Tour kann ganz locker mit den großen Klettereien der Westalpen mithalten.

Für konditionell starke Gratliebhaber, die sich im leichten alpinen Gelände wohlfühlen, empfehle ich den Westgrat auf den Großvenediger. Da die Länge des Grates und der mühselige Zustieg viele Bergsteiger abschreckt, ist diese Tour ein sehr einsamer Anstieg auf diesen vielbesuchten Gipfel des Nationalparks Hohen Tauern.

Und dann geht’s natürlich zum Klettern in die Lienzer Dolomiten. Im Laserzkessel gibt es unzählige lohnende Klettertouren in allen Schwierigkeitsgraden. Eine wunderschöne Genusstour wäre die Gamswiesenspitze NO-Kante im vierten Grad.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag in deinem Leben als Bergführerin aus?

Nehmen wir einfach einen Gipfeltag auf einen schwierigen 4000er in der Schweiz mal als typischen Arbeitstag her: Meist läutet der Wecker viel zu früh und von erholsamen Schlaf auf Berghütten ist oft keine Rede, aber das alles ist unbedeutend, wenn man erstmal im Schein der Stirnlampen losgegangen ist und im Rücken die Sonne langsam empor steigt. Nach all den Jahren in den Bergen, ist dieser Moment, wenn die ersten Sonnenstrahlen auf die Gipfel treffen, immer noch ein unglaublich ergreifender. Stapfend und kletternd, meist ohne große Worte, aber begleitet von lauten Schnaufgeräuschen, geht es dann immer weiter nach oben, dem Ziel entgegen.

Am Gipfel angekommen ist die Freude groß, obowhl jeder Bergsteiger weiß: erst wenn man unten im Tal steht, hat man es wirklich geschafft. Und je höher und anspruchsvoller ein Berg ist, desto mehr bewahrheitet sich diese Aussage.

Im Abstieg heißt es dann immer volle Konzentration, sowohl für mich als auch meine Gäste. Auf den letzten Metern zur Hütte oder zum Hotel im Tal, verspürt man dann oft dieses Gefühl der Erleichterung – alles ist gut gegangen und die Last des Rucksacks wird immer kleiner. Nach einer (hoffentlich) warmen Dusche erwartet einen dann das Abendessen und man stoßt gemeinsam mit den Gästen auf den erfolgreichen Gipfeltag an.  

Was war dein skurrilstes Erlebnis mit Gästen am Berg?

Superlativen sind immer schwer, aber ein ganz besonderes Erlebnis mit einer meiner motiviersten Gästinnen wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben: Es war Anfang August, einige Tage nach einem massiven Kälteeinbruch mit unüblich viel Neuschnee auf den Bergen. Unser Traumziel, das Matterhorn, war stark eingeschneit und von allen Seiten wurde uns von der Besteigung abgeraten. Wir beschlossen trotzdem, uns ein Bild Vorort zu machen.

Bei meiner Erkundung stellte ich fest, dass zwar reichlich Schnee am Grat lag, dieser aber gut gesetzt war. Da mir die Route auf das „Horu“ gut bekannt ist, entschieden wir uns nach Abwägung aller Risiken, es zumindest zu versuchen. Die Verhältnisse waren eindeutig schwerer als sonst, wir mussten viele Stellen absichern und kamen langsam voran. Wir gingen dabei aber keinesfalls mehr Risiko ein – mir persönlich erscheinen heiße Sommertage am Matterhorn mit über 100 anderen Bergsteigern als weit gefährlicher.

Letzlich ging unser Traum in Erfüllung: An besagtem 15. August waren wir zwei Frauen die einzige Seilschaft, die den Gipfel bestieg und überglücklich ins Tal zurückkehrte.

Was sind die Sonnen- und Schattenseiten deines Berufs als Bergführer?

Wenn man die Nächte im Hüttenlager mit Schnarchern teilt, das Wetter so gar nicht nach einem möglichen Gipfelerfolg aussieht, die sorgfältig ausgetüftelte Tourenplanung komplett umgekrempelt werden muss und die Sehnsucht nach ein wenig Privatsphäre massiv anwächst, dann kann es schon passieren, dass man ins Grübeln kommt. Doch, wenn es mir dann doch gelingt meinen Gästen einen schönen Tourentag zu ermöglichen, manchmal sogar einen Lebenstraum zu verwirklichen und sie dabei in Landschaften zu entführen, von denen sie oftmals gar nicht wussten, dass es sie gibt, dann sehe ich dieses Leuchten in ihren Augen und weiß, warum ich diesen Beruf liebe.

Wieviel Zeit verbringst du auf nicht-berufliche Art und Weise in den Bergen?

Soviel wie möglich! Zumeist fahre ich dann zum Klettern ans Meer und lass dort die Seele baumeln. Im Winter gehe ich auch in meiner Freizeit gerne Skitouren, diese sind dann aber meist etwas verwegener und steiler. Mich richtig „runterzuholen“, das schaffen nur meine Nichten und Neffen, da bin ich mit großer Freude und Stolz Tante. Wobei ich sie natürlich bald mitnehmen und „raufholen“ möchte.

Stichwort Familie: Wie lässt sich heutzutage der Beruf der Bergführerin mit einem Lebenspartner oder einer Famlie vereinbaren?

Das Bergführen hat viele Facetten: Mein derzeitiges Betätigungsfeld sind die Westalpen und Hochtouren und somit wohl das Gegenteil von familienfreundlichen Unternehmungen. Aber man kann auch regionaler Bergführen und dadurch mehr Zeit daheim verbringen. Auf alle Fälle braucht es sehr großes Verständnis von Partner und Familie für diesen „so ganz anderen Job“.

Wie siehst du die Zukunft der Bergführer?

Ich denke, dass gerade der fortwährende Klimawandel zur immer größeren Herausforderung für Hochtouren wird. Bisher glaubte ich, dass das Bergführerwesen ein relativ krisensicherer Beruf ist, aber da erleben wir mit dem Coronavirus gerade das Gegenteil. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass das Erlebnis von Berg und Natur ein überaus wichtiges ist und die Bedeutung für den Menschen weiter anwachsen wird. Darauf baut unser Beruf auf. Wir alle müssen mit dem Zeitgeist leben und den Änderungen unseres Berufsbilds Folge leisten.