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Mythos und Konsumprodukt: Kinostart von „Everest“

Menschen

5 Min.

15.09.2015

Foto: Universal Pictures

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von Simon Schöpf

Leidenschaft Everest: Ungebrochen polarisiert der höchste Berg der Erde irgendwo zwischen Sehnsuchtsprojektion und Prestigeobjekt. Ab dem 17. September wird diese Euphorie noch zusätzlich angefacht – dann nämlich läuft der bildgewaltige Film „EVEREST (3D)“ in unseren Kinos an. Bergwelten war bei der Vorpremiere in Berlin dabei und hat mit dem Co-Produzenten David Breashears und Bergsteigerin Heidi Sand über die Wirkung des Films und Staus in der Todeszone gesprochen.

Everest: Der Berg der Superlative

8848: Nach dieser Zahl richtet sich so manches Leben aus. Die Faszination, auf dem höchsten Punkt der festen Erdoberfläche zu stehen, am „Dach der Welt“, ist wohl etwas zutiefst Menschliches. Das Streben nach der ultimativen Superlative ist in den Jahrzehnten seit der Erstbesteigung im Jahre 1953 durch Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay allerdings zu einer regelrechten Inflation verkommen: Als Erste am Gipfel ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff (1978, Reinhold Messner und Peter Habeler), erste Snowboardabfahrt vom Gipfel (2001, Stefan Gatt), erster Blinder auf einem Himalaya-Gipfel (2001, Erik Weihenmayer), erste Besteigung mit Prothesen (2006, Mark Inglis), jüngste Besteigung (2010, Jordan Romero mit 13 Jahren), ältester Mann am Everest (2015, Yuichiro Miura mit 80 Jahren) ... die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
 
Bis zum letzten Jahr wäre mit dem „schlimmsten Unglück am Everest“ (1996, 8 Tote) auch jenes Szenario auf der Liste gewesen, welches die Vorlage für den am 17. September anlaufenden Kinofilm „EVEREST (3D)“ geliefert hat. Die tragischen Geschehnisse, ausgelöst durch einen Wetterumschwung während des Abstieges vom Gipfel am 10. Mai 1996, sind seitdem umfassend in den Medien und Bergsteigerkreisen debattiert worden. Am bekanntesten wurde wohl die Version von Jon Krakauer, dessen Buch „In Eisige Höhen“ (Into Thin Air) zum Besteller und Bergbuchklassiker wurde.
 
Bis zum letzten Jahr deshalb, weil 2014 ein noch fataleres Unglück passierte: 16 Sherpas wurden beim Anbringen der Fixseile im Khumbu-Eisbruch von einer Lawine getötet. 2015 lösten massive Erdbeben in Nepal eine gigantische Lawine aus, die über das Basislager hinwegfegte und dabei nochmals 19 Menschen das Leben kostete. Trotz der jüngsten Tragödien sind die Everest-Expeditionen für nächstes Jahr schon wieder fast ausgebucht. Heidi Sand meint: „Man kann das nicht aufhalten! Wenn Menschen besonders schlimme Bilder sehen, dann werden sie aufmerksam und es zieht sie hin.“ Doch weshalb?


Auf den Everest, aber warum?

In einer Szene des Films fragt der amerikanische Journalist Jon Krakauer seine Expeditionskameraden, warum sie sich diese extremen Mühen und Strapazen denn überhaupt antun. „Warum? Warum wollt ihr auf den Everest?“ Der Film selbst bleibt die Antwort leider schuldig. Berühmt wurde diesbezüglich schon viel früher ein Zitat des Everest-Pioniers George Mallory: „Weil er da ist.“ Etwas ausschweifender antwortet auch „EVEREST“-Co-Produzent David Breashears auf dieselbe Frage. Als 11-Jähriger durch das Bild des Erstbesteigers Tenzing Norgay am Gipfel des Everest inspiriert beschloss er, Bergsteiger zu werden. Bergsteigen als Handwerk, als Fertigkeit und um draußen zu sein, die Natur zu erfassen und zu begreifen. Und um herauszufinden, warum jemand auf unserem Planeten eine Sauerstoffmaske tragen muss.


Konsumprodukt Everest?

1985 führte David Breashears den damals 55-jährigen US-amerikanischen Unternehmer Dick Bass erfolgreich auf den Gipfel des Mount Everest. Und weil Bass, ein guter Freund Breashears, in den Jahren zuvor auch schon auf den höchsten Bergen aller anderen Kontinente stand, war die Besteigung der sogenannten Seven Summits erstmals gelungen. Somit wurde der Weltöffentlichkeit klar, dass der höchste Berg der Welt nicht nur den Profi-Alpinisten vorbehalten war, sondern auch für „normale Menschen“ ein durchaus erreichbares Ziel darstellt. Das „Tor zum Everest war geöffnet“, so Breashears. Jon Krakauer drückt es in seinem Buch folgendermaßen aus: „Der Everest wurde damit auf unsanfte Weise ins postmoderne Zeitalter gezerrt.“
 
Auch andere Faktoren spielen für die kontinuierlich steigende Popularität eine wichtige Rolle: Nach der Eröffnung der Landebahn im naheliegenden Lukla 1964 stieg die Zahl der westlichen Besucher von 20 auf 3.500 pro Jahr, innerhalb von nur 10 Jahren. 2014 versuchten über 900 Bergsteiger den Gipfelsieg, rund 50.000 Dollar müssen die Aspiranten für den Trip bezahlen. „Die Erreichbarkeit ist heutzutage auch um ein Vielfaches einfacher. Und die Expeditionsagenturen nehmen quasi jeden mit. Ich weiß von Leuten, die nicht einmal gefragt wurden, ob sie überhaupt bergsteigerische Erfahrung haben. Natürlich verdienen die Veranstalter daran, solche Kunden brauchen eben besondere Betreuung und buchen dann noch einen Sherpa extra. Die nennen das babysitting“, kommentiert Heidi Sand. Auch werden die bergsteigerischen Schwierigkeiten zunehmend entschärft, neben Fixseilen ist sogar die Rede von einer Leiter am Hillary Step, der Schlüsselstelle der Route. Als Resultat dieser Entwicklungen bilden sich an den wenigen schönen Tagen mit Gipfelchancen häufig „Schlangen wie an einer Supermarktkasse“ (Heidi Sand), in über 8.000 Metern eine lebensbedrohliche Situation.

Diese Entwicklung wird auch häufig kritisiert. Bergsteigerlegende Reinhold Messner spricht vom „Gipfel des Selbstbetrugs“ und meint, der Mount Everest sei „zum Konsumgut für jedermann verkommen“. Der Spiegel widmet den „Staus“ am Everest sogar eine Titelgeschichte, der Berg sei zum Spielplatz für Hobbyalpinisten geworden. Höhenmediziner Oswald Oelz sieht den Everest durch den Massentourismus und Pauschalreiseangebote gar „entmannt“. Doch trotz der sich seit Jahrzehnten jährlich wiederholenden Todesmeldungen ändert sich wenig bis nichts. Zu verlockend ist wohl der Ruf des höchsten Berges der Welt, und alle Mittel scheinen für eine Besteigung recht. Im Grunde hätte das „mit Bergsteigen nichts mehr zu tun, wenn man wie in einer Ameisenstraße da hoch läuft“, meint Heidi Sand. Aber genau so sei es auch an vielen anderen schönen und berühmten Bergen dieser Welt, „daran kann man eben nichts ändern.“

David Breashears war insgesamt fünf Mal am Everest, er zieht einen Vergleich über die Jahre: Bei seiner ersten Besteigung 1983 war sein Team das einzige am Berg, 1996 waren dort bereits 12 Teams und an die 200 Leute unterwegs. „Und damals dachten wir schon, das wäre überlaufen!“, erinnert sich Breashears. Im Frühjahr 2015 war er wieder dort, da waren dann 35 verschiedene Expeditionen vor Ort und die Zahl der im Basecamp residierenden Bergsteiger wurde auf 1.200 geschätzt. „Die Leute werden immer auf den Everest steigen wollen, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Der Everest besetzt einfach eine ganz besondere Stelle in unserer kollektiven Vorstellung. Die Öffentlichkeit projiziert immer noch all diese Vorstellungen auf den Berg, die eigentlich schon lange nicht mehr da oben zu finden sind.“


Die Relativierung der Tragödien 

Im Frühjahr 2015 bebte die Erde unter Nepal, 8.800 Menschen wurden unter Trümmern begraben und ein ganzer Staat quasi über Nacht zerstört. So tragisch die im Film EVEREST thematisierten Bergsteigerschicksale auch sind, sie relativieren sich im Verhältnis zur obigen Zahl schnell. Was also kann ein Hollywood-Film tun, um den Leuten im Unglücksgebiet zu helfen? Breashears: „Der Film wird die Zuseher wohl nicht zum Spenden bewegen. Was er allerdings erreichen wird, ist den Scheinwerfer wieder auf Nepal zu werfen und das Land wieder auf der Weltkarte sichtbar machen. Die Nepalesen sind so unfassbar stolz auf diesen Berg, dieser ist für sich genommen bereits eine Touristenattraktion.“ Ähnlich denkt hier auch Heidi Sand, für sie ist die beste Nepal-Hilfe einfach: „Hinreisen!“

Ob der Film tatsächlich eine positive Auswirkung für Nepal und seine Bewohner haben wird, das wird wohl nur schwer nachzuweisen sein. Dass die bildgewaltige 3D-Reise durchs Himalayagebiet jedoch unzählige Menschen für die Majestät der großen Berge fasziniert, steht wohl außer Frage. Träumen wird nach dem Film wohl so mancher vom Gipfel des Everest, doch: Reicht das Träumen manchmal nicht aus? Muss man sich wirklich zum Gipfel quälen, um die Schönheit dieses Berges zu erfahren?

Zu den Personen:

David Breashears (Co-Produzent) ist nicht nur ein versierter Filmemacher, sondern selbst auch Bergsteiger und Abenteurer. Seit 1978 hat er dank seiner bergsteigerischen Fähigkeiten an mehr als 40 Projekten mitgearbeitet – unter anderem an Everest: The Death Zone (1998), Red Flag Over Tibet (1994) und Cliffhanger (1993). Er war bei der Tragödie 1996 mit dem IMAX Team vor Ort und half aktiv bei den Rettungsaktionen. Breashears war selbst insgesamt fünf Mal am Everest und 1983 der Erste, der live Fernsehbilder vom Gipfel sendete.
 
Heidi Sand erhielt 2010 die Diagnose Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Sie resignierte jedoch nicht, sondern kämpfte entschlossen gegen die Krankheit an. Während ihres Kampfes setzte sie sich ein neues Ziel: „Wenn alles gut ausgeht, besteige ich den Everest.“ Es ging gut aus und sie erreichte ihr hochgestecktes Ziel – den Mount Everest. In den folgenden zwei Jahren bestieg sie noch zwei weitere Achttausender, den Cho Oyu ohne zusätzlichen Sauerstoff und den Makalu als erste deutsche Frau, womit sie ein Stück Alpin-Geschichte geschrieben hat. Anfang Dezember wird Heidi Sand im Rahmen des Klimaschutzprojektes 25zero den Mount Stanley in Uganda besteigen.

Hier geht's zum Trailer von „Everest“.

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